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"Ich sehe keinen Grund für neue Steuern"

Von Dietmar Mascher und Hermann Neumüller   05.November 2020

Mit neuen oder höheren Steuern sind die Löcher in den Staatsfinanzen nicht zu stopfen. Es braucht Strukturreformen, um die Wirtschaft nach Corona wieder auf Touren zu bringen, sagt der aus Oberösterreich stammende Ökonom im OÖN-Gespräch am Rande des Industrietages der Wirtschaftskammer Oberösterreich.

Viele Ökonomen sprechen von einer rascheren Erholung der Wirtschaft als bisher gedacht. Andere warnen vor einem harten Winter mit einer Pleitewelle und steigender Arbeitslosigkeit. Zu welcher Gruppe gehören Sie?

Als wir im Frühjahr von der "Mutter aller Rezessionen" gesprochen haben, war auch von einer V-förmigen Erholung die Rede, also steiler Absturz, dem eine rasche Erholung folgt. Im ökonomischen Maschinenraum wurde ja nichts zerstört. Diese schnelle Erholung haben wir im Sommer ja gesehen. Das V ist aber noch nicht zu Ende gezeichnet. Wir nehmen aber nicht an, dass es wieder zu einem flächendeckenden Lockdown kommt. Warum nicht? Weil wir doch in den vergangenen Monaten eine gewisse Lernkurve gesehen haben. Auch wenn die Fallzahlen jetzt wieder steigen.

Der Welthandel erholt sich schneller als nach der Finanzkrise, heißt es aus Ihrem Institut. Warum? Und dies, obwohl die Geschäftsleute kaum reisen können. Braucht man diese Reisen gar nicht?

Doch, die braucht man schon. Das Bestandsgeschäft können die Firmen jetzt abwickeln. Das Neugeschäft bahnt sich derzeit nicht so leicht an. Bei einer Multi-Millionen-Investition braucht man nicht nur Bankkredite oder andere Finanzierungen. Da braucht es auch Vertrauen. Das entsteht nur im persönlichen Gespräch. Die Auftragseingänge leiden darunter, dass es diese Möglichkeiten nicht gibt, das hört man überall und man sieht das fehlende Neugeschäft in den Statistiken.

Die Folgen dieser Pandemie schlagen sich nicht nur im Gesundheitssystem nieder, sondern auch in den Staatsfinanzen. Wie können wir diese Löcher wieder stopfen? Müssen wir mit Wirtschaftswachstum wieder herauskommen oder gibt es andere Möglichkeiten?

Die gibt es. Wir könnten jetzt beispielsweise die Steuern erhöhen. Wir könnten auch die Anstrengungen erhöhen, Inflation zu schaffen, damit die nominalen Schuldenberge weniger wert werden. Oder wir schaffen Wachstum. Ich warne jedenfalls davor, dass man jetzt in einen Steuererhöhungsmodus wechselt. Wir im Institut sprechen uns sehr dagegen aus, dass man jetzt Vermögenssteuern einführt. Das hätte den Effekt, dass Vermögen verlagert oder Investitionen nicht getätigt werden, die wir jetzt so dringend brauchen. Ich glaube außerdem, dass die Budgetdefizite gar nicht so hoch ausfallen werden wie ursprünglich befürchtet, weil Hilfsprogramme, die aufgelegt wurden, gar nicht im vollen Umfang abgerufen werden. Wir gehen etwa davon aus, dass das Budgetdefizit in Deutschland heuer fünf Prozent betragen wird. Wenn wir tatsächlich den V-förmigen Konjunkturverlauf sehen, dann muss der Staat auch rechtzeitig aus den Hilfsprogrammen aussteigen. Die Rolle des Staates als Nothelfer ist wichtig und notwendig. Er darf aber nicht zum Strukturbewahrer werden.

Welche Rolle spielt die Europäische Zentralbank bei der Krisenbekämpfung?

Ohne EZB ginge vieles nicht. Die großen staatlichen Verschuldungsprogramme gehen mehr oder weniger eins zu eins in die Zentralbank-Bilanz hinein. Das passiert aber überall auf der Welt. Wenn das die EZB nicht machen würde, aber die anderen Notenbanken schon, dann würden wir eine starke Aufwertung des Euro sehen. Darunter würde die Exportwirtschaft leiden.

De facto drucken alle Notenbanken derzeit Geld, indem sie Anleihen kaufen. Trotzdem gibt es keine Inflation. Wie erklärt man das?

Die Zentralbanken haben seit März ihre Geldmengen fast verdoppelt. Von diesem Stimulus kommt aber nur ganz wenig in der Nachfrage an. Dieses Geld sollte die Investitionen und den Konsum anschieben. Das geschieht aber nicht in großem Umfang. Daher gibt es auch keine Inflation. Die Leute horten Geld, die Sparquoten sind deutlich gestiegen, wir hatten im zweiten Quartal die höchste Sparquote in der Eurozone seit Menschengedenken. Die Unternehmen haben seit der Finanzkrise viel Eigenkapital aufgebaut. Auch die brauchen das viele zusätzliche Geld nicht in dem Umfang. Wenn nicht investiert und konsumiert wird, steigen die Preise nicht. Auch die Globalisierung als Preisdämpfer funktioniert noch. Die Frage ist, wie lange.

Von der Pandemiebekämpfung abgesehen brauchen wir dringend auch strukturelle Reformen. Müsste Europa nicht auch massiv in die Digitalisierung investieren? Wie steht Europa im internationalen Vergleich da?

Wir haben Konzerne wie Google, Apple & Co zwar nicht, aber wir haben etwa in der Industrie einiges zu bieten. Die Digitalisierung ist bei uns in den meisten Unternehmen angekommen. Das sieht man oft nicht. Ich bin hier nicht so pessimistisch wie andere, die nur auf die Aktienkurse einiger Weltkonzerne schauen.

Muss man die Marktmacht der US-Digitalkonzerne brechen, um einen fairen internationalen Wettbewerb zu schaffen?

Die Frage ist ja nicht, ob sie zu viel Marktmacht haben, als vielmehr, ob sie diese missbrauchen. Wenn diese Konzerne das bessere Produkt, den besseren Service haben, dann muss man deswegen nicht weinerlich werden. Man kann darüber nachdenken, ob man auch andere Unternehmen auf die Daten dieser Unternehmen zugreifen lässt.

Die Corona-Krise hat viele internationale Abhängigkeiten gezeigt, die als nicht "gesund" angesehen wurden. Jetzt wird nach Verkürzung der Lieferketten und einer Regionalisierung gerufen. Ein falscher Weg?

Das ist der falsche Weg. Wir müssen unsere Beschaffungsstrukturen diversifizieren. Versorgungssicherheit hat man nur, wenn man möglichst viele Beschaffungskanäle offen hat. Die Globalisierung verbessert die Versorgungssicherheit. Man muss aber aufpassen, dass die Marktstrukturen passen.

Einen gewissen Trend zur De-Globalisierung hat es auch vor Corona schon gegeben. Was wären die Schattenseiten dieser Entwicklung?

Unsere Exportüberschüsse bedeuten, dass wir mehr produzieren, als wir verbrauchen. Wenn jetzt jeder sagt, wir produzieren nur das, was wir selber brauchen, dann schießen wir uns selbst ins Knie. Das würde schlicht Wertschöpfungsverluste bedeuten. Außerdem würden die Preise steigen.

Der Globalisierung wird nachgesagt, dass sie die soziale Ungleichheit verschärfe. Teilen Sie diese Meinung?

Da ist schon was dran. Vor allem in den USA ist es so, weniger in Deutschland und Österreich. Wenn man alle Länder der Welt betrachtet, ist die Ungleichheit seit Mitte der 1990er-Jahre aber gesunken.

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26. April 2024