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Angreifer von Halle wollte in Synagoge "Massaker" anrichten

10.Oktober 2019

Im Minutentakt kommen Menschen und legen Blumen vor die Synagoge in Halle. Einige weinen, alle halten inne und wirken bedrückt. Anrainer hängen am Donnerstag spontan ein selbstgemaltes Transparent an ihr Fenster: "Humboldstr gegen Antisemitismus + Hass" steht darauf. Die Gedanken hinter der Tat, der Hass, er sei bei vielen Leuten präsent. "Und deswegen finden wir es wichtig, dass man auf die Schnelle ein Zeichen dagegen setzt.", so die Hausgemeinschaft der Humboldstraße in Halle.

Der 27-jährige Stephan B. sei zur Synagoge gegangen, "um zahlreiche Menschen zu töten", sagte der deutsche Generalbundesanwalt Peter Frank am Donnerstag in Karlsruhe. "Was wir gestern erlebt haben, war Terror", sagte er. Nach seinen Angaben hatte der Rechtsextremist bei seiner Tat am Mittwoch neben Waffen mehrere Kilogramm Sprengstoff bei sich.

Täter war ein 27-jähriger Deutscher

Die deutsche Bundesanwaltschaft will im Laufe des Tages einen Haftbefehl gegen den mutmaßlichen Attentäter von Halle beantragen. Dabei handle es sich um Stephan B., teilte die oberste Anklagebehörde am Donnerstag in Karlsruhe mit.

Stephan B. ist nach Medienberichten ein 27-jähriger Deutscher aus Sachsen-Anhalt. Er wird verdächtigt, am Mittwoch die Synagoge und einen Döner-Imbiss in Halle angegriffen und seine Tat mit einer Helm-Kamera live ins Internet übertragen zu haben. Die Behörden gehen von einem rechtsextremistisch und antisemitisch motivierten Anschlag aus.

Stephan B. ist nach Informationen aus Sicherheitskreisen in zwei Krankenhäusern behandelt worden. Er habe Schussverletzungen am Hals. Die Nacht habe er in einen Spital in Weißenfels in Sachsen-Anhalt verbracht. Am Donnerstag sei er dann für eine Operation in ein Krankenhaus in Halle gebracht worden.

Parallelen zu Attentat in Christchurch

Der Angriff auf eine Synagoge in der deutschen Stadt Halle an der Saale weist viele Parallelen zum Anschlag im neuseeländischen Christchurch im März auf. Bei der Attacke am Mittwoch wurden zwei Menschen erschossen und zwei weitere verletzt. In Christchurch hatte ein Rechtsextremist in zwei Moscheen mehr als 50 Menschen getötet. In beiden Fällen wurde der Anschlag live im Internet übertragen.

Der Tatverdächtige ist nach Angaben der Ermittler "tief durchdrungen von einem erschreckenden Antisemitismus" und geprägt von Fremdenhass und Rassismus. Demnach wollte B. mit seiner Tat "weltweite Wirkung erzeugen" durch das live gefilmte und im Internet übertragene Tatgeschehen und seine Pläne, die er zuvor im Internet verbreitet hatte. Er habe sich dabei "in der Tradition vergleichbarer Attentäter" gesehen, etwa von jenem im neuseeländischen Christchurch, sagte Frank. Dort hatte im März ein Rechtsextremist in zwei Moscheen mehr als 50 Menschen getötet und den Anschlag live im Internet übertragen.

Bei einer Durchsuchung von B.s Wohnung wurden Beweismittel beschlagnahmt, die nun wie die Waffen und Sprengmittel kriminaltechnisch untersucht werden. Auch die gesamte Kommunikation des Tatverdächtigen solle durchleuchtet werden, sagte Frank. Die Ermittlungen würden sich aber einige Zeit hinziehen.

Zehntausende Menschen sahen sich Video von Angriff an

Auch einen Tag nach dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle ist das Live-Video des Angreifers noch immer im Internet abrufbar. Am Donnerstagvormittag hatten bereits Zehntausende Nutzer auf mehreren Videoplattformen das 35-minütige Tat-Video gesehen.

Der Angreifer Stephan B. hatte seine Tat gefilmt und auf der zum US-Konzern Amazon gehörenden Plattform Twitch live übertragen. Inzwischen hat die Plattform das Video gelöscht. Dem Unternehmen zufolge verfolgten nur fünf Nutzer die Tat live, rund 2.200 weitere schauten sich später eine Aufzeichnung an. Allerdings wurde das Video auf anderen Plattformen, die nicht zu den großen Onlinekonzernen gehören, im Internet weiterverbreitet.

Opfer sind identifiziert

Auf dem Marktplatz von Halle entsteht ein Kerzen- und Blumenmeer, ebenso direkt an den Tatorten vor der Synagoge und an einem nahen Döner-Imbiss. "Unfassbar", "grausam", "einfach nur schlimm" murmeln die Menschen, die an den Orten um die Opfer trauern.

Bei den Opfern des Attentates handelt es sich um eine 40 Jahre alte Frau aus Halle sowie einen 20 Jahre alten Mann aus Merseburg. Die Frau war am Mittwochmittag von dem schwer bewaffneten Täter vor der Synagoge erschossen worden, der Mann wenig später in einem nahen Döner-Imbiss. Auf seiner Flucht hatte der mutmaßliche Rechtsextremist auch zwei Menschen verletzt. Bei ihnen soll es sich nach dpa-Informationen um ein Ehepaar handeln, das im 15 Kilometer entfernten Landsberg ein Geschäft betreibt. Die 40 Jahre alte Frau und der 41 Jahre alte Mann werden mit Schussverletzungen im Krankenhaus behandelt.

Erst nach 15 Minuten kam die Polizei

Vor der Synagoge beantworten einige Jüdinnen und Juden, die während des Anschlags in dem Gotteshaus waren, geduldig Fragen. Unter ihnen ist Christina Feist (29), die aus Wien stammt und in Berlin wohnt. Sie wollte "fern des Großstadttrubels" mit anderen Gläubigen den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur in Halle begehen. Der größte Schock für sie sei gewesen, dass sie auf dem Bildschirm der Überwachungskamera sehen konnten, wie der Täter direkt vor der Synagoge eine Frau erschoss. "Wir konnten schlecht rausgehen", sagt Feist. Sie hätten mehr als 15 Minuten die am Boden liegende Frau gesehen, nicht wissend, ob sie lebt oder nicht. Erst dann sei die Polizei gekommen. In der Synagoge habe keine Panik geherrscht, aber Anspannung. "Wir haben gesungen, wir haben gebetet", sagt Feist. Sie seien dankbar gewesen, dass sie noch lebten. Doch zwei Menschen überleben den Anschlag nicht.

Video: Die ORF-Korrespondentin Hanna Sommersacher berichtet aus Halle über die aktuellen Ermittlungsstände und die Lage vor Ort:

"Wir haben das vorausgesehen"

Der Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Ariel Muzicant, sieht angesichts der Schüsse in Halle ein Versagen der Gesellschaft im Kampf gegen Antisemitismus. "Wir haben das vorausgesehen, und wir haben es vorausgesagt", betonte Muzicant. "Alle Versuche, das auf einen Einzeltäter zu reduzieren, sind falsch." Der Täter in Halle sei nicht als Antisemit auf die Welt gekommen. Er habe seine Ideologie und Gesinnung in einem Umfeld erworben.

"Wir beobachten die Situation seit Monaten, wenn nicht Jahren mit großer Sorge, sei das in Deutschland, sei das in Österreich, sei das in anderen Ländern", sagte Muzicant. Außer Sonntagspredigten sei relativ wenig geschehen. Es handle sich aber um kein Versagen der Behörden, "das ist ein Versagen der Gesellschaft, das geht weit über die Behörden hinaus".

Wer Rechtsextremismus verteidigt, mache sich mitschuldig

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier suchte zu Mittag die Synagoge auf, in die der Attentäter versucht hatte einzudringen. "Dieser Tag ist ein Tag der Scham und der Schande", sagte Steinmeier. "Wer jetzt noch einen Funken Verständnis zeigt für Rechtsextremismus und Rassenhass (...) - wer das rechtfertigt, der macht sich mitschuldig." Der Attentäter sei "offensichtlich zu allem bereit" gewesen. Die Gesellschaft müsse eine klare, entschiedene Haltung der Solidarität mit den jüdischen Mitbürgern zeigen. "Wir müssen jüdisches Leben schützen." Auch Innenminister Horst Seehofer legte Blumen an der Synagoge nieder.

Der mutmaßliche Rechtsextremist Stephan B. hatte am Mittwoch nahe der Synagoge in Halle einen Mann und eine Frau erschossen. Zudem versuchte er offenbar, in das wegen des höchsten jüdischen Feiertags Jom Kippur voll besetzte Gotteshaus einzudringen. Er wurde später auf der Flucht festgenommen. Die Polizei geht von einem antisemitischen Motiv aus.

Die deutsche Regierungschefin Angela Merkel hat sich unterdessen für den Einsatz sämtlicher rechtsstaatlicher Mittel gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus ausgesprochen. Sie sei wie Millionen Menschen "schockiert und bedrückt" von dem Verbrechen im ostdeutschen Halle, sagte die Kanzlerin am Donnerstag

Am Tag des Attentates haben die OÖN berichtet. Lesen Sie weitere Details hier im Artikel nach.

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