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"Wir können die Welt retten"

Von Sigrid Brandstätter   30.November 2019

Lange marschierten in Oberösterreich die einzelnen Anbieter, die in ihren Spezialgebieten zu den großen Spielern auf der Welt gehörten, getrennt. Erst seit wenigen Jahren ist man sich der geballten Kompetenz in Sachen Kunststoff bewusst und hat begonnen, die Zusammenarbeit über kleinere Projekte im Kunststoff-Cluster hinaus zu verstärken.

Es beginnt im Chemiepark in Linz, wo die OMV-Beteiligung Borealis seit 2009 an der Weiterentwicklung bestimmter Basischemikalien und innovativer Kunststofflösungen forscht. 350 Mitarbeiter sind allein hier tätig. Die Wertschöpfungskette geht weiter im Anlagen- und Werkzeugbau. Spritzguss-Maschinen von Engel aus Schwertberg finden bei Automobil- bis zu Spielzeugproduzenten Einsatz. Die Werkzeuge, die unterschiedliche Anwendungen erst möglich machen,

kommen von Anbietern wie Haidlmair oder ifw aus Micheldorf. SML aus Redlham stellt Schrumpffolien für Paletten her. Dazu kommt die Kremsmünsterer Greiner Gruppe, die vom Joghurtbecher über Flugzeugsitze, Fahrzeug-Innenabdeckungen bis zum Schaumstoff für Matratzen und Medizintechnik-Produkte eine breite Palette an Kunststoffprodukten herstellt. Am Ende der Reihe kommen Wiederaufbereiter wie bage plastics und der Pionier im Bau von Anlagen für Kunststoff-Recycling, Erema mit Sitz in Ansfelden.

In anderen Sparten könne man nicht sagen, ob aus dem kleinen Österreich heraus ein so großer globaler Beitrag geleistet werde. Doch nicht so im Kunststoff: "Wir können die Welt retten", sagt etwa Greiner-Vorstandschef Axel Kühner. In keinem Gebiet der Erde sei die Kompetenz rund um Kunststoff so groß wie in Oberösterreich.

Ähnlich argumentiert Erema-Group-Chef Manfred Hackl. Er war einer der Ersten, der schon vor Jahren für eine Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette plädierte. "Bis vor fünf Jahren hat dort jeder für sich alleine gearbeitet. Nun gibt es schon einige gemeinsame Initiativen." Sein Credo: Schon in der Produktentwicklung und vor allem im Produkt- und Verpackungsdesign sollte der Fokus stärker auf die Sortenreinheit und die einfache Trennung verschiedener Materalien gelegt werden. "Dann ist die Wiederverwertung der Kunststoff-Fraktionen gut machbar", sagt Hackl. Gelingen könne das, wenn große Konsumartikel-Konzerne wie Procter & Gamble, Unilever, Henkel oder Johnson & Johnson ihre Dosen und Behälter recyclingfreundlich gestalten.

Shampooflasche aus Altplastik

Erste Erfolge gibt es bereits. Die Wiederverwertung von PET-Flaschen beginnt auch für Getränkekonzerne ein wichtiges Thema zu werden. Ein lokales Projekt ist der Altspeiseöl-Sammelkübel Öli aus Recyclat auf Initiative des Landesabfallverbandes Lavu.

Bei einem anderen Beispiel zeigt sich, wie global aufgestellt die heimischen Spieler sind: So hat Greiner für eine norwegische Kosmetikmarke eine Shampooflasche entwickelt, die zu 100 Prozent aus wiederverwerteten Plastikmilchflaschen hergestellt wird – die in Großbritannien gesammelt wurden.

"Wir können die Welt retten"
„Die Kunststoffwelt hat die aufkommende Diskussion über böses Plastik viel zu lange ignoriert.“ Axel Kühner, Vorstandssprecher der Greiner Gruppe in Kremsmünste

Kreislaufwirtschaft in der Kunststoff-Industrie werde unabdingbar, sind sich die Industrielenker einig. Um hier voranzukommen, haben Borealis und Erema im Juni dieses Jahres eine Kooperation vereinbart. Konkret geht es um neue technische Lösungen, Standardisierungen bei eingesetzten Rohstoffen und Ausbau der Marktforschung.

Allerdings braucht es auch vermehrt chemisches Recycling, also die chemische Wiederaufbereitung, die für die großindustrielle Anwendung erst entwickelt werden müsse – siehe Interview auf den folgenden Seiten.

„Es gibt viel Raum für Verbesserungen“

"Es gibt viel Raum für Verbesserungen"
Reinhold W. Lang (65) gilt als Kapazität in der Kunststoffforschung. Er leitet das Institut für Polymere und Testing an der Johannes- Kepler-Universität.

Was steckt hinter der Diskussion um Kunststoffe und ihre Abfälle? Wir fragen einen international geschätzten Experten, Univ.-Prof. Reinhold W. Lang vom Polymer-Institut der Universität Linz.

OÖN: In der Produktwerbung hören wir seit längerem viel von der Reduktion von Kunststoffverpackungen, vom Einsatz biologisch abbaubarer Materialien. Ist das hilfreich, oder ist das nur Marketing?

Lang: Den Kunststoffanteil zu reduzieren bei Erhalt der Verpackungsfunktion – also Hygiene, Schutz, Logistik, Lagerfähigkeit – ist aus ökologischer und ökonomischer Sicht sinnvoll. Allerdings gibt es viel Raum für Verbesserungen. Bei so genannten ökologischen Alternativen gibt es meist keine Öko-Bilanz, oder diese zeigt keine Vorteile. Daher ist vieles von Marketing getrieben.

Was muss jetzt passieren, um das Abfallproblem lösungsorientiert anzupacken?

Wir müssen Kunststoffe als Werkstoffklasse vollständig, zu 100 Prozent, kreislauffähig machen. Dazu gehört ein optimierter Mix an Verfahren, mit mechanischem Recycling (Anm.: Schreddern), chemischem Recycling und energetischer Nutzung, also Verbrennung von Kunststoffabfällen inklusive Nutzung des entstehenden CO2 als Wertstoff. In dieser Reihenfolge gehören die Verfahren umgesetzt. Mechanisches Recycling stößt bei rund 30 bis 50 Prozent der Menge an Grenzen. Der Rest wird sich auf die beiden anderen Wege verteilen. Dazu forschen wir derzeit in der LIT Factory der JKU, zusammen mit Unternehmen wie Borealis, OMV, Erema und Greiner.

Oft werden biologisch abbaubare Stoffe beworben, obwohl das Verrotten viel Zeit braucht oder unvollständig erfolgt.

Was den großvolumigen Einsatz betrifft, bin ich skeptisch. Biologisch abbaubare Kunststoffe bieten oft nicht die nötige Funktionalität oder wenig ökologische Vorteile. Allerdings sind sie für Nischen interessant, etwa in Pasten und Cremen mit Mikroplastik.

Müssen komplexe Verbundmaterialien verboten oder mit Lenkungsmaßnahmen aus dem Wirtschaftskreislauf gedrängt werden, weil sie nicht sinnvoll verwertbar sind?

Prinzipiell haben auch komplexe Verbund- und Hybridmaterialien ihre Berechtigung, weil sie oft zu den gewünschten Funktionalitäten bei gleichzeitig bester Werkstoffausnutzung führen, auch ökologisch betrachtet. Die beste Lenkungsmaßnahme wäre eine ökologische Produktbewertung, die alle Belange berücksichtigt und einfach handhabbar ist. Dazu fehlt heute oft eine valide Datenbasis. Das wird mit der Digitalisierung in der Wirtschaft erleichtert werden.

Zu den Haushalten: Können Konsumenten derzeit überhaupt etwas anderes sinnvoll trennen als PET-Flaschen?

Das ist in der Tat schwierig, wenngleich bei zahlreichen Produkten eine Erkennung der Kunststoffart über Kurzbezeichnungen möglich wäre. Allerdings ist eine Auftrennung auf Konsumentenebene wohl nur sinnvoll, wenn ausreichende Mengen wie etwa bei der PET-Flasche vorliegen. Problematisch wird es, wenn sogenannte bioabbaubare Kunststoffe in den konventionellen Kunststoffabfall gelangen. Sie müssen bei der gewerblich-industriellen Abfallsortierung entfernt werden, weil sie die Produktqualität der Rezyklate beeinträchtigen würden.

In der Abfallwirtschaft wird viel von mechanischer Wiederverwertung gesprochen, also vom Schreddern des Kunststoffs und der Produktion von Rezyklat als Basis neuer Produkte. Sie, Herr Professor, beschäftigen sich mit der chemischen Verwertung und streben die Nutzung von emittiertem CO2 an. Wie realistisch ist das?

Chemische Prozess- und Verfahrensschritte gibt es in der Forschung und Entwicklung auf Laborebene mit einer Reihe von Möglichkeiten. Diese gilt es rasch in Richtung industriellen Pilotmaßstab zu entwickeln und dann großtechnisch zu implementieren. Meine Hoffnung ist, dass das, wenn die Rahmenbedingungen passen, ab etwa 2030 möglich sein wird. Wichtig wird eine Kopplung von Energie- und Stoffwirtschaft. Wichtige Voraussetzung wird dabei der breite Einsatz erneuerbarer Energietechnologien sein. Aber das ist aus Klimaschutzgründen ohnehin erforderlich.

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26. April 2024