Kanzler Nehammer soll ÖVP und Koalition stabilisieren
Die türkise Rückwand mit dem Logo der neuen Volkspartei, die Fahnen links und rechts, das Pult mit dem Mikrofon davor: Das Setting im Presseraum der Politischen Akademie der ÖVP war gestern um 11.30 Uhr exakt das gleiche wie 24 Stunden davor.
In der Partei und der türkisen Regierungsmannschaft hat sich nach der Rücktrittsrede von Sebastian Kurz am Donnerstag über Nacht aber fast alles geändert. Die VP-Landeshauptleute hatten die Entscheidung des Parteivorstands in stundenlangen nächtlichen Gesprächen vorbereitet.
- OÖN-TV: ÖVP stellt sich mit Nehammer als Kanzler neu auf
Dass Karl Nehammer danach als designierter Bundesparteichef und Kanzler auftrat, war noch keine Überraschung, das hatte sich abgezeichnet. Seine einstimmige Designation sei "eine große Ehre", sagte die neue türkise Nummer eins, vor seinem Vorgänger und dessen "Leistungen und Erfolgen" habe er "großen Respekt".
Überraschender als Nehammers Aufstieg sind die weiteren Rochaden im türkisen Team: Neu besetzt werden nicht nur seiner und Blümels Posten, auch Bildungsminister Heinz Faßmann nahm gestern den Hut. Als Innenminister übernimmt der Niederösterreicher Gerhard Karner, ein "Politprofi", wie Nehammer lobte. Auf Blümel folgt im Finanzministerium Infrastrukturstaatssekretär Magnus Brunner. Kurzzeit-Kanzler Alexander Schallenberg geht zurück ins Außenamt, wo Diplomat Michael Linhart weichen muss – Zukunft ungewiss.
Faßmanns Ressort bleibt in Expertenhand, mit dem Rektor der Grazer Universität, Martin Polaschek, übernimmt ein Steirer. Auch eine Oberösterreicherin sitzt künftig im Kanzleramt, als Staatssekretärin (für Jugend) ist JVP-Chefin Claudia Plakolm formal aber nicht Teil der Regierung.
Nehammer beteuerte, das sei "sein Team" und nicht jenes der schwarzen Landeschefs. Formal geblieben ist ihm das von Kurz ausbedungene Durchgriffsrecht für Entscheidungen, er verwies aber auf die Notwendigkeit "gemeinsamer Gespräche". Inhaltlich wolle er "Linie halten", beim Hinweis auf die Themen "Asyl, Migration und Sicherheit" merkte man, dass er im neuen Amt noch nicht angekommen ist. Staatsmännischer wurde er beim Thema Pandemie, deren Bekämpfung im Einklang mit den "drei Grundwerten Verantwortung, Solidarität und Freiheit" gelingen müsse: "Unsere Freiheit wird eingeschränkt durch das Virus, wir können diese Freiheit nur zurückgewinnen, wenn wir zusammenstehen", jeder habe Rechte, aber auch Pflichten.
Während die Opposition für Neuwahlen ist, machten es die Grünen dem Koalitionspartner leicht: Vizekanzler Werner Kogler bekräftigte die "gute Gesprächsbasis" zu Nehammer, man habe sich bereits ausgetauscht und werde das noch intensiver tun.
Grüne wollen weiter regieren
Die Grünen stünden "zur Verantwortung und für Stabilität in der Regierung". Anlass, die Koalition oder den Regierungspakt zu hinterfragen, sah Kogler nicht: Es gebe einen "sehr guten Koalitionsvertrag mit großer grüner Handschrift", diesen müsse man weiter umsetzen. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen sieht keinen Anlass, die Regierung zu entlassen, mahnte aber auch Konzentration auf ihre Aufgaben ein. Termine mit den neuen Regierungsmitgliedern in der Hofburg sind vereinbart, die Angelobung von Nehammer als Kanzler sowie der neuen Minister erfolgt am Montag.
Nehammers Vertrauensleute
Auf personelle Kontinuität setzt der neue VP-Chef in der Bundesparteizentrale: Axel Melchior bleibt Generalsekretär. Er hatte die Funktion einst von Karl Nehammer übernommen, als dieser Innenminister wurde, und gilt als Vertrauter von Sebastian Kurz. Wie Nehammer kommt er aus der niederösterreichischen ÖVP, die beiden haben ebenfalls ein enges Vertrauensverhältnis.
Nicht weiter setzen wird Nehammer auf Bernhard Bonelli: Alexander Schallenberg hatte Kurz’ Kabinettschef noch übernommen, Nehammer sucht Ersatz. Bonelli war einer der Masterminds von Kurz’ türkiser Bewegung, auch gegen ihn laufen derzeit Ermittlungen. Als Pressesprecher holt sich Nehammer Daniel Kosak aus dem Landwirtschaftsministerium.
Einen neuen Obmann kürte schon gestern die Wiener Landespartei: Auf Gernot Blümel folgt Ex-Landespolizeikommandant und Nationalratsabgeordneter Karl Mahrer – vorerst.