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"Wir begreifen es einfach nicht"

Von Eike-Clemens Kullmann   10.August 2017

Nach dem Tod eines Rekruten der Garde in Horn ermitteln jetzt die Staatsanwaltschaft Krems sowie das Bundesheer. Erstere wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen. Derzeit noch gegen unbekannt, sagte die Leiterin der Anklagebehörde, Susanne Waidecker, am Mittwoch.

Der 19-Jährige war bei einem Ausbildungsmarsch nach drei Kilometern zusammengebrochen und später an Überhitzung des Körpers (44 Grad Temperatur) gestorben. Vorbehaltlich weiterer Untersuchungen gebe es keinen Hinweis auf eine relevante bakterielle Erkrankung, teilte Franz Hütter, Sprecher der Staatsanwaltschaft Krems, mit.

Vorwürfe gegen Ausbildner

Beim Bundesheer gingen gestern Dutzende Beschwerden ein. Diese betrafen einerseits die Kaserne Horn, wo es laut einem Vater schon am Tag vor dem Todesfall des Rekruten zu gesundheitlichen Problemen bei gleich 20 Soldaten gekommen sein soll. Andererseits gab es Anschuldigungen gegen Ausbildner anderer Standorte.

Inwieweit die Vorwürfe gerechtfertigt wären, sei unklar, sagte ein Sprecher des Verteidigungsressorts den OÖN. Man werde aber allen Hinweisen nachgehen. Die Garde, zu der der verstorbene Rekrut gehört hatte, lädt die Familienangehörigen jetzt zu einem Informationsabend. Bis gestern gab es aber erst zwei Anmeldungen.

Bereits am Dienstagabend waren von Minister Hans Peter Doskozil (SPÖ) zwei Kommissionen eingesetzt worden. Die Untersuchung des tragischen Todes leitet Hans Rathgeb, Präsident des Landesgerichts Salzburg und Brigadier der Miliz. Dies deshalb, "um größtmögliche Transparenz und Offenheit sicherzustellen", sagte Generalleutnant Franz Reißner, Landstreitkräfte-Kommandant.

Gestern wurde mit der Befragung der 170 Rekruten und des Ausbildungspersonals in Horn begonnen. In einem offenen Brief meldeten sich zudem drei Rekruten. "Wir haben die Wahrheit verdient", schrieben sie. Und: "Wir begreifen es einfach nicht." Damit meinten sie den Tod ihres Kameraden und Berichte, wonach es "20 Ohnmächtige" und "30 Kilo Marschgepäck" gegeben habe. Das Gepäck sei auf 12 Kilo erleichtert worden, man sei im Unterhemd und ohne Helm marschiert.

Die zweite Heereskommission soll sämtliche relevanten Ausbildungsvorschriften überprüfen. Ihr steht Generalleutnant Günter Höfler vor, Leiter der österreichischen Militärvertretung in Brüssel und ehemaliger Streitkräftekommandant. Dieser ist derzeit allerdings noch im Urlaub. Ein anderer hoher Offizier zu den OÖN: "Es hat schon in den vergangenen Jahren Verbesserungen bei der Verordnung gegeben, worauf im Dienst aufzupassen ist. Aber leider ist nichts perfekt."

Doskozil gegen Pauschal-Verurteilung

Verteidigungsminister Hans-Peter Doskozil (SPÖ) hat nach dem Tod des Rekrutenam Mittwochabend in der ORF-"ZiB 2" erneut volle Aufklärung und entsprechende Konsequenzen angekündigt. Gleichzeitig stellte er sich grundsätzlich hinter die Heeres-Mitarbeiter: Es dürfe nun nicht zu einer "pauschalen Verurteilung" des Heeres kommen, so Doskozil.

Er verwehre sich dagegen, dass das Bundesheer "als Ganzes in ein schiefes Licht gestellt wird", sagte der Verteidigungsminister. Beim Bundesheer gebe es rund 2.000 Ausbildner, einige davon würden Fehlleistungen erbringen, dagegen müsse man klar eintreten, sagte Doskozil, der von einem "sehr tragischen Fall" sprach.

Man müsse sich nun die internen Ausbildungsvorschriften genau ansehen und mögliche Interpretationsspielräume gegebenenfalls genauer definieren. Dazu seien ja auch die beiden Untersuchungskommissionen eingesetzt worden. Seiner Meinung nach wird es wohl nicht notwendig gewesen sein, den Marsch zu diesem Zeitpunkt - bei großer Hitze - abzuhalten, sagte er auf eine entsprechende Frage.

Auch Berichte, wonach bei einem Marsch am Vortag mehr als 20 Rekruten ohnmächtig geworden seien, seien bereits an die Kommission weitergegeben worden, sagte der Minister. Er verlasse sich auf die unabhängige Beurteilung der eingerichteten Stelle.

144 Beschwerde-Verfahren

Die Parlamentarische Bundesheerkommission hat im Vorjahr 144 Verfahren abgewickelt. Innerhalb des Heeres gab es 32 ordentliche Beschwerden, teilte das Ministerium mit. Von den 144 Verfahren bezogen sich 42 Prozent auf die Ausbildung, neun Prozent auf die Versorgung und drei Prozent auf die Infrastruktur. 16 Prozent der Beschwerden kamen von Rekruten, 18 Prozent von Chargen, 22 Prozent von Unteroffizieren, 16 Prozent von Offizieren und 28 Prozent von anderen Mitarbeitern. Von den 32 ordentlichen Beschwerden wurden 38 Prozent als berechtigt anerkannt.

 

Tödlicher Kollaps

Toni P. war ein topfitter Maturant und Wasserballer beim ASV Wien, der im Juli bei der Wiener Garde zum Präsenzdienst einrückte. Vergangene Woche starb er bei einem Marsch bei 36 Grad Hitze in der Kaserne Horn. Sein Tod dürfte auf Überhitzung zurückzuführen sein. Angeblich betrug seine Körpertemperatur 44 Grad, als er zusammenbrach.

Was geschieht im menschlichen Körper, wenn der Normalwert von 37 Grad deutlich überschritten wird? „Dann erweitern sich die Blutgefäße, so dass es zu einer Umverteilung des Blutes kommt“, sagt Primar Prof. Erich Pohanka, Vorstand der Klinik Interne 2 des Kepler Uniklinikums Linz. Im Extremfall kommt es dann zur Durchblutungsstörung lebenswichtiger Organe wie Herz und Gehirn. Die Folge: Hitzekollaps, Hitzekrampf, Hitzschlag.

Besonders gefährdet: Athleten, Feuerwehrleute, Soldaten. Alle, die bei Hitze großer körperlicher Belastung ausgesetzt sind. Das Risiko steigt, wenn man schon vorher dehydriert war: Zu wenig Körperwasser führt zu Salzverlust im Blut. Eine mögliche Folge: akutes Nierenversagen. Auch das Herz kann betroffen sein: „Die Verschiebung der Salzkonzentration verursacht Rhythmusstörungen“, so Pohanka. Besonders prekär ist es, wenn man zu wenig Zeit zur Akklimatisation hatte. Auch fehlende Fitness oder schwere Ausrüstung erhöhen das Risiko. Da können „Cooling-Pausen“ überlebenswichtig werden. 

 

Richtlinien

Dienst bei Hitze: Die Richtlinie des Verteidigungsministeriums aus dem Jahr 2014 schreibt unter anderem vor, dass Ausbildungen bei extremen Temperaturen – das sind mindestens 28 Grad (im Schatten) um 12 Uhr – unterbrochen werden sollen.

Zusätzliche Maßnahmen: Ausnützung von kühlen Räumen und schattigen Plätzen, Vermeiden von Fußmärschen vor allem in offenem Gelände in den heißen Tagesstunden sowie ausreichende Versorgung mit Flüssigkeit.
Die Entscheidung hat der Ausbildungsleiter zu treffen.

 

Vorfall 1974

Der Tod des 19-jährigen Toni P. in der Kaserne Horn weckt schlimme Erinnerungen an einen ähnlich tragischen Fall aus dem Jahr 1974.

Am 15. August, einem der heißesten Tage des Jahres, war der 18-jährige Grundwehrdiener Kurt W. beim Strafexerzieren in der Kaserne Mautern (NÖ) zusammengebrochen. Im AKH Wien starb er an einer Gehirnschwellung, ausgelöst durch einen Hitzeschock. Der verantwortliche Ausbildner wurde im März 1975 zu sechs Monaten bedingter Haft verurteilt. Er soll den Todeskampf des Rekruten noch zynisch mit den Worten „Sie wollen mir wohl die Füße küssen?“ kommentiert haben. Auch zwei seiner Vorgesetzten erhielten bedingte Haftstrafen.

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27. April 2024