Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

gemerkt
merken
teilen

70 Jahre „Mühlviertler Hasenjagd“: Die Menschenjagd

Von Manfred Wolf, 24. Jänner 2015, 00:04 Uhr
Die Menschenjagd
... steil hinunter zum Marbach ... Bild: hermann wakolbinger

Die "Mühlviertler Hasenjagd" war eine der größten Massenfluchten aus einem NS-Konzentrationslager. In den Tagen danach wurden die Häftlinge gejagt wie die Hasen – und beinahe alle getötet.

Das ganze Land liegt einem von hier oben zu Füßen. Unten fließt die Donau friedlich vorbei. Die Fernsicht wird im Süden erst von den Alpen begrenzt. Ein paar Sonnenstrahlen stechen durch die Wolkendecke. Im Norden reicht die Sicht bis ins damalige Protektorat Böhmen und Mähren.

Hier oben, das ist beim ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen. Der Block 20 liegt im Norden des Lagers. Hier hat vor 70 Jahren der Ausbruch seinen Ausgang genommen – und in der Folge die Jagd auf wehrlose, misshandelte und ausgezehrte Menschen, die "Mühlviertler Hasenjagd".

Die im Block 20 internierten Offiziere wussten, dass auf sie der Tod wartet. In der Flucht sahen sie ihre einzige Chance – diese war für 29. Jänner geplant. Doch die SS erfuhr davon und ließ 25 Block-Insassen mit starker Konstitution hinrichten. Die anderen Häftlinge ließen sich weder davon, noch von der eisigen Kälte – es hatte minus acht Grad und das Land lag unter einer Schneedecke – abschrecken.

"Vorwärts für die Heimat"

Um 0.50 Uhr rissen sie nach einer Ansprache, die mit den Worten "Vorwärts für die Heimat" endete, die Fenster auf, warfen Seifenstücke, Kohle- und Betonbrocken auf die Wachen in den Türmen. Diese erwiderten mit Maschinengewehrsalven. Mit Feuerlöschern dämmten Häftlinge die Sicht ein, während die ersten über die mit Stacheldraht und Starkstrom gesicherte, zweieinhalb Meter hohe Außenmauer kletterten. Mit nassen Decken sollte der Draht kurzgeschlossen werden – tatsächlich erledigten dies die ersten Häftlinge, "erfasst vom Rausch des Ausbruchs", wie es in Erinnerungen heißt, mit ihren Körpern.

"In den Drähten hängend und unten an der Mauer lagen tote Häftlinge in unnatürlichen Posen." (Erinnerungen des Überlebenden Aleksandr Micheenkov)

Je später die Häftlinge aus der Baracke kamen, desto höher ihre Überlebenschancen. Denn die Posten des Wachturmes "A" wurden von Häftlingen überwältigt und die anderen Türme beschossen. Indess überquerten die Flüchtlinge das ebenfalls mit Stacheldraht gesicherte Werkstättengelände. Von den 570 "K-Häftlingen" schafften es zumindest 419, das Lager zu verlassen. Viele starben im Kugelhagel, einige, circa 70, waren zu schwach, um beim Ausbruch mitzumachen – sie wurden unmittelbar danach von der SS liquidiert.

"Krank, ausgezehrt lagen sie ohne Bewegung auf dem Boden und blickten auf uns mit sehnsüchtigen Augen. Bei vielen glänzten Tränen." (Aleksandr Micheenkov)

Dort, wo vor 70 Jahren die Ausbrecher entscheiden mussten, in welche Richtung sie flohen, wartet Franz Aigenbauer. Der Linzer ist Lehrer und Mitarbeiter im Internationalen Mauthausenkomitee. Kaum einer weiß über Flucht und Fluchtwege mehr als er. Zehn Mal im Jahr wandert er mit Gruppen auf den Spuren der "so genannten Hasenjagd", wie er sie nennt, und das seit mehr als drei Jahrzehnten.

"Wichtig war nun, so schnell wie möglich vom Lager weg, und zwar in Gruppen zu zweit oder zu dritt", sagt Aigenbauer und erklärt: "So konnte man sich gegenseitig helfen." Doch einige kamen nicht weit: "Schon nach wenigen Metern haben sich viele übermacht und sind zurückgeblieben."

Andere liefen direkt ins Verderben: Im nahen Schloss Marbach waren SS-Offiziere einquartiert. Alarmiert vom Lärm der Sirene und der Gewehre, erschossen sie heranlaufende Häftlinge direkt auf der Wiese nebenan.

Überall waren Schüsse zu hören, niemand wagte sich aus dem Haus. Eine Bewohnerin der Siedlung Marbach, die heute noch dort lebt, berichtet, dass "Häftlinge hier vorbeigelaufen sind und versucht haben, etwas zu essen zu kriegen".

In den Tagen nach dem Ausbruch kam es zu grausamen Momenten, aber auch zu mutigen Hilfestellungen. Bäuerinnen legten Erdäpfel vor ihre Türen und hängten Wäsche auf, die die frierenden Häftlinge mitnehmen konnten. "Diese Mut-Geschichten faszinieren mich", sagt Aigenbauer. "Es war eine Riesenleistung von jedem, der ein Zeichen gesetzt hat unter diesen Bedingungen."

Mit Bedingungen meint Aigenbauer, dass die perfide Nazi-Propaganda auch hier griff: "Lagerkommandant Franz Ziereis ließ verlautbaren, dass Schwerverbrecher aus dem Lager ausgebrochen seien – diese gelte es zu erschlagen oder zu erschießen. Es seien keine Gefangenen zu machen, ‚damit macht ihr mir keine Freude‘." Dementsprechend verängstigt war die Bevölkerung – und aufgehetzt.

Als "unendliche Schuld der Bevölkerung" beschrieb Schwertbergs Postenkommandant Johann Kohout die Ereignisse von damals. Denn am Morden nahmen auch Zivilisten teil. Selbst Hitlerjunge wurden zu Mördern. Unter Gendarmerie und Volkssturm gab es aktiv wie passiv Teilnehmende. Kohout hatte seinem Suchtrupp klargemacht, dass man in dieser Nacht nicht viel sehen könne und es daher schwer sein würde, jemanden zu finden. Tatsächlich war die Nacht klar, wenige Tage nach Vollmond.

"Im letzten Todeskampf ..."

"Wälder und Bachsäume boten Schutz. Gleichzeitig waren Flüsse entscheidende Hindernisse", sagt Aigenbauer. Die – teils blutigen – Spuren, die die Flüchtenden im eisigen Schnee hinterließen kamen den Suchenden zugute. Und so wurden beinahe alle erwischt.

Die Toten wurden gestapelt und tagelang liegen gelassen – zur Abschreckung. Wie hinter der ehemaligen Volksschule in Ried, wo seit 2001 ein Mahnmal an die "sogenannte Hasenjagd" erinnert.

"Im letzten Todeskampf werden viele von uns oder fast alle fallen (...) Wir hoffen, dass mancher durchkommt." (Viktor Ukraincevs Erinnerung an die Rede vor der Flucht)

Dass zumindest acht "K-Häftlinge" überlebt haben, ist unter anderem jenen zu verdanken, die Widerstand geleistet haben und – wie die Familien Langthaler und Mascherbauer in Schwertberg – Asyl gewährt haben. So konnten an den Tagen nach Mariä Lichtmess 1945 ein paar Sonnenstrahlen die dicke Wolkendecke durchstechen.

Auf den Spuren der Flüchtlinge mit Franz Aigenbauer am 28. Februar, 13 Uhr. Treffpunkt Gedenkstätte Mauthausen. Danach Gespräch mit Anna Hackl in Ried. Anmeldung: perspektive-mauthausen.at

"Vor lauter Feigheit gibt es kein Erbarmen": Erinnerungen, Einträge in Chroniken und Tagebücher

Vor 70 Jahren: „Mühlviertler Hasenjagd“

In der Nacht von 1. auf 2. Februar 1945 kam es im Konzentrationslager Mauthausen zu einer Massenflucht. Etwa 500 Häftlinge brachen aus dem Block 20 des Lagers aus – ihre Verfolgung ist als „Mühlviertler Hasenjagd“ bekannt und markiert ein dunkles Kapitel der regionalen Geschichte.

Block 20: Die Baracke 20 (Block 20) war von Anfang an ein Todesblock. Bis 1943 wurden hier kranke Häftlinge mit minimaler Versorgung interniert, danach (ab 1944) so genannte „K-Häftlinge“. Sie erhielten nur unregelmäßig Kleinstrationen von Lebensmitteln und mussten auf Holzböden schlafen. Die Überlebensdauer eines Häftlings betrug wenige Wochen.

„Aktion K“: Das „K“ stand für Kugel, also Tod durch Erschießen. Von Februar ‘44 bis Februar ‘45 kamen unter diesem Befehl in Mauthausen 5040 Menschen ums Leben – viele wurden zu Tode gequält. 1945 lebten noch 570 „K-Häftlinge“, die meisten waren russische Offiziere. Sie waren nach Fluchtversuchen aus anderen Lagern hierher gekommen.

Juristische Aufarbeitung: Von den an der „Jagd“ beteiligten Zivilisten wurden 30 nach Kriegsende juristisch verfolgt, 14 wurden zum Tode verurteilt beziehungsweise kamen im Gulag um. Einige kamen dem sowjetischen Militärtribunal zuvor und verübten Selbstmord.

Peter Kammerstätter: Dank Peter Kammerstätter gibt es heute fundierte Aufzeichnungen aus dieser Zeit. Er führte von 1967 bis 1993 unzählige Gespräche mit Zeitzeugen. Zu Kriegsbeginn wurde das illegale KPÖ-Mitglied im KZ Buchenwald interniert – er sei „fanatisch“ und bedürfe „steter Beobachtung“. 1940 wird er von seiner Firma als „kriegsnotwendig“ angefordert und kommt frei. Für seine Arbeit erhält er zahlreiche Auszeichnungen – 1993 stirbt er in Linz.

Fluchtrichtungen der „K-Häftlinge“

Die meisten „K-Häftlinge“ kamen nicht über einen 8-Kilometer-Radius hinaus. Von acht Überlebenden gibt es exakte Aufzeichnungen:

Nikolaj Cemkalo und Michail Rybcinskij überlebten bei Familie Langthaler, Ivan Baklanov und Vladimir Sosedko haben sich bis ins Waldviertel durchgeschlagen. Aleksandr Micheenkov schaffte es bis in die Tschechoslowakei. Ivan Bitjukov und Viktor Ukraincev wurden in den ersten zwei Wochen von Zwangsarbeitern in Naarn versteckt, Ukraincev schlug sich dann bis nach Prag durch, wo er abermals verhaftet wurde. Unter falschem Namen kam er zurück nach Mauthausen und überlebte. Vladimir Sepetja und Ivan Derkac flohen nach Linz. Derkac wurde gefasst, Sepetja erst später. Unter falschem Namen kam er ins Stalag nach Pupping und überlebte.

Bis zu 19 Häftlinge waren laut SS unauffindbar: So hat ein Bub in Windhaag einen Flüchtling gesehen. In Gallneukirchen sollen je zwei von Bauernfamilien versteckt worden sein (Namen nicht überliefert). Auch in Alberndorf sollen Landwirte einem das Überleben gesichert haben.

mehr aus Oberösterreich

Ein Wochenende im Zeichen des 100-jährigen Linzer Mariendoms

Biker (57) in Zell am Moos gegen Hauswand geschleudert: schwer verletzt

Wetterausblick: Sonniger Feiertag für Oberösterreich

Pöbeleien und Tritte am Urfahraner Markt - 3 Freunde (11) von Gruppe Jugendlicher bedrängt

Lädt

info Mit dem Klick auf das Icon fügen Sie das Schlagwort zu Ihren Themen hinzu.

info Mit dem Klick auf das Icon öffnen Sie Ihre "meine Themen" Seite. Sie haben von 15 Schlagworten gespeichert und müssten Schlagworte entfernen.

info Mit dem Klick auf das Icon entfernen Sie das Schlagwort aus Ihren Themen.

Fügen Sie das Thema zu Ihren Themen hinzu.

Aktuelle Meldungen