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Christian Kern überrascht die SPÖ mit Rückzug auf Raten

Von Lucian Mayringer und Annette Gantner   18.September 2018

Christian Kern tritt als SP-Chef ab. Mit diesem im Laufe des Nachmittags von Parteikreisen bestätigten Paukenschlag schockierte der Ex-Kanzler am Dienstag zunächst die große Mehrheit der roten Funktionäre, die damit 18 Tage vor dem geplanten Parteitag in Wels plötzlich eine Führungsfrage zu lösen gehabt hätten.

Mitten im aufkommenden Chaos um Nachfolgekandidaten und seine Zukunft löste Kern dann selbst die Situation mit der nächsten Überraschung auf: Er werde bei der EU-Wahl am 26. Mai 2019 als Spitzenkandidat der SPÖ antreten und „spätestens danach“ den Parteivorsitz abgeben. Er wolle mit voller Konzentration auf diese Wahl und danach auf eine neue Rolle in der Europapolitik zugehen. Gerüchte, wonach der Ex-Manager Kern wegen eines Top-Jobs die Politik an den Nagel hängen wolle, waren damit vom Tisch.

Allerdings: In den Wochen davor und bis zuletzt in Interviews hatte Kern immer wieder betont, dass er bei der spätestens 2022 anstehenden Nationalratswahl als SP-Spitzenkandidat noch einmal gegen Kanzler Sebastian Kurz (VP) antreten wolle.

Für viele Funktionäre war es am Dienstag auch befremdlich, dass sich der Vorsitzende, ohne sich auf den Beschluss eines Parteigremiums stützen zu können, bereits zum nächsten EU-Spitzenkandidaten ausgerufen hat. Deshalb wurde spekuliert, dass Kern möglicherweise im Kreis der europäischen Sozialdemokraten Perspektiven als deren Spitzenkandidat haben könnte.

Am späten Abend schließlich trafen sich die SPÖ-Vorsitzenden im Renner-Institut zur Krisensitzung anstatt zu einem schon länger geplanten Essen mit Kern in der Löwelstraße. Dort gaben sie Kern nachträglich den Sanktus für seine geplante EU-Kandidatur. Nach 21 Uhr trat Bundesgeschäftsführer Max Lercher schließlich vor die Medien und erklärte, dass die Partei einhellig begrüße, dass Kern als Spitzenkandidat für die EU-Wahl zur Verfügung steht. Die Kandidatenliste für die Europawahl solle beim nächsten Parteitag festgelegt werden. Der Parteitag in Wels, der am 6. Oktober anberaumt war, wird abgesagt, ein Ersatztermin im November angepeilt. Genaueres soll am Mittwoch in den SP-Gremien beschlossen werden.

Die Frage der Nachfolge wird in den nächsten Tagen und Wochen in der SPÖ ins Zentrum rücken, wobei mit Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser bereits ein Favorit öffentlich abgesagt hat. Burgenlands neuer SP-Chef Hans Peter Doskozil soll intern abgewunken haben. Bleibt die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures, die immer dann zumindest als Zwischenlösung ins Spiel gebracht wird, wenn in der SPÖ eine Führungsdebatte ausbricht.

Video: Nach dem Statement traten die Spitzen der SPÖ zusammen, um über die künftige Parteispitze zu beraten. 

Zumindest aus Brüssel erreichte den SP-Chef eine rundum positive Reaktion. „Christian Kern ist ein großer Europäer. Mit ihm hat die SPÖ einen starken Kandidaten“, befand SP-Delegationsleiterin Evelyn Regner. Häme gab es dafür von der politischen Konkurrenz. Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FP) sprach von einer „bizarren Überraschung“.

Während am Mittwoch das SPÖ-Präsidium ab 10 Uhr (der Vorstand ab 12 Uhr) das weitere Vorgehen berät, empfängt Kern mit SPE-Präsident Sergej Stanischew in Salzburg die roten Regierungs- und Parteichefs. Offiziell steht dort allerdings nur die Abstimmung der Positionen für den EU-Gipfel auf dem Programm. (luc/ gana)

Weiterlesen: Eilige Suche nach einem passenden Nachfolger für Kern

Statement von Christian Kern:

Reaktionen

Bundeskanzler Sebastian Kurz hat am Mittwoch erklärt, Kerns Entscheidung zu akzeptieren und respektieren. "Ich hatte immer, das wissen Sie, mit Christian Kern meine Differenzen, aber nichtsdestotrotz wünsche ich ihm für seinen weiteren persönlichen Lebensweg alles, alles Gute", meinte Kurz, der Kern Ende letzten Jahres im Bundeskanzleramt nachfolgte.

Gefragt, ob er Kerns Ambitionen auf ein höheres EU-Amt unterstützen würde, erklärte Kurz dass sich diese Frage nicht stelle. Er verwies darauf, dass die Wahl zum Europaparlament und die Entscheidung, wer Österreichs EU-Kommissar werde, auseinanderzuhalten seien. Der Kommissionspräsident werde von der stärksten Fraktion gestellt und Kurz geht nicht davon aus, dass es sich dabei um die Sozialdemokraten handeln wird. Aus ÖVP-Kreisen hieß es, dass es für Kern keine Unterstützung geben wird.

Auch Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) erklärte vor dem Ministerrat, Kerns angekündigter Rücktritt sei zu akzeptieren. Es wäre "ratsam für die SPÖ und wünschenswert für die Bundesregierung", dass die Partei nun zu einem "konstruktiven Weg" zurückkehre.

Video: Kurz akzeptiert Entscheidung von Kern

Die SPÖ hat sich nach ihrer Granden-Sitzung Dienstagabend offenbar ein Schweigegelübde auferlegt. Nach dem offiziellen Statement von Bundesgeschäftsführer Max Lercher war einzig Wiens Bürgermeister Michael Ludwig zu einer Stellungnahme bereit.

Diese war freilich auch nicht sonderlich inhaltsschwer. Ludwig berichtete bloß vom Beschluss, Kern als Spitzenkandidat bei der EU-Wahl zu unterstützen und davon, dass alles Weitere am Mittwoch im Präsidium und Vorstand beschlossen werde. Die Stimmung in der Granden-Sitzung bezeichnete er als "ausgesprochen gut". Wann er von Kerns Entscheidung informiert wurde, ließ Ludwig offen. Sämtliche anderen Spitzenvertreter liefen teils hektisch vor den wartenden Journalisten davon. Auch der scheidende Parteichef Kern beließ es bei einem "Guten Abend"-Gruß. 

Die SPÖ-Delegationsleiterin im Europaparlament, Evelyn Regner, begrüßt, dass SPÖ-Chef Christian Kern als Spitzenkandidat seiner Partei bei der EU-Wahl antreten will. "Eine tolle Nachricht aus Wien - Christian Kern ist ein großer Europäer und steht für eine moderne Sozialdemokratie. Mit ihm hat die SPÖ einen starken Kandidaten", sagte Regner am Dienstag. "Unser gemeinsames Ziel ist es, Europa nicht den Konzernen zu überlassen", sagte Regner. Zum angekündigten Rücktritt Kerns als SPÖ-Parteichef wollte sich Regner nicht äußern.

Christian Kern hat mit seiner Ankündigung, als SPÖ-Bundesparteichef spätestens im nächsten Mai zurückzutreten, seine Parteikollegen überrascht. Dies zeigte sich in einer Stellungnahme des burgenländischen Landeshauptmannes Hans Niessl (SPÖ) gegenüber dem ORF. Es wäre eine "große Überraschung", wenn sich Kern zurückzieht, sagte dieser - noch ehe Kern seine Erklärung abgab. Schließlich habe sich Kern in der Vorwoche von den Gremien als einziger Parteichef-Kandidat für den Parteitag am 6. Oktober nominieren lassen. Auf die Frage, ob Kern der Richtige als Bundesparteivorsitzender sei, zeigte sich Niessl zurückhaltend - und antwortete nur, dass es "große Zustimmung" in den Gremien gegeben habe.

Anders der steirische ÖVP-Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer: "Man hat es ihm angesehen, es war wohl nur eine Frage der Zeit", sagt er am Rande des Landtags in Graz zur APA. Es sei offenbar nicht Kerns Rolle gewesen, die Opposition zu führen, aber Kern sei auch unter seinen Wert geschlagen worden. Er habe als damaliger Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz ein gutes Gesprächsklima mit Kanzler Kern gehabt. Wie es nun weitergeht sei "schwer zu sagen", sagte der steirische ÖVP-Obmann. Leichter werde es aber nicht für die Bundesregierung, wenn sich die Opposition besser formiere.

Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser will "sicher nicht" Nachfolger Christian Kerns als SPÖ-Bundesparteichef werden - aber er sagt Kern die "unumwundene Unterstützung" für die EU-Wahl zu. Kern sei "als SPÖ-Spitzenkandidat für die EU-Wahl bestens geeignet", meinte Kaiser in einer Aussendung - und begrüßte, dass Kern der SPÖ mit der heutigen Bekanntgabe genug Zeit verschafft habe, um den Wechsel professionell vorzubereiten.

Video: ORF-Innenpolitik-Redakteurin Helma Poschner erläutert, wie die SPÖ von Christian Kerns Rückzug auf Raten offenbar kalt erwischt wurde und was das jetzt für die SPÖ heißt.

 

EU-Kandidatur für Strache "bizarre Überraschung"

Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) sieht in der Entscheidung von SPÖ-Chef Kern, erst nach der Europawahl den Parteivorsitz abzugeben, einen Rücktritt auf Raten. "Ein EU-Spitzenkandidat Kern ist wahrlich eine bizarre Überraschung", sagte der FPÖ-Obmann am Dienstag am Rande seines Aserbaidschan-Besuchs zur APA. Nach 13 Jahren als FPÖ-Parteichef sieht Strache nun auch seine Wette gegen den "kürzest dienenden Bundeskanzler der Zweiten Republik" gewonnen: "Nunmehr dürfte Kern auch der kürzest dienende SPÖ-Parteichef gewesen sein, wenn er nach der EU-Wahl - wie heute verlautbart - zurücktritt."

Liste Pilz-Klubobmann Bruno Rossmann erhofft sich eine schlagkräftigere Opposition durch den angekündigten Wechsel an der SPÖ-Spitze - gebe es bei der türkis-blauen Regierung doch genug zu tun. Die SPÖ habe sich unter Christian Kern als Opposition nicht schlagkräftig genug entwickelt, merkte Rossmann an. Er lobte aber, dass Kern standhaft die Koalition mit der FPÖ verweigert habe.

Sein Bedauern über den angekündigten Abgang des SPÖ-Chefs drückte Grünen-Chef Werner Kogler Dienstag in einer Aussendung aus. "Österreich kommt ein aufrichtiger Politiker mit kompetentem Auftreten abhanden", zollte er Kern "großen Respekt". Dass er zurücktreten will verheiße nichts Gutes, befürchtet Kogler einen Rechtsruck der SPÖ.

Video: Andreas Koller von den "Salzburger Nachrichten" erörtert die Ereignisse rund um die Ankündigung von SPÖ-Chef Kern, bei der EU-Wahl kandidieren zu wollen.

Video: Weitere Beratungen nach Kern-Ankündigung

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26. April 2024