Speisekarten, im Würgegriff der "Sättigungsbeilage"
Nennt doch den Genuss beim Namen und lasst das Wort Sättigungsbeilage aussterben.
Das Jahr ist zwar noch jung. Doch mein Unwort für 2017 steht bereits fest. Es ist "Sättigungsbeilage".
Eigentlich war es auch die Jahre davor auf meinem Radar der hoffentlich aussterbenden Gastro-Wörter. Doch heuer orte ich leider ganz im Gegenteil ein sanftes Revival. Ich höre und lese "Sättigungsbeilage" wieder öfter.
Es ist ein Sammelbegriff für kohlenhydratreiche Zuspeisen wie Erdäpfel, Nudeln und Reis. Früher stand auch Teigwaren auf der Karte, wenn man vorher nicht wusste, ob man Spiralen oder Hörnchen zum Saftfleisch servierte.
Ein Kennzeichen der Sättigungsbeilage ist die möglichst neutrale, sprich geschmacklose Zubereitung. Nichts sollte die "Hauptspeise" stören, die manchmal in so kleiner Menge verabreicht wurde, dass die Sättigungsbeilage ihrem Namen leider gerecht wurde.
Ich bin für Gleichberechtigung. Beilagen sollten auf Augenhöhe mit den anderen Zutaten serviert werden und keine Nebenrolle spielen. Das bezieht sich natürlich auch auf den Geschmack. Man muss ja nicht gleich Vegetarier sein. Doch die Fleischborniertheit mancher Speisekarten lähmt die Phantasie für die Zuspeise. Man braucht nicht gerade küchenartistische Einfälle, um Erdäpfel auf die Bühne zu heben. Mit Petersilie und Butter vermählt, tendieren sie auf meinem Teller in Richtung Hauptrolle. Basmatireis, der nach Jasmin duftet, nimmt es locker mit Zürcher Geschnetzeltem auf.
Haben Sie es nicht auch lieber, wenn die Nudelspiralen zur Rindsroulade nicht schüchtern beieinander kleben, sondern selbstbewusst ein Leben abseits des Tellerrandes führen?
Satt werden wir nicht nur von der "Beilage". Satt werden wir von der köstlichen Vielfalt auf unseren Tellern.
Liebe Köche und Köchinnen, Kochshow-Bestreiter und Rezepteschreiber: Nennt den Genuss beim Namen und lasst eines aussterben. Das Wort "Sättigungsbeilage".
Die Kolumne schreiben abwechselnd Karin Haas und Philipp Braun, das Genussteam der OÖNachrichten.