Gaza in Trümmern: Anrainer fürchten Ende der Feuerpause
GAZA. Seitdem die Waffen vorübergehend schweigen, wird im Gazastreifen das ganze Ausmaß der Zerstörung durch den Krieg sichtbar.
Viele Anrainer, die sieben Wochen lang vor allem damit beschäftigt waren, Schutz vor israelischen Bombardements zu suchen, nutzen die mehrtägige Feuerpause, um nach ihren Wohnungen zu schauen. Die Erleichterung über Kampfpause weicht dabei aber dem Entsetzen: Der Anblick ihrer zerstörten Häuser habe viele Anrainer schockiert, berichten Augenzeugen.
Ganze Wohnviertel liegen in Schutt und Asche. Viele Straßen sind kaum wiederzuerkennen. UN-Schätzungen zufolge wurden rund 1,8 der mehr als 2,2 Millionen Einwohner durch Angriffe und Zerstörung aus ihren Häusern vertrieben. Im Zuge des Kriegs wurden demnach bisher 46.000 Wohnungen im Gazastreifen zerstört und mehr als 234.000 beschädigt. Das entspreche zusammen 60 Prozent des Wohnraums.
Feuerpause trat am Freitag in Kraft
Auch das Zuhause seiner achtköpfigen Familie sei betroffen, erzählt Adam, der seinen Nachnamen nicht nennen will, der Deutschen Presse-Agentur. Der vierte Stock des Wohnhauses sei zerstört worden. Trotz wiederholter Aufrufe der israelischen Armee, in den Süden des abgeriegelten palästinensischen Küstengebiets zu fliehen, seien er und seine Familie im umkämpften Norden geblieben.
Die zunächst vier Tage dauernde Feuerpause trat am Freitag in Kraft und wurde schließlich um zwei Tage verlängert. Sie dürfte nun noch bis diesen Donnerstagfrüh andauern. Ob die Kampfpause danach noch einmal verlängert wird, war am Mittwoch zunächst noch offen.
Die Angst vor der Fortsetzung der Kämpfe und dabei zu sterben, begleite ihn zu jeder Zeit, sagt der Palästinenser Adam. Die Tage der Feuerpause reichten kaum dazu aus, um mit all der Zerstörung in seinem Leben fertig zu werden.
Massive finanzielle Hilfe benötigt
Fotos und Videos aus dem Gazastreifen zeigen, wie Menschen nach Beginn der Kampfpause in den Ruinen ihrer Häuser nach Habseligkeiten suchen, auf grauen Trümmerbergen weinen oder fassungslos zwischen Häuserskeletten gehen. Fotos zeigen Kinder, die auf den Trümmern sitzen und Familien, die in ausgebombten Häusern Schutz suchen und bei offenem Feuer etwas zu Essen zubereiten. Nach mehr als sieben Wochen israelischer Bombardements sind weite Teile des Gazastreifens nicht mehr wiederzuerkennen. Experten zufolge könnte ein Wiederaufbau Jahrzehnte dauern. Doch dazu müssten die Waffen erst mal permanent schweigen - und es wird massive finanzielle Hilfe brauchen.
Israels Armee greift im Gazastreifen eigenen Angaben zufolge Ziele der Hamas an - auch in dicht besiedelten Wohngebieten. Das Militär wirft der Islamistenorganisation vor, dort Wohnhäuser, Kliniken, Moscheen und Schulen für ihre Terrorzwecke zu nutzen und Anrainer als Schutzschilde zu missbrauchen. Die Hamas bestreitet dies.
Austausch von Geiseln
Auslöser des Gaza-Kriegs war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels. Dabei wurden am 7. Oktober mehr als 1.200 Menschen getötet und etwa 240 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Israel will deshalb die Führung und die militärischen Fähigkeiten der Hamas zerstören. Das Land kündigte an, nach der Feuerpause die Kämpfe fortsetzen zu wollen. Ein Ende des Kriegs ist damit nicht in Sicht.
Noch schlimmer als die Zerstörung wiegt für viele Menschen in dem palästinensischen Küstengebiet der Verlust ihrer Angehörigen. Einige hätten auch wegen des Ausfalls der Kommunikationsnetze erst mit Beginn der Waffenpause vom Tod ihrer Verwandten erfahren, erzählen Anrainer der dpa. Nach Angaben der Hamas kamen in dem Krieg bisher mehr als 14.800 Palästinenser im Gazastreifen ums Leben, Tausende weitere wurden teils schwer verletzt oder gelten aktuell noch als vermisst. Viele sollen unter den Trümmern ihrer Häuser begraben sein. Die von den Behörden im Gazastreifen genannten Opferzahlen lassen sich derzeit nicht unabhängig überprüfen.
Im Zuge eines von den USA, Ägypten und Katar vermittelten Abkommens gibt es neben der Kampfpause auch einen Austausch israelischer Geiseln gegen palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen. Teil der Vereinbarung ist zudem, dass mehr Lastwagen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen kommen. Die humanitäre Lage ist Hilfsorganisationen zufolge aber weiterhin dramatisch.
Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF berichtet etwa von einem Buben, dem durch eine Bombe ein Bein abgerissen wurde. Er habe vier Tage gebraucht, um per Bus in den Süden des Küstenstreifens zu gelangen. Der Stumpf sei entzündet gewesen. Der Bub habe zudem Granatsplitter im Kopf gehabt und Brandwunden am ganzen Körper. Im Krankenhaus musste er trotzdem stundenlang auf Hilfe warten, sagt UNICEF-Sprecher James Elder. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Not deutlich größer als das, was das Gesundheitspersonal bewältigen kann. Die UN warnen auch angesichts von Trinkwassermangel und schlechten sanitären Verhältnissen vor der Ausbreitung von Krankheiten.
In Auffanglagern gibt es laut Elder bereits Babys mit anhaltendem Durchfall, wofür es keine Medikamente gebe. Sie drohten zu sterben. "Wir haben ja eigentlich den menschlichen Instinkt, Kinder zu beschützen, aber ich frage mich hier, ob wir den verloren haben."