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Intensivmediziner: "Es braucht noch mehr niederschwellige Impfangebote"

Von Thomas Streif   23.September 2021

Rund 60 Corona-Patienten wurden Mitte November 2020 auf vier Pandemiestationen im Rieder Spital behandelt. Von solchen Zahlen ist man derzeit glücklicherweise noch relativ weit entfernt, eine zweite Station für Corona-Patienten wurde aber bereits geöffnet. Mit Stand gestern wurden im Rieder Spital 15 Patienten auf den beiden Pandemiestationen behandelt. Auf der Intensivstation muss derzeit kein Covid-Patient behandelt werden. Das könne sich aber rasch ändern, sagt Primar Peter Hohenauer, Abteilungsleiter Intensivmedizin im Krankenhaus.

OÖN: Rechnen Sie noch einmal mit einer vergleichbaren "Corona-Welle" wie im vergangenen Herbst?

Peter Hohenauer: Eigentlich müsste diese schon da sein, aber zum Glück halten sich die Patientenzahlen derzeit noch einigermaßen in Grenzen, zumindest bei uns in Ried. Man darf sich davon aber nicht täuschen lassen, denn die Situation kann sich rasch ändern.

Besteht in den kommenden Wochen die Gefahr, dass geplante operative Eingriffe aufgrund steigender Covid-Patientenzahl verschoben werden müssen?

Wenn sich die Zahlen so weiterentwickeln wie in den vergangenen Tagen, dann hoffentlich nicht.

Es gab in den vergangenen Wochen mehrere Großveranstaltungen im Innviertel mit vollen Bierzelten. Was geht Ihnen als Leiter der Intensivstation bei solchen Bildern durch den Kopf?

Ich frage mich, warum in Bayern alle großen Feste abgesagt wurden, bei uns aber nicht. Wir befinden uns nach wie vor in einer Pandemie, da ist es aus meiner Sicht unausweichlich, unpopuläre politische Entscheidungen zu treffen. Es geht darum, bei Sicherheitsmaßnahmen konsequent und korrekt zu handeln, um viele gesundheitliche Folgeschäden verhindern zu können.

Wie waren die vergangenen eineinhalb Jahre für die Mitarbeiter auf der Pandemie- und Intensivstation?

Extrem belastend, wir hatten sehr, sehr tragische Fälle, die man erst einmal verarbeiten muss. Ein Patient war beispielsweise 100 Tage auf der Intensivstation, ehe er leider verstorben ist. Wir konnten nichts mehr für ihn tun, so etwas geht einem nahe. Ganz besonders schwierig ist die Situation für die Pflegekräfte, die oftmals viele Stunden bei den schwer kranken Patienten sind. Unser Personal hat über den Sommer etwas Kraft tanken können. Jetzt spürt man teilweise die Angst, dass sich die Lage wieder drastisch verschärfen könnte.

Sie hatten selber Corona. Wie ist es Ihnen gegangen?

Im Oktober 2020 bin ich fünf Tage lang mit 40 Grad Fieber im Bett gelegen. Es ist mir wirklich schlecht gegangen und ich hatte Angst, denn als Intensivmediziner weiß man, wie schlimm die Krankheit ist und welche Folgen sie haben kann.

Wie gehen Sie damit um, dass ein Großteil der Corona-Patienten, die jetzt ins Spital kommen, nicht geimpft sind?

Das ist mühsam, ich muss mich zurückhalten, um nicht zu viel zu diskutieren. Dass wir für alle Patienten alles in unserer Macht Stehende tun, ist selbstverständlich. Wenn ich dann von den Patienten höre, dass sie kein Impf-Versuchskaninchen sein wollen, dann geht mir innerlich aber schon das sprichwörtliche "Geimpfte auf".

Würden Sie eine Impfpflicht für sinnvoll erachten?

Fakt ist, dass wir aus dieser Pandemie nur mit einer sehr hohen Durchimpfungsrate von mehr als 80 Prozent rauskommen. Eine generelle Impfpflicht würde die Gesellschaft aber noch mehr spalten.

Sind Sie für eine Impfpflicht für Gesundheitsberufe?

In OÖ gibt es im Gesundheitsbereich beispielsweise eine Impfpflicht gegen Masern, Mumps, Röteln oder Hepatitis B. Daher bin ich ein klarer Befürworter einer Corona-Impfpflicht für Gesundheitsberufe. Im Spital Ried sind von allen Mitarbeitern – auch in der Verwaltung – derzeit rund 80 Prozent geimpft, 90 Prozent sind das Ziel.

Die Impfquote, nicht zuletzt im Innviertel, liegt weit unter den angestrebten 80 Prozent. Was also tun?

Es braucht noch mehr niederschwellige Impfangebote. Ich würde es sinnvoll finden, wenn man sich beispielsweise in der Apotheke impfen lassen kann. Die sogenannten Pop-up-Impfangebote sollten weiter ausgebaut werden. Wichtig ist, den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich den Impfstoff selber auszusuchen. Wo viele Leute unterwegs sind, wie in einem Stadion oder einem Einkaufszentrum, sollte es unkomplizierte Impfangebote geben. Dänemark kontaktiert Ungeimpfte sogar per Brief und bietet jeweils drei Orte und drei Termine an. Man muss versuchen, aktiv auf die noch nicht geimpften Menschen zuzugehen, außerdem sollte man verstärkt in die sozialen Netzwerke gehen, um vermehrt junge Menschen zu erreichen.

Sie sprechen soziale Netzwerke an. Sind diese nicht auch ein großer Fluch? Nirgends verbreiten sich Unwahrheiten und Verschwörungstheorien so schnell wie dort.

Das stimmt, aber man muss einfach immer wieder versuchen, die Fakten auf den Tisch zu legen. Wenn behauptet wird, dass Impfen eine große Gefahr für Schwangere darstellt, dann ist das gefährlich, denn schwangere Frauen haben ein sehr hohes Risiko für einen schweren Verlauf.

In Österreich gilt nach wie vor die 3G-Regel. Wie sinnvoll sind Ihrer Meinung nach die Selbsttests?

Ehrlich gesagt, relativ sinnlos. Dass diese Nasenbohrertests nach wie vor als Eintrittstests gelten, das geht nicht. Als solche sollten in erster Linie PCR-Tests angeboten werden. Hier besteht im Angebot noch Luft nach oben. Jetzt im Herbst und Winter sollte das Testangebot noch gratis bleiben.

Bräuchte es bei der Maskenpflicht aus medizinischer Sicht weitere Verschärfungen?

Ich bin für eine einheitliche FFP2-Maskenpflicht in allen Geschäften und bei allen Indoor-Veranstaltungen.

Also sollten auch Geimpfte nur mit FFP2-Maske ins Kino gehen dürfen?

Ja, denn die FFP2-Maske bietet einen sehr guten Schutz.

Wie sinnvoll ist eine dritte Impfung?

Sehr. Gerade für jene, die mit den Impfstoffen von Johnson & Johnson und AstraZeneca geimpft sind, empfiehlt sich eine rasche Auffrischung.

Was sagen Sie politischen Kräften, die versuchen, eine Impfung als gefährlich darzustellen?

Dann frage ich mich, ob diese, wenn sie im Auto sitzen, mit angelegtem Sicherheitsgurt unterwegs sind oder nicht. Für mich sind solche Äußerungen unverantwortlich.

Was glauben Sie: Wann wird ein Leben wie vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie wieder möglich sein?

Das traue ich mir nicht zu beantworten. Ich weiß nicht, ob es je wieder genau so sein wird wie vorher.

Was würden Sie sich von der Ärztekammer wünschen?

Es braucht positive Impfkampagnen, außerdem sollte man klarer auf Gerüchte und Falschmeldungen reagieren und diese mit fachlichen Argumenten und nicht mit kammerpolitischen Dingen widerlegen. Grundsätzlich würde ich mir längst eine detaillierte Datenbank für Intensivstationen wünschen. Da sind uns viele andere Länder leider weit voraus.

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