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Ein Bergmarathon durch die gesamte Gefühlswelt

Von Gabriel Egger   05.Juli 2016

Nur noch wenige Meter über den aufgeheizten Asphalt der Gmundner Esplanade. Sie scheinen endlos zu sein, obwohl ich die Erlösung bereits spüren kann. Das Klatschen der Zuschauer beflügelt den müden Geist, lässt ihn ein letztes Mal über die ausgezehrten Glieder triumphieren. Wann wirkte der Traunsee jemals so einladend? Wahrscheinlich bei meiner ersten Teilnahme beim Bergmarathon rund um ihn im vergangenen Jahr. Aber die Anstrengung verdrängt der begeisterte Sportler recht gerne. Selbst wenn sie auf 70 Kilometern und 4500 Höhenmetern die Hauptrolle spielt. Ein letzter Blick in die Augen meines Kumpanen, den ich erst auf halber Strecke getroffen habe. Jetzt möchte ich ihn nicht mehr hergeben.

Ein Bergmarathon durch die gesamte Gefühlswelt
Beim Einlauf in Ebensee sind die Beine bereits schwer.

Beim Einlauf in Ebensee sind die Beine bereits schwer.

Dann: der befreiende Schritt über die Zielmatte. Nach neun Stunden, 42 Minuten und 21 Sekunden. Die Muskeln lassen nach, Adrenalin und Konzentration fallen im Gleichschritt, und die Tränen der Freude fließen über die salzige Haut. Glück, Zufriedenheit, Dankbarkeit. Die drei Eckpfeiler nach jedem Abenteuer. Doch heute ist etwas anders. Jemand fehlt. Die große Bergmarathon-Familie, die in Freud, Leid und Irrsinn vereint ist, vermisst ein Mitglied.

Ein Bergmarathon durch die gesamte Gefühlswelt
Das schönste Gefühl ist dennoch das "Loslassen".

Das schönste Gefühl ist dennoch das "Loslassen".

Stunden der Anspannung

Davon ahne ich noch nichts, als der Wecker im Hotel am Fuße des Grünbergs um 2 Uhr Früh läutet. Vor wenigen Minuten hatte mein 19-jähriger Laufpartner Moritz das obligatorische "Gute Nacht" durch ein "Bis gleich" ersetzt.

Der Weg durch die sternenklare Nacht auf den Gmundner Rathausplatz, vorbei an liebestrunkenen Nachtschwärmern und begleitet von schwer verständlichen Motivationsversuchen ist geprägt von Nervosität, Vorfreude und der Angst vor dem Ungewissen. Als um 3 Uhr der Startschuss fällt, braucht die Freude keine Präposition mehr. Die Stirnlampen der 370 Teilnehmer leuchten wie Glühwürmchen, und ganz wie die Käfer scheinen sie fliegen zu können. Der Grünberg wird im Dunkeln zurückgelassen, während uns das Morgenrot einen würdigen Empfang auf dem Naturfreundesteig auf den Traunstein bereitet.

Die Gespräche werden kürzer, die Luft dünner. Der Wille treibt die Beine voran, die aufgehende Sonne tröstet über die Strapazen hinweg.

Ein Bergmarathon durch die gesamte Gefühlswelt
Der Gmundnerberg ist der letzte Knackpunkt, bevor es endlich ins Ziel nach Gmunden geht.

Der Gmundnerberg ist der letzte Knackpunkt, bevor es endlich ins Ziel nach Gmunden geht.

Wer ist hier der Ochs?

Endlose Forststraßen stellen den Kopf nach dem Abstieg über den Mairalmsteig vor eine große Herausforderung. Unterhaltungen folgen, über die Lippen huscht ein mildes Lächeln. Philosophie wechselt sich mit völliger Belanglosigkeit ab. Bei der Labstelle in Karbach empfangen uns nicht nur freundliche Gesichter, sondern auch die eigene Trotzigkeit. Der steile Daxnersteig auf die Spitzlsteinalm kann noch oft unter meine Beine kommen – Freunde werden wir nicht. Zum ersten Mal kommt Wut auf. Samstag, 6.30 Uhr früh. Warum tust du dir das an? Du könntest jetzt deinen Kopfpolster und nicht den Dreck aus deinen Haaren schütteln. Als mich die Hochlandrinder auf der Alm anblicken, als wäre ihr Ochs zurückgekehrt, ist alles wieder gut. Bei der Hälfte in Ebensee trennen sich die Wege von Moritz und mir. Richard übernimmt. Wir haben uns lange nicht gesehen, es gibt viel zu erzählen. Der Feuerkogel will das nicht hören, er drängt mit seinen steilen Serpentinen zur Ruhe.

Ein Bergmarathon durch die gesamte Gefühlswelt
Beim Bergmarathon entstehen während des Laufes neue Freundschaften.

Beim Bergmarathon entstehen während des Laufes neue Freundschaften.

Trauer statt unbändigem Glück

Der Abstieg ins Langbathtal und die Anstiege zur Hochsteinalm und auf den Grasberg werden zur Schlacht. Mit der Hitze und dem Gefühl, sich nur mehr unter einen Baum legen zu wollen. Richard motiviert, wir halten fest zusammen. "Wir schaffen das." Seine Stimme klingt schwach, aber überzeugend. So überzeugend, dass ich die Hürde Gmundnerberg elegant überspringen kann. Mehr oder weniger. Die Hände vereinen sich zur gemeinsamen Siegerpose. Es ist vollbracht. Obwohl wir bei der Veranstaltung jedes Jahr aufs Neue mehr im Licht als im Schatten laufen, haben wir heuer alle verloren. Marcus ist nicht mehr bei uns. Trauer – das einzige Gefühl, das beim Bergmarathon niemand spüren sollte.

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26. April 2024