LOS ANGELES. Zum 91. Mal wurden die wichtigsten Filmpreise der Welt vergeben. "Roma" gewann in den Königskategorien Regie, Kamera und bester fremdsprachiger Film - vier Oscars für "Bohemian Rhapsody"
Es war schon so gut wie fix: Nachdem Alfonso Cuaron für seine brillante Hommage an seine Kindheit in Mexiko City bereits den Oscar für die beste Regie, den besten fremdsprachigen Film und die beste Kamera gewonnen hatte, schien der Goldmann für den besten Film lediglich eine Formalie zu sein.
Doch es kam anders. Überraschend gewann Green Book den Oscar für die beste Leinwand-Arbeit.
Das Roadmovie über den distinguierten wie intellektuellen Musiker Doc Shirley (Mahershala Ali) und den grobschlächtigen Chauffeur und Ex-Rausschmeißer Tony "Lip" Vallelonga (Viggo Mortensen), die sich auf einer Fahrt durch den US-Süden kennen und schätzen lernen, erregte seit den Nominierungen die Gemüter.
Die Kontroverse entspann sich um rassistische Motive, die viele im Film erkennen wollen. Der Vorwurf im Kern: Wieder einmal wird ein Schwarzer von einem Weißen "erleuchtet". Diese Stimmen werden nach dem Erfolg von "Green Book" bestimmt nicht leiser werden, sondern noch lauter. So titelte bereits die L. A. Times: "Der schlimmste Oscar-Gewinner seit einer Dekade!"
An "Green Book" gingen weiters der Oscar für das beste Original-Drehbuch und jener an Mahershala Ali als bester Nebendarsteller. Er wurde bereits für seine Leistung in "Moonlight" in derselben Kategorie prämiert.
Video: ORF-Filmexperte Christian Konrad war bei der Oscar-Verleihung live dabei, die diesmal erstmalig ganz ohne Moderator auskommen musste:
Vier Oscars für Bohemian Rhapsody
Somit ziehen Green Book und Roma mit je drei Goldmännern gleich. Nur noch mehr, nämlich einen, hat der Queen-Film Bohemian Rhapsody - für Rami Malek als besten Hauptdarsteller. Wobei hier die Quantität die Qualität nicht "sticht": die restlichen Goldmänner erntete der Film in keiner weiteren so tragenden Königskategorie, sondern für Schnitt, Tonschnitt und Tonmischung.
Doch mit "Romas" zuletzt doch noch etwas abgebremsten Siegeszug geschah, was ohnehin alle erwartet und viele vielleicht sogar befürchtet haben: Ein Film von Netflix, eines Streaming-Diensts, reüssierte.
Ist das der Untergang des Kinos?
Nein. Aber eine Veränderung, die Fragen aufwirft, die beantwortet werden müssen. Wollen A-Festivals wie Cannes ihren Regeln treu bleiben und weiter keine Produktionen von Streaming-Diensten in Wettbewerben zulassen? „Roma“ begann seinen Triumphzug in Venedig, wo das kein Thema war.
Wie wollen Streaming-Dienste mit Filmproduktionen umgehen, denen sie Kinostarts in Aussicht gestellt haben? Bei „Roma“ wurde viel versprochen, aber wenig gehalten.
Wird die Academy ihre Regeln adaptieren? Denn um überhaupt in den Wettbewerb um den Oscar einsteigen zu können, bedarf es Kinostarts unter bestimmten Konditionen.
Fest steht, die Entscheidungen, die die Verwertungskette bis hin zu den österreichischen Verleihen und den oberösterreichischen Kinos betreffen, werden nicht hier getroffen, sondern in den USA.
Zehn Nominierungen, ein überraschender Gewinn
Die großen Verlierer dieses Abends hängen indes zusammen: The Favourite, der über die von Macht geprägte Beziehung dreier adeliger Frauen am britischen Königshof erzählt, war zehn Mal nominiert.
Eine Preischance wurde zu Gold gemacht: Olivia Colman, die Queen Anne als grandios dahinsiechendes Wrack gibt, ist als beste Hauptdarstellerin prämiert worden.
Die Britin verdrängte somit Glenn Close von ihrem sicher geglaubten "Posten" für ihre furiose Leistung in "Die Frau des Nobelpreisträgers.
Während Letzteres doch überraschte, war die schwache Ausbeute von "The Favourite" erwartbar - mit der exzentrischen Handschrift, die Regisseur Yorgos Lanthimos mit Haltung gegenüber Hollywood-Standards sehr gut beibehielt und durchsetzte - konnte die Academy wenig anfangen.
Wenig glorreich war der Abend auch für Bradley Cooper. Er selbst war drei Mal nominiert für sein Regiedebüt, den romantischen Musicalfilm A Star Is Born (insgesamt acht Nominierungen).
In der Kategorie bester Hauptdarsteller verlor er an Rami Malek, der für seine fulminante Darstellung von Freddie Mercury prämiert worden ist.
Coopers Co-Star Lady Gaga wiederum gewann einen Oscar für den besten Filmsong ("Shallow").
Video: Lady Gaga und Bradley Cooper singen "Shallow" auf der Oscarbühne:
Mehr Erfolg hätte man Spike Lee für seinen irrwitzig wie tiefgründigen Film BlackKklansman vergönnt, in dem - nach wahren Begebenheiten - ein schwarzer Beamter in den 70ern mit Unterstützung eines jüdischen Strohmanns den faschistisch-rassistischen Ku Klux Klan infiltrierte. Er war für "Regie" und "bester Film" nominiert, den Goldmann bekam er für die beste Adaption eines Drehbuchs.
Das schwarze US-Kino war in Summe gut repräsentiert - auch wenn das für Kritiker der Sieg von "Green Book" bestimmt schmälern wird.
Seitdem sich die schwarzen Filmschaffenden in Hollywood zu Recht gegen ihre Marginalisierung gewehrt haben, ist kaum eine Oscar-Verleihung vergangen, während der nicht afroamerikanische Filmprofis Geschichte geschrieben hätten. So war es auch bei der 91. Verleihung.
Gestern gewann mit Ruth Carter die erste Afroamerikanerin den Goldmann für bestes Kostümbild. Hannah Beachler bekam ihn für das beste Szenenbild. Sie war auch die erste Schwarze, die jemals in dieser Sparte nominiert war. Beide wurden für ihre Leistungen in Black Panther geehrt.
Mit Black Panther, der ersten Comic-Adaption, die jemals für einen Oscar als bester Film nominiert worden ist, ist es auch gelungen, das neuere „Black Cinema“ der Nuller-Jahre zu öffnen. Ein Genre, das in schmerzhaft- tragischen Werken Sklaverei aufarbeitete („Twelve Years A Slave“). Jetzt ist es daran, afroamerikanische Filmschaffende nicht auf singuläre wie populäre Kino-Ereignisse zu reduzieren. Sie brauchen keine „Spielplätze“, sondern Selbstverständlichkeit.
Sichtbar gemacht wurden Frauen aber nicht nur durch Black Panther, sondern vor allem auch durch Roma, der in männlicher Abwesenheit spielt, die ein Kindermädchen und die Herrin eines gehobenen Haushalts vereint.
Was bei der Gala aber leider noch viel deutlicher wurde, als die Rechte von Frauen und Afroamerikanern,
war das Absinken der TV-"Show" in die audiovisuelle Bedeutungslosigkeit:
Ohne Moderator wirkte sie gehetzt, vom Charme her nicht viel besser als die Verkündung der Nominierten.
Die Höhepunkte waren die Live-Performances von Queen mit Adam Lambert („We Will Rock You“, „We Are The Champions“), Lady Gaga und einem souveränen Bradley Cooper („Shallow“) und die Musik von John Williams während der Hommage an die verstorbenen Filmschaffenden – Dirigat: Gustavo Dudamel.
Stimmen Sie ab:
Wer die meisten Oscars gewann
BOHEMIAN RHAPSODY: 4 Oscars
Bester Hauptdarsteller (Rami Malek)
Bester Schnitt
Beste Tonmischung
Bester Tonschnitt
ROMA: 3 Oscars
Beste Regie (Alfonso Cuaron)
Beste Kamera (Alfonso Cuaron)
Bester fremdsprachiger Film
GREEN BOOK: 3 Oscars
Bester Film
Bestes Originaldrehbuch
Bester Nebendarsteller (Mahersha Ali)
BLACK PANTHER: 3 Oscars
Bestes Szenenbild
Beste Musik
Bestes Kostümdesign
Die Oscar-Nacht im Liveticker:
Ein Rückfall in überwunden geglaubte Zeiten.
Wie kann man einen braven, biederen Film wie "Green Book" auszeichnen, wenn Filme wie "The Favourite", "Roma", "Blackkklansman" oder "Vice" nominiert waren?