Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

Hermann Nitsch: „Meine Musik hat ihren Ursprung im Schrei“

Von Bernhard Lichtenberger   24.November 2012

Am „Tag der Tausend Finger" wird am Sonntag im Ursulinensaal des OÖ Kulturquartiers in Linz Hermann Nitschs „Sinfonie für 100 Pianisten an 33 Klavieren und 1 Synthesizer“ uraufgeführt. Die auf Millimeterpapier festgehaltene Vision hat der Dirigent Peter Jan Marthé für die Musiker übersetzt. „Es war die bisher größte Herausforderung meines Lebens, die an eine Himalaya-Tour grenzt“, sagt Marthé. „Das Schwierige ist, dass zwischen der Klangwelt des Hermann Nitsch und der Klangmaschine Klavier ein unüberbrückbarer Abgrund liegt – das ist der Ton.“

Der Gesamtkünstler Nitsch, der in erster Linie für sein Orgien-Mysterien-Theater lebt, war dennoch vom Gelingen von Anfang an überzeugt: „Wenn der Marthé das umsetzt, wird es sicher gut“, sagt der 74-Jährige im Exklusiv-Interview mit den OÖNachrichten.

OÖNachrichten: Welche Rolle spielt die Musik in Ihrem Leben?
Hermann Nitsch: Ich bin in erster Linie Dramatiker, und dramatisches Geschehen hört man. Wenn einer einen umbringt, schreit meistens einer. Meine Musik hat ihren Ursprung im Schrei, in der Lärmmusik, im Vorsprachlichen und ist verbunden mit exzessiven Erlebnissen – da denke ich an ächzen, stöhnen, grunzen, wimmern, ja sogar aus der analen Richtung gibt es oft lärmende Gase, die entweichen.

Wie komponieren Sie?
Ich bin der Musiktheorie nicht kundig, ich habe mir eine eigene Partitur auf Millimeterpapier entwickelt. Da werden Linien gezogen, die bedeuten langgezogene Töne. Ich komme ohne Noten aus, und mein Stardirigent Peter Jan Marthé schreibt vielfach meine Sachen um, damit es das Orchester leichter hat.

Was muss eine Musik haben, dass Sie als Empfindung das Wort „schön“ ausspucken?
Die Form hat nichts mit der landläufigen Ästhetik zu tun, Form ist nicht, dass irgendwo Blumerl an einer Tapete sind oder dass etwas bekömmlich designt ist. Form geht unglaublich tief, muss den Tod, Leid, Qual beinhalten, extremsten Jubel und Freude, die Form muss das ganze Leben binden und konzentriert darstellen. Wenn das nicht so wäre, könnte der Isenheimer Altar niemals so große Kunst sein: da haben sie den geschundenen, gekreuzigten Christus, und wenn sie die Altarblätter umblättern, haben sie den Auferstandenen, der vor dem unendlichen Kosmos lacht und licht ist. Die Form hat nur mit Schönheit im allerhöchsten Sinn zu tun.

Wann wird es Ihr nächstes Orgien-Mysterien-Theater in Prinzendorf geben?
2014, sechs Tage und sechs Nächte lang. Es wird meine größte und hoffentlich auch beste Arbeit sein. Und ich glaube auch, dass die Musik so verfeinert sein wird wie noch nie.

Warum haben Sie sich vor 30 Jahren einen Weingarten zugelegt?
Ich liebe es schon, teilweise im Weinviertel aufgewachsen zu sein, einen eigenen Weingarten und einen eigenen Wein zu haben. Das gehört auch sehr zu meinem Orgien-Mysterien-Theater dazu, weil der Weingarten und das Weintrinken miteinbezogen sind.

Warum ziehen Sie als Gefäß den Doppler der Bouteille vor?
Ich habe so viele schöne Erlebnisse im Weinviertel gehabt, in den Weinkellern der Bauern, immer diese wunderbar großen Doppelliter, und da ist dieser herrliche Saft herausgeronnen. Bouteillen haben immer eher die bürgerliche Eitelkeit interessiert. Und wer so wenig trinkt, dass er nicht einen Doppler in einem Tag schafft ...

Stemmen Sie sich gegen Wiederholung?
Überhaupt nicht. Ich glaube an die ewige Wiederkehr, das ewige Fließen. Das Fließen ist das Lebendige ohne Zeit. Wir wissen nichts vom Anfang der Welt. Mein Glaube ist, sie war immer schon da und wird ewig da sein.

 

 

Nitsch-Sinfonie

Das Stück: Die Sinfonie, die von Peter Jan Marthé dirigiert wird, dauert eine Stunde. Gespielt wird sie von 33 Pianisten, Schülern und Lehrern des Landesmusikschulwerks.

Das Geschenk: „Nitsch hat der pianistischen Welt damit ein Geschenk gemacht“, sagt Marthé. „Pianisten, Organisten und Cembalisten sind die einsamsten Menschen, sie haben kein Gemeinschaftserlebnis. Durch dieses Werk können sie in ein solches eintauchen.“

Die Termine: Die Nitsch-Sinfonie erklingt am 25. November im Ursulinensaal im OÖ Kulturquartier in Linz um 16 und um 19 Uhr.

Die Karten: im Vorverkauf 22 Euro (ermäßigt 17,50), an der Abendkassa 27 Euro (erm. 22,50)

 www.ooekulturquartier.at 

copyright  2024
27. April 2024