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Sepp Bradl: Bubis Sprung in die Geschichte

Von Lutz Maurer   12.März 2011

Diesen Gefühlsausbruch hatte ich von Sepp Bradl nicht erwartet. Von dem Mann, der am 15. März 1936, also vor 75 Jahren, in Planica Sportgeschichte geschrieben hatte, als erster Skispringer die 100-Meter-Marke überwand.

Josef Bradl, den sie „Bubi“ nannten, war eine Ausnahmeerscheinung: Er eröffnete im Skisprung im Alter von nur 18 Jahren eine neue Dimension, wurde mit 21 Weltmeister. Ebenso wie ein Athlet unserer Tage, der bereits in seiner Jugend Grenzen sprengte, sich ebenfalls mit 21 Jahren vor wenigen Tagen in Oslo zum Weltmeister kürte und wie Bradl an einem 7. Jänner zur Welt gekommen war: der Tiroler Gregor Schlierenzauer.

Auch Bradls Vater, ein Bergmann, kam aus Tirol, fand im Kupferbergwerk in Mühlbach am Hochkönig Arbeit. Die Mutter stammte aus Oberösterreich. Bradl selbst wurde 1918 in Wasserburg am Inn geboren. Der Vater war ein begeisterter Bergsteiger, büßte seine Leidenschaft aber mit dem Leben. Bei einer gemeinsamen Tour am Hochkönig abgestürzt, starb er in den Armen seines 12-jährigen Sohnes – „Des hob i mei Lebn lang net vagessn!“.

Talent früh erkannt

Der Halbwaise fand im Skilauf und Skispringen eine neue Herausforderung, stand als 15-Jähriger seinen ersten 50-Meter-Sprung. Im skibegeisterten Mühlbach erkannte man schnell sein Talent. Bereits 1908 war im Dorf ein Skiclub gegründet worden, konnten die Kinder in der Schule statt des normalen Turnunterrichts Ski fahren.

Auf Initiative norwegischer Bergwerks-Direktoren wurde 1912 die erste Sprungschanze des Landes gebaut. Peter Radacher, der Pächter des Arthurhauses, wurde Bradls Lehrmeister und väterlicher Freund. 1933 schickte er den 15-Jährigen nach Innsbruck. Dort leitete der „König der Skispringer“ einen Lehrgang: Der Norweger Birger Ruud, der ein Jahr zuvor in Lake Placid die olympische Goldmedaille gewonnen hatte.

Zusammen mit ihrem Landsmann Reidar Andersen beherrschten die Brüder Ruud mehr als ein Jahrzehnt die Springerszene. Sigmund war 1929 Weltmeister gewesen, Asbjörn wurde es 1938. In den Jahren dazwischen holte sich Birger fünfmal den Titel. 1936 wiederholte er in Garmisch-Partenkirchen nicht nur den Olympiasieg, sondern gewann auch bei dem Abfahrtslauf der Alpinen. Auf eine Medaille hatte dort auch der nun 18-Jährige Bradl gehofft. Nach einem schweren Trainingssturz landet er aber im Spital.

„Zwoa Wochn wollten s’ mi dort behalten. Da hab i ma dacht, kommt gar net in Frage!“ Am Abend vor der Konkurrenz entfloh der Dickschädel den Ärzten, wurde am nächsten Tag immerhin 19. „Des war net berauschend, aber i hab gwusst, i kann’s!“ Kurz darauf reisten die Springer nach Planica, schon damals die größte Schanze der Welt. Ihr großes Ziel: der erste Sprung über 100 Meter. Der große Favorit: Reidar Andersen, der sich in den Jahren zuvor von 93 über 95 auf 98 und zuletzt 99 Meter gesteigert hatte. Auf Bradl achtete niemand. Zweiter Durchgang. „Ein unbändiger Ehrgeiz wie nie zuvor hatte mich gepackt, eine Stimmung mich erfasst, die mich alles andere vergessen ließ“ schrieb Bradl in seinem Buch „Mein Weg zum Weltmeister“. Der Absprung gelang ihm perfekt.

„Die Luft drückte gewaltig gegen meine Brust, ich legte mich richtig drauf und ließ mich von ihr tragen… ich hatte nur den einen Wunsch: immer so weiterfliegen!“ Nach dem Aufsprung ein Schrei des Publikums, dann Totenstille. „Viele tausend Augen starrten gespannt hinauf zum Kampfrichterturm… ich konnte es fast nicht glauben, als neben der normalen Anzeigetafel eine „Eins“ herausgeklappt wurde!“ Bradl war bei 101,5 Metern gelandet. Eine aus heutiger Sicht und im Vergleich mit den kürzlich in Vikersund geflogenen 246,5 Metern eine eher lächerliche Weite, aber 1936 ein historischer Flug!

Nach seinen Tränen hatte Bradl, wohl von den Erinnerungen überwältigt, kurze Zeit geschwiegen. Dann erzählte er mir, dass ihn Willi Lanz, Chef des damals bedeutendsten österreichischen Trachtenmodegeschäftes auch in den Familienkreis aufnahm, ihn jederzeit zum Training freistellte.

Der Lehrling Bradl

Als Lehrling hat Bradl auch vor allem während der Festspielzeit illustre Kunden bedient. So Marlene Dietrich, deren Foto im Trachtenkostüm um die Welt ging. Hans Albers musste er die Details des Skispringens erklären, Attila Hörbiger beriet er beim Kauf einer Lederhose und mit dem König von Siam dürfte Bradl wohl eine Mordshetz gehabt haben: „Wie Faschingslappen ham s’ ausgschaut, seine drei kloan Buam, mit Stutzn und Gamsbart!“

Zum ersten Mal in seinem Leben konnte der junge Mann einer geregelten Arbeit nachgehen. Nach der Schule war er arbeitslos gewesen, weil seine Mutter das Lehrgeld für eine Ausbildung bei einem Lehrherrn nicht aufbringen konnte. Um sich trotzdem eine Skihose kaufen zu können, war Bradl in Oberösterreich dem freiwilligen Arbeitsdienst beigetreten, hatte sich in drei Monaten 42 Schilling erspart.

Das bescheidene Vermögen wollte er nicht antasten. Daher marschierte er zu Fuß nach Hause – mehr als 150 Kilometer weit. In den nächsten Jahren tastete sich Bradl Schritt für Schritt an die Weltklasse heran: 1937 ein fünfter, 1938 ein vierter WM-Platz. Im selben Jahr verbesserte er in Planica den Weltrekord auf 107 Meter. 1939 gelang ihm – nach dem Anschluss Österreichs nun im deutschen Team startend – die zweite Sensation: in Zakopane besiegte er alle Norweger, auch sein großes Idol Birger Ruud und wurde der erste Skisprungweltmeister aus Mitteleuropa! Dafür verlieh ihm das Dritte Reich wie vielen anderen Sportgrößen automatisch die Mitgliedschaft bei der SA – ein Danaer-Geschenk!

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde er dafür zunächst im Lager Glasenbach inhaftiert. 1948 erhielt er dann Startverbot für die Olympischen Spiele in St. Moritz. Als SS-Mitglied habe er in Jugoslawien gekämpft, so die später widerlegte Behauptung des jugoslawischen Olympischen Komitees.

1952 bekam Bradl in Oslo seine zweite Olympiachance. Sie endete mit einem Debakel: Sturz im ersten Durchgang. In Cortina wollte er 1956 ein drittes Mal olympisches Glück erzwingen. Es blieb dem bereits 38-Jährigen auch diesmal versagt: Nur Platz zwölf. Die größten Erfolge jener Jahre bescherte ihm dafür die Vier-Schanzen-Tournee, die er 1953 gewann. 1954 und 1956 wurde er Zweiter. Am Kulm sprang er 1951 mit 115 Metern österreichischen Rekord und gewann 1953 auch die Skiflugwoche. Im selben Jahr belegte der 13-fache österreichische Meister am Holmenkollen den 3. Platz.

„Für’s Skispringen muasst leben“ erklärte er mir, „aber du kannst net davon leben!“ So pachtete Bradl 1952 ein kleines Schutzhaus am Hochkönig. Das Ruperti-Haus sollte sein eigentliches Lebenswerk werden.

Erfolg auch als Trainer

In unzähligen Arbeitsstunden und mit Hilfe vieler Freunde, aber jahrelang auch mit Schulden belastet, baute Bradl die Hütte zu einem Hotel um. Es blieb nicht dabei. Ein Turnsaal, eine Kraftkammer und zwei Schanzen in der Nähe des Hotels machten das Ruperti-Haus mit dem „Bubi“ und seiner Frau Paula zu einem begehrten Trainingszentrum für die Springer aus der ganzen Welt.

Dem Rastlosen war dies alles zu wenig. Bradl trainierte auch lange Jahre erfolgreich die österreichischen Springer. Otto Leodolter gewann 1960 die olympische Bronzemedaille. Reinhold Bachler flog 1967 in Vikersund mit 154 Metern einen neuen Weltrekord und gewann ein Jahr später olympisches Silber. Die beiden, aber auch Willi Egger, Walter Habersatter, Willi Köstinger, Walter Steinegger, Peter Müller und etliche andere – alle waren sie „meine Buam“! Nicht zuletzt auch einer, der sich nur schwer mit Bradls handfesten, auf langjährigen Erfahrungen beruhenden Trainingsmethoden anfreunden konnte: Baldur Preiml.

Trotzdem kam auch Preiml zu olympischen Ehren, holte 1968 Bronze hinter Reinhold Bachler. 1973 trat dann Bradl vom Traineramt zurück und bestimmte Max Golser als seinen eher erfolglosen Nachfolger. Preiml hingegen konnte in Stams in Ruhe seine, vorwiegend auf wissenschaftlichen Kenntnissen beruhenden Trainingsmethoden entwickeln. Mit Preiml und seinen Schülern begann das goldene Skisprung-Zeitalter in Österreich.

Durch die großartigen Erfolge der vergangenen Jahrzehnte geriet Bradl in Vergessenheit. Zwar erinnert ein Denkmal in Bischofshofen an ihn, das Ruperti-Haus aber ist heute eine traurige Brandruine. Verfallen auch die inEigenregie gebauten Schanzen.

„Der Adler vom Hochkönig“ hat die Früchte des goldenen Zeitalters, zu dem er einiges beitrug, nicht mehr ernten können. Am 3. März 1982 ist Sepp Bradl 64-jährig gestorben.

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