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"Jede alternde Gesellschaft wird ungerecht"

Von Hermann Neumüller   02.März 2017

Die Politik tut zu wenig, um unsere Gesellschaft "enkeltauglich" zu machen. Um auf die Herausforderungen der Digitalisierung zu reagieren, bräuchten wir ein "update" unserer Institutionen, sagt Richard David Precht im Gespräch mit den OÖN.

 

OÖN: Die digitale Revolution ist längst in vollem Gange. Muss sie nicht oft als Vorwand für soziale Missstände herhalten, für die sie nicht verantwortlich ist?

Richard David Precht: Das glaube ich nicht. Die Digitalisierung ist aber gesellschaftlich nicht in aller Munde. Digitalisierung ist nur in der Hinsicht in aller Munde, dass wir den Anschluss nicht verpassen dürfen. Wenn es eine digitale Agenda gibt, wie etwa bei der deutschen Bundesregierung, dann geht es darum, Glasfaserkabel in Ostdeutschland in die Erde zu legen.

Brauchen wir derartige Schlagworte, um die wahren Probleme unserer Gesellschaft zu verschleiern, wie etwa die Verkrustung unserer Institutionen?

Ich glaube nicht, dass da etwas bewusst verschleiert werden soll. Aber dass wir Verkrustungen haben, ist völlig klar. Jede Gesellschaft, die altert, wird automatisch ungerecht. In einer Demokratie ist das nicht anders als in allen anderen Systemen. Denn jene, die ökonomisch profitiert haben, werden dafür sorgen, dass ihre Kinder einen Sonderweg gehen. Diese Kinder werden als Millionäre geboren. Wir sehen, wie zahnlos die Politik bei den Versuchen ist, dagegen anzugehen. Wir bräuchten ein update unserer Institutionen, die sich aber keine Partei zutraut.

Digitalisierung ist also nicht einfach ein Schlagwort. Müssten wir auf diese Herausforderung ganz anders reagieren?

Ja. Da geschieht einfach zuwenig, und zwar deshalb, weil alle Parteien Angst vor der Digitalisierung haben. Es ist ja nicht so, dass irgendeine Partei sagt: Die Digitalisierung kommt, jetzt realisieren wir eine Gesellschaft, die noch besser wird als unsere. Das müsste eine Partei im Wahlkampf anbieten. Wenn ich einem Politiker sage, er soll mit der Digitalisierung einen Wahlkampf machen. Das sagt der, damit mache ich den Leuten nur Angst.

Was ist eigentlich gefährlicher: Der Vormarsch populistischer Parteien oder die Übernahme populistischer Ideen durch die etablierten Parteien?

Das machen die etablierten Parteien immer. Die Haltlosigkeit der etablierten Parteien ist ja kein Geheimnis. Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, dann könnte ich mir vorstellen, dass einige Länder in Westeuropa von populistischen Parteien regiert werden. Aber nicht für lange. Die Bürger werden nämlich schnell merken, dass man mit einer rückwärtsgewandten Politik die Probleme der Zukunft nicht lösen kann.

Wie sieht dann die Zukunft der EU aus? Hat sie überhaupt eine?

Sie wird noch sehr viel ärger gebeutelt werden als bisher. Es wird zu ökonomischen Verschlechterungen kommen, und dann werden die Leute verstehen, dass die alte EU doch nicht so schlecht war. Ich glaube, langfristig läuft die Zeit für Europa, aber ich glaube, dass die Turbulenzen noch stärker werden, als sie derzeit schon sind.

Müssen wir mit der Tatsache, dass Donald Trump US-Präsident ist, pragmatischer umgehen lernen?

Ich glaube, derzeit gehen alle auf die gleiche Weise mit Trump um, nämlich ihn nicht mehr ernst zu nehmen. Das ist in Amerika nicht anders als in Europa. Man schaut auf die Leute dahinter. Er als Person wird marginalisiert. Aber was man ernst nehmen muss, sind die Leute im Hintergrund. Man ist jetzt dabei zu schauen, an welche Leute man sich halten kann, die wir als verlässliche Partner empfinden.

 

Richard David Precht wurde 1964 in Solingen geboren, ist Philosoph und Bestseller-Autor. Derzeit ist er Honorarprofessor für Philosophie an der Leuphana Universität Lüneburg und Honorarprofessor für
Philosoph und Ästhetik an der Hochschule für Musik Hans Eisler in Berlin. Bekannt wurde Precht mit seinem Buch "Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?". Das ZDF strahlt seit September 2012 unter dem Titel "Precht" eine Sendereihe zur Philosophie mit ihm aus.

 

Die Digitalisierung – eine unterschätzte Revolution
Haindl-Grutsch (v. li.), Schneider, Rockenschaub, Precht, Scheuer

Haindl-Grutsch (v. li.), Schneider, Rockenschaub, Precht, Scheuer

Die Digitalisierung – eine unterschätzte Revolution

Die digitale Revolution, die bereits im Gange ist, sei nur mit der ersten industriellen Revolution vergleichbar, die im 19. Jahrhundert aus Bauern Industriearbeiter machte. "Sie wird unser Leben und unsere Arbeitswelt radikal verändern", sagte der deutsche Philosoph Richard David Precht gestern beim "Aschermittwochs-Gespräch" der Sparkasse OÖ.

Es gelte daher, die Digitalisierung zu nutzen, was gerade im Bankgeschäft bereits tägliche Praxis sei, sagte Michael Rockenschaub, Generaldirektor der Sparkasse OÖ. Man dürfe dabei aber das Hauptprodukt der Banken, das Vertrauen, nicht außer Acht lassen. "Es darf auch nicht so weit kommen, dass das Pendel in die falsche Richtung ausschlägt: Es darf nie so weit kommen, dass Computer das Sagen übernehmen."

Einig waren sich Precht, Rockenschaub, der Linzer Ökonom Friedrich Schneider, Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der Industriellenvereinigung OÖ und Diözesanbischof Manfred Scheuer, dass die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft unterschätzt werden.

IV-Geschäftsführer Haindl-Grutsch sieht die größte Gefahr darin, die Entwicklung zu versäumen. Und es sei auch falsch, angesichts der Digitalisierung "in Angststarre zu verfallen". Vor allem die Angst davor, Maschinen und Roboter würden den Menschen die Arbeit wegnehmen, sei unbegründet.

Neue Sicherungssysteme nötig

Ökonom Schneider verwies darauf, dass es die traditionellen Muster der Arbeit und der Berufswelt in der heutigen Form nicht mehr geben werde. Das habe nicht zuletzt Auswirkungen auf die Sicherungssysteme für Alter und Gesundheit. Die Besteuerung des Faktors Arbeit als Haupteinnahmequelle des Staates werde an Bedeutung verlieren.

Bischof Scheuer sieht in der Digitalisierung, die er weder verteufeln noch glorifizieren will, eine Veränderung der gesamten Gesellschaft, bis hin zu Fragen der Menschlichkeit, aber auch zu Fragen der Machtverteilung innerhalb der Gesellschaft.

Bischof Scheuer präsentierte bei der Veranstaltung auch gleich seine "Zehn Gebote der Digitalisierung". Eines davon lautet: "Du sollst den netzfreien Tag heiligen."    (hn)

 

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05. Mai 2024