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Expertin warnt vor Long Covid und fordert mehr Prävention

Von nachrichten.at/apa, 02. Jänner 2024, 06:26 Uhr
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(Symbolbild) Bild: APA/GEORG HOCHMUTH

Die Long Covid-Expertin Kathryn Hoffmann fordert in Hinblick auf die Langzeitschäden einer Corona-Erkrankung mehr Prävention ein.

Es sei inzwischen klar, dass sich das Risiko mit jeder Infektion kumulativ erhöht, v.a. wenn von der Vorinfektion noch Schäden bestehen "und sich die nächsten schon wieder draufsetzen", sagte die Leiterin der Abteilung für Primary Care Medicine der meduni Wien gegenüber der APA. Sie plädiert u.a. für Maßnahmen für "saubere Luft" in Innenräumen. Hoffmann betonte, dass der Begriff Long-Covid besser differenziert werden müsse. Die Expertin definiert drei große Gruppen: Erstens jene Betroffenen, die durch einen schweren akuten Verlauf (Lungenentzündung, Herzmuskelentzündung, Lungenfibrose, Nierenschäden etc.) lang anhaltende Schäden erleiden. Die zweite Gruppe umfasst demnach jene, bei denen durch eine Covid-19-Infektion neue Erkrankungen entstehen oder bereits bestehende verschlechtert werden. Hier geht es etwa um Autoimmun-, Lungen-, Herz- und Stoffwechselerkrankungen, Dysfunktionen im Immunsystem oder demenzielle Erkrankungen. Als dritte Gruppe definiert Hoffmann die Neuentstehung des postakuten Infektionssyndroms Post-Covid.

"Was alle brauchen, ist guter Infektionsschutz vor einer erneuten SARS-CoV-2 Infektion", betont Hoffmann. Die genannte Risiko-Erhöhung mit jeder Infektion betreffe insbesondere die zweite Gruppe. Zusätzlich schwäche eine SARS-CoV-2 Infektion zumindest vorübergehend für ein paar Monate das Immunsystem - "und die Menschen werden für Folgeinfektionen, nicht nur mit SARS-CoV-2, anfälliger und für einige Infektionen wird dann auch die Schwere stärker". Auch zu Gruppe 3 gibt es laut Hoffmann Studien, die zeigen, dass ca. 80 Prozent der PatientInnen bei einer erneuten Infektion wieder eine Symptomverschlechterung erleiden.

Bei den ersten beiden Gruppen sei es wichtig, länger anhaltende Symptome nach einer SARS-CoV-2 Infektion ernst zu nehmen und mittels "exzellenter Differenzialdiagnostik" abzuklären. Dies könne in den bereits existierenden Versorgungsstrukturen geschehen und therapiert werden.

Bei der Gruppe 3 hingegen sieht Hoffmann die Versorgungslage als unzureichend an. Für diese Gruppe an Erkrankten (immerhin 2 bis 4 Prozent aller Infizierten) brauche es "dringend" spezifische Behandlungsstellen, "die es derzeit im öffentlichen System kaum bis nicht gibt". "Genau wie bei Multipler Sklerose ist es logisch, dass bei einem so schweren und komplexen Krankheitsbild spezifische Behandlungsstellen vonnöten sind", so Hoffmann. Diese sollten nach differenzialdiagnostischer Abklärung durch Haus- und Fachärztinnen und -ärzten aufgesucht werden können.

Schwere Dysfunktionen

Die Expertin verwies darauf, dass die Betroffenen unter schwersten Dysfunktionen leiden: "Zum Beispiel im autonomen Nervensystem, im Immunsystem, in Bezug auf das Endothel (Innere Schicht, Anm.) der Gefäße, bei der Energiegewinnung in den Mitochondrien auf Zellebene, bei der Perfusion (Durchblutung, Anm.) von Gehirn und anderen Organen bzw. Gewebestrukturen, bei den Transmittersubstanzen zwischen den Nervenzellen, im Darmmikrobiom, Schädigung von spezifischen Nervenfasern und durch die Reaktivierung von sich latent im Körper befindlichen Viren wie z.B. Herpesviren, die wiederum Schäden verursachen".

Als mögliche Folgen nennt Hoffmann die Entstehung einer Post-Exertional Malaise (schwerste Belastungsintoleranz, Anm.), von Dysautonomien (Fehlfunktionen des autonomen Nervensystems) oder des Posturalen Tachykardiesyndroms (POTS). Außerdem können Schlafstörungen, das Mastzellenüberaktivierungssyndrom, kognitive Dysfunktion, Mikrothromben und vieles mehr auftreten. "Leider gibt es weiterhin keine heilende Therapie, sodass alle Therapieansätze nur auf Symptomlinderung ausgerichtet sind."

Unter den geforderten "Behandlungsstellen" versteht Hoffmann Strukturen, in denen Ärztinnen und Ärzte (und andere Gesundheits- und Sozialberufe) arbeiten, die eine "spezifische Expertise zu postakuten Infektionssyndromen wie eben Post-Covid und ME/CFS haben". Hoffmann wies gegenüber der APA darauf hin, dass ME/CFS die schwerste Verlaufsform eines postakuten Infektionssyndroms ist - mit dem Symptom Post-Exertional Malaise (PEM).

Es handle sich hierbei um ein "fächerübergreifendes Spezialwissen". Die Syndrome können daher laut Hoffmann zu großen Teilen nicht in der Regelversorgung abgehandelt werden. Als Beispiel nannte sie neurologische Symptome, die angiologische (Erkrankung der Gefäße) und/oder immunologische Ursachen haben können. Es brauche spezialisiertes Wissen, um die richtigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen ergreifen zu können. Auch verwies Hoffmann darauf, dass Menschen mit postakuten Infektionssyndromen öfters sehr schwer körperlich beeinträchtigt sind und umfassende medizinische und soziale Unterstützung zu Hause brauchen.

Nachdem es sich bei SARS-CoV-2 um eine "hochinfektiöse Erkrankung handelt, mit welcher Mensch sich zwei bis drei Mal im Jahr mit immer unterschiedlichen Varianten anstecken kann, welche dabei jedes Mal ein zehnprozentiges Long-Covid Risiko mit sich bringt und vulnerabler für andere (Infektions-) Erkrankungen macht, braucht es klare, transparente, wissenschaftliche und logisch-nachvollziehbare Schutzmaßnahmen, um wieder zu einer nicht-dauerkranken Gesellschaft zurück zu finden", sagte Hoffmann.

Wirtschaftliche Schäden durch hohe Infektionszahlen

In Großbritannien und den USA würden die vielen Langzeitausfälle durch Long-Covid bereits Schlagzeilen machen. In Österreich steige die Anzahl von gleichzeitig Erkrankten und Krankenstandstagen von Jahr zu Jahr, aufschlussreiche Daten aus Österreich zu Long-Covid würden aber leider völlig fehlen. Ein wichtiger Punkt der Prävention sei auch die Ermöglichung der sozialen und medizinischen Teilhabe von Menschen, die sich nicht infizieren dürfen: Etwa Personen mit Immundefekten, jene die unter Immunsuppression stehen oder von Long-Covid Betroffene - aber auch jene Menschen, die sich nicht infizieren und dem Long-Covid-Risiko aussetzen wollen.

Auch verweist Hoffmann auf die wirtschaftlichen Schäden der hohen Infektionszahlen: Der alleinige Fokus auf die Intensivstationsbelegung sei deutlich zu kurz gegriffen. Der aktuelle Fokus sollte darauf liegen, dass durch die ständigen hohen Krankenstände durch die akuten Infektionen, Reinfektionen und Folgeinfektionen als auch durch die Long-Covid Schäden die Wirtschaft auf Dauer stark negativ beeinträchtigt werde. "Bei den Long-Covid Schäden geht es vor allem auch nicht nur um vollständige Ausfälle sondern z.B. auch um die kognitiven Beeinträchtigungen der Gesellschaft nach auch nur leichten Infektionen", so Hoffmann.

Ein weiterer Fokus sollte auf die sinkende Lebenserwartung und vor allem auf die sinkenden Lebensjahre in Gesundheit gerichtet sein. Auch trage die ständige erhöhte Belastung des Gesundheitssystem bei ständigen Ausfällen beim Personal zu andauernder hohen Belastung des Personals und sekundär zu Personalmangel bei.

Hoffmann betonte, dass es sich bei SARS-CoV-2 um ein über die Luft übertragbares Virus handelt. Daher sollten "sofort Maßnahmen zu sauberer Luft in Innenräumen" umgesetzt werden - allen voran in Kindergärten und Schulen. Gleiches gelte aber auch für öffentliche Verkehrsmitteln, Großraumbüros und das Gesundheitswesen (Krankenhäuser, Ordinationen, ebenso etwa für Physiotherapie- oder Psychotherapieordinationen sowie Kur- und Rehabilitationseinrichtungen).

Bis es soweit ist, brauche es auch "qualitativ hochwertige Masken", vor allem im Gesundheitswesen und in öffentlichen Verkehrsmitteln - und die Möglichkeit niederschwellige, gute Testmöglichkeiten und Medikamente im Krankheitsfall zu bekommen. Als Beispiel verwies Hoffmann etwa auf New York, wo aktuell Gratis-PCR-Testmöglichkeiten angeboten werden (https://go.apa.at/gHnywVoP).

Geeignete Mittel zur Herstellung von "sauberer Luft" seien beispielsweise HEPA-Filtersysteme - angepasst auf Raumgröße und Menschenanzahl - und zwar solange, "bis Be- und Abluftsysteme flächendeckend implementiert sind". Hoffmann erinnerte auch daran, dass Gesellschaften imstande sind, derartige Maßnahmen umzusetzen: Dies habe sich bereits im 18. und 19. Jahrhundert gezeigt: "Als Wasser gesund wurde - durch Kanalisation, Kläranlagen und in Wien durch den Bau des Wiener Wasserleitungsweges. Jetzt ist die Luft dran". Saubere Luft sei nicht nur ein Vorteil in Bezug auf SARS-CoV-2, sondern reduziere auch das Risiko, an anderen Luft-übertragbaren Erkrankungen wie etwa der Influenza zu erkranken. Außerdem steige die Konzentration und derartige Maßnahmen würden auch vor Feinstaub und Pollenbelastung schützen. Im Gesundheitswesen halte sie saubere Luft und Infektionsschutz für ein "Must-Have", so Hoffmann.

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