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"Bereitet euch auf die Möglichkeit einer Zerschlagung der Union vor"

Von Eike-Clemens Kullmann   14.März 2016

Ein Wertefundament für das gemeinsame Europa forderte Friedensnobelpreisträger Lech Walesa beim Symposion von Academia Superior – der Gesellschaft für Zukunftsforschung – in Gmunden. Die OÖN sprachen mit ihm über die EU, Polen sowie die Spitzelvorwürfe gegen ihn.

 

OÖN: Das Privileg, frei reisen zu dürfen, mehr Parallelen mit Menschen aus dem europäischen Ausland zu haben als Unterschiede, ändert sich gerade. Wie gefährdet ist die EU?

Lech Walesa: Wir müssen viele Themen in größeren Strukturen organisieren. In der Wirtschaft haben wir das Union genannt, in Gefahrensituationen NATO. Diese Organisationen sind unerlässlich. Wenn jemand diese Organisationen zerschlägt, dann müssten ernstzunehmende Staaten darauf vorbereitet sein und noch in derselben Stunde eine neue Union schaffen. Allerdings eine, die bereits die Möglichkeit ausschließt, dass diese wieder zerschlagen werden kann. Und wer beitritt, muss sich unterordnen. Ich appelliere an die reicheren Länder, bereitet euch auf die Möglichkeit einer Zerschlagung der Union vor.

Ist das große Problem Europas, die Flüchtlingskrise, lösbar?

Die heutigen Probleme kommen daher, dass wir nicht vorbereitet sind. Wir haben eine neue Situation, haben aber die Denkweise der alten Zeit. Und da erwachen Dämonen. In Frankreich siegen die Le-Pen-Leute, und auch in Polen gibt es seltsame Fälle. Dass eine Völkerbewegung eintritt, ist klar, wenn wir die Grenzen öffnen. Das ist eine kleine Krise, die wirkliche in diesem Feld erwartet uns erst. Wenn wir China und Indien öffnen und die losmarschieren, dann kommt mindestens eine Milliarde.

In Polen beschloss die neue Regierung im Eiltempo umstrittene Reformen ...

... Rasch ist eigentlich gut. Aber es sollten nur gute Lösungen sein.

... sind diese Lösungen gut?

Sie sind schlecht. Als ich Präsident war, wollte ich auch eine operativere Macht. Ich schlug vor, dass ich mittels Dekreten Gesetze einführen könne. Aber diese gingen stets durch das Parlament. Das hatte zehn Tage Zeit zum Durchlassen oder Korrigieren. Ich habe die Wahlen verloren, weil man mir vorgeworfen hat, ich wolle ein Diktator sein. Die gegenwärtigen Machthaber sind meine Schüler. Sie wollen das Gleiche erreichen, was ich erreichen wollte. Nur, sie machen das fatal, sie brechen Grundrechte. Wollen sie jetzt Diktatoren sein oder wollen sie, so wie ich, Probleme lösen?

Sie sind ein Freiheitssymbol. Und dann tauchen Unterlagen auf, die Sie als kommunistischen Spion entlarven. Steckt hinter den Vorwürfen die Regierung?

Es war vor fast 50 Jahren. Ich war ein junger Mann, ich hatte die Wahl zwischen zwei Wegen. Einer war ähnlich dem ukrainischen Weg, mit niemandem reden, kämpfen und so enden wie die Ukraine. Der zweite: reden, verhandeln, kombinieren und so zum Sieg gelangen. Das habe ich getan. Die Kommunisten haben mit mir zusammengearbeitet, nicht umgekehrt. Früher sagte man: Über Sieger wird kein Urteil gesprochen. Heute ist das Gegenteil der Fall.

Was hat Ihr Leben am stärksten geprägt: die Zeit als Gewerkschaftschef, Verhaftungen, der Friedensnobelpreis, Präsidentschaft oder Wahlniederlagen?

Ich habe alles nach bestem Wissen und Gewissen ausgeführt. Aber als Mensch des Glaubens habe ich auch angenommen, dass da oben jemand das Ganze lenkt.

Sie haben vor einiger Zeit gesagt, Sie wollen sich aus der Politik heraushalten. Ist das so?

Ich werde nie mit der Arbeit aufhören, der Glaube erlaubt das nicht. Wenn ich nicht alles tue, was ich tun kann bis zum Ende, dann komme ich in die Hölle. Dort sind die größten Schurken – also Lenin und Stalin – in den höchsten hierarchischen Positionen. Ich wäre nur ein kleines Teufelchen, und die würden mich unterdrücken. Deshalb muss ich alles tun, damit ich nicht dorthin komme.

 

Zur Person

Er ist einer der wenigen noch lebenden Freiheitshelden: Lech Walesa. Von Beruf Elektriker in der Leninwerft Danzig, war der 1943 Geborene von 1980 bis 1990 Vorsitzender der ersten freien Gewerkschaft Polens, der Solidarnosc, und von 1990 bis 1995 Staatspräsident Polens. Walesa organisierte den politischen Wandel des Landes von einem realsozialistischen zu einem demokratisch-marktwirtschaftlichen System. 1983 erhielt er den Friedensnobelpreis, den seine Frau Danuta stellvertretend für ihn in Empfang nahm. Mit ihr hat Walesa acht Kinder. Sohn Jaroslaw ist EU-Abgeordneter.

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