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Tornado forderte in Tschechien fünf Tote und zahlreiche Verletzte

Von nachrichten.at/apa   25.Juni 2021

Ein schweres Unwetter mit einem Tornado hat im Südosten Tschechiens mindestens fünf Menschen getötet. Das teilten Polizei und Rettungsdienste am Freitag mit. Rund 200 Menschen wurden verletzt, davon mussten knapp 60 stationär im Krankenhaus behandelt werden. Zwei Schwerverletzte, ein etwa 50-Jähriger und eine Jugendliche, wurden von den Rettungskräften nach Österreich geflogen und in Wiener Spitälern versorgt. Während sich der Zustand des Mannes offenbar sehr gut entwickelte, musste die junge Frau in künstlichen Tiefschlaf versetzt werden.

Der Tornado hatte am Donnerstagabend sieben Dörfer in der Region Südmähren verwüstet. Häuser wurden zerstört, Dächer abgedeckt, Stromleitungen niedergerissen und Autos umhergeschleudert. Hilfe war noch in der Nacht auch von österreichischer Seite gekommen. Die Notarzthubschrauber Christophorus 2 und 9 brachten je ein schwerverletztes Opfer in Spitäler nach Wien. Die Suche nach möglichen Verschütteten dauerte am Freitag an. Hunderte Feuerwehrleute gingen in den zerstörten Gemeinden von Haus zu Haus. Spürhunde halfen bei der Suche. Aus anderen Teilen des Landes machte sich weitere Verstärkung auf den Weg. Die Armee schickte Soldaten mit schwerer Technik.

Besonders betroffen waren die Gemeinden Hrusky (Birnbaum) mit knapp 1.500 und Moravska Nova Ves (Mährisch Neudorf) mit rund 2.600 Einwohnern. Der stellvertretende Bürgermeister Hruskys sagte der Agentur CTK, dass der halbe Ort dem Erdboden gleichgemacht worden sei. "Geblieben sind nur die Mauern, ohne Dach, ohne Fenster", sagte er. Die Menschen hätten sich vor dem Unwetter nicht schützen können.

Die Situation dort sei wie in einem Krieg, sagte Gesundheitsminister Adam Vojtech im TV. Mehrere Busse seien bei dem Unwetter in Südmähren nahe der Grenze zu Österreich umgestürzt, berichtete der Fernsehsender CT. Alle verfügbaren Einsatzkräfte seien auf dem Weg in die Region, so Innenminister Jan Hamacek. "Alles, was Arme und Beine hat, fährt dorthin."

Auf Bildern und Videos in den sozialen Medien war eine gewaltige Windhose zu sehen. Der Wetterdienst CHMU bestätigte später, dass es sich um einen Tornado gehandelt habe.

Fotogalerie: Tornado in Tschechien

Moravská Nová Ves

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Bild 1/82 Bildergalerie: Tornado verwüstete Dörfer in Tschechien

Ministerpräsident Andrej Babis nannte die Naturkatastrophe eine "Apokalypse" für Tschechien, wie er sie nie zuvor gesehen habe. Der Tornado habe rund 2.000 Häuser beschädigt, der Schaden belaufe sich auf Hunderte Millionen Tschechische Kronen. Er drückte vor Journalisten in Brüssel den Angehörigen der Todesopfer Mitgefühl aus und kündigte an, seine Regierung werde allen Betroffenen möglichst rasch helfen. Man werde auch versuchen, Mittel aus dem EU-Krisenfonds zu lukrieren, wie Kroatien nach einem schweren Erdbeben im Jahr 2020. Babis sagte weiters, er habe bereits mit dem slowakischen Regierungschef Eduard Heger, Ungarns Premier Viktor Orban und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) über die ausländischen Hilfseinsätze gesprochen, und er bedankte sich bei allen Einsatzkräften und Helfern.

Auch Rettungsteams aus Österreich vor Ort

Die Christophorus-Teams aus Österreich halfen laut Ralph Schüller, Sprecher der ÖAMTC-Flugrettung, bei der Bergung, nachdem der Tornado einen Bus gut 70 Meter weit von der Straße in ein Feld gefegt hatte. Dort habe es wohl Tote und etliche Schwerverletzte gegeben, zwei der Opfer wurden zur medizinischen Versorgung nach Wien geflogen. Es handle sich um einen etwa 50-Jährigen, offenbar der Buschauffeur, sowie um ein 15-jähriges Mädchen. Beide seien schwer verletzt. Der Unfallort lag bei Mikulcice (deutsch Mikultschitz, auch Nickoltschitz, Nikolschitz), ein Dorf mit rund 2.000 Einwohnern in der Region Jihomoravský kraj.

Die beiden nach Wien gebrachten Patienten waren kurz vor Mitternacht ins AKH bzw. in die Klinik Donaustadt gebracht worden. "Einer der Schwerverletzten ist nach einer Notoperation mittlerweile stabil, um das Leben einer zweiten Patientin wird zur Stunde noch gerungenen", sagte Michael Binder, Medizinischer Direktor des Wiener Gesundheitsverbundes Freitagvormittag. Der Mann war noch in der Nacht operiert worden, sein Zustand habe sich sehr gut entwickelt und galt als stabil, hieß es dann am Nachmittag. Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte hielten sogar seine Entlassung aus dem Spital Anfang nächster Woche für möglich. Die 15-Jährige wurde mittlerweile in künstlichen Tiefschlaf versetzt. Ihr Zustand sei stabil, es könne aber noch keine Entwarnung gegeben werden, erfuhr die APA von einem Sprecher des Gesundheitsverbunds.

Das niederösterreichische Rote Kreuz war noch in den späten Abendstunden mit rund 40 Fahrzeugen und mehr als 100 Helfern in den Südosten Tschechiens ausgerückt. Auf den Weg machten sich nach Angaben von Sprecherin Sonja Kellner auch drei mit Feldbetten und Decken beladene Lkw. An Ort und Stelle waren die Kräfte aus dem Bundesland laut Kellner während der "chaotischen Phase", die den Beginn von vielen Katastrophenfällen begleitet. Versorgt wurden von den Niederösterreichern etwa 30 Menschen, eine Person wurde in ein Krankenhaus transportiert. Abgeschlossen wurde der Einsatz seitens des Roten Kreuzes noch in der Nacht auf Freitag. "Die Kräfte vor Ort waren soweit, dass sie übernehmen konnten", sagte Kellner.

Sturmgeschwindigkeiten von bis zu 332 km/h

Der Tornado sei vorerst als Kategorie F3 klassifiziert, sagt die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). Dabei handelt es sich nach der Fujita-Skala um Sturmgeschwindigkeiten von 254 bis 332 km/h, die schwere Schäden verursachen können - Dächer und leichte Wände werden abgetragen, Züge entgleisen, Wald wird großteils entwurzelt, Lkw und Pkw werden umgeworfen oder verschoben, Autos können sogar angehoben werden. Nach Einschätzung eines ZAMG-Experten könnte es sich aber sogar um einen Tornado der Stärke F4 gehandelt haben, die Abklärungen liefen noch. In Österreich ereignen sich pro Jahr durchschnittlich vier Tornados.

Die Katastrophe ereignete sich etwa 270 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Prag. Der Tornado war der erste im Land seit 2018. Er erreichte nach Auskunft eines TV-Meteorologen eine Geschwindigkeit von bis zu rund 330 Stundenkilometern. Das wäre der stärkste Wirbelsturm in der jüngeren Geschichte Tschechiens.

Der Tornado hatte nach Einschätzung des Deutschen Wetterdienstes (DWD) eine für Europa außergewöhnliche Stärke. "Das sind solche Kräfte, die dort entstehen, dass wirklich Autos Hunderte Meter weit durch die Luft fliegen, das Trümmerteile sich in Betonwände bohren", sagte Andreas Friedrich, Tornadobeauftragter des DW. Er gehe anhand der Schäden, die er auf den Bildern aus Tschechien gesehen habe, von Windgeschwindigkeiten zwischen 300 und 400 Kilometern pro Stunde aus. Das sei "ein Tornado, der in dieser Stärke in Europa bisher nur selten vorkam".

"Dann begann die Hölle"

Viele Einwohner der betroffenen Gemeinden standen unter Schock. "Auf einmal habe ich ein merkwürdiges Dröhnen gehört, als ob ein Zug näherkommen würde", sagte ein Augenzeuge der Zeitung "Pravo". "Dann begann die Hölle, alles flog herum." Sein Haus habe kein Dach mehr, keine Zimmerdecke, keine Fenster, berichtete ein anderer.

Mehrere Rettungsstaffeln mit Hunden waren unterwegs ins Einsatzgebiet, um in Gebäuden nach möglichen Verschütteten suchen. Die Feuerwehr ging von Haus zu Haus. "Hier herrscht großes Chaos, große Panik", sagte ein Augenzeuge in der Gemeinde Luzice (Luschitz) dem Sender CT. Viele Häuser sollen einsturzgefährdet sein. Die Polizei sperrte die Zufahrtswege zu mehreren Orten, um Schaulustige fernzuhalten.

Den ganzen Abend zogen schwere Sommergewitter durch Südmähren, das für seine Weinanbaugebiete bekannt ist. Die Notrufleitungen waren überlastet. In den Verwaltungsbezirken Breclav (Lundenburg) und Hodonin fielen nach Berichten in den sozialen Medien tennisballgroße Hagelkörner. Am Schloss Valtice (Feldsberg), das zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt, entstand ein Millionenschaden. An dem Barockbau aus dem 17. Jahrhundert barsten zahlreiche Fensterscheiben.

32.000 Haushalte ohne Strom

Die Autobahn D2, die von Brno (Brünn) nach Breclav führt, war nicht befahrbar, weil eine Hochspannungsleitung auf die Fahrbahn gestürzt war. Rund 32.000 Haushalte waren ohne Elektrizität. Die Regierung in Prag versetzte Kräfte der Armee für einen möglichen Hilfseinsatz in Bereitschaft. Das Rote Kreuz Niederösterreich war laut Sprecher Andreas Zenker mit 32 Fahrzeugen in Tschechien im Einsatz. Der ÖAMTC entsandte die Notarzthubschrauber "Christophorus 2" und "Christophorus 9". Es war davon die Rede, dass Verletzte aus dem Nachbarland ins Landesklinikum Mistelbach gebracht werden könnten. Hinsichtlich möglicher Patienten wurden zudem alle weiteren Kliniken im Weinviertel, jene in St. Pölten und Wiener Neustadt sowie Wiener Krankenhäuser vorinformiert, erfuhr die APA. Hilfe bot auch die benachbarte Slowakei an.

"Unser Mitgefühl gilt den Opfern und den Familien der Opfer", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am EU-Gipfel in Brüssel zu den Vorfällen. Kurz dankte in den frühen Morgenstunden des Freitag den österreichischen Einsatzkräften, die grenzüberschreitend tätig seien und versuchten, einen Beitrag zu leisten. Der tschechische Regierungschef Andrej Babis ließ mitteilen, dass er wegen des Wetters in Europa nicht mit dem Flugzeug aus Brüssel zurückkehren könne, wo er ebenfalls am Gipfel teilnimmt.

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04. Mai 2024