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Warte und koste den Himmel

Von Klaus Buttinger   17.Dezember 2016

Es wird die Zeit zwischen Wunsch und Erfüllung immer kürzer. Die Pizza kommt in 20 Minuten, der Kredit in einer Stunde, das Paket vom InternetGreißler in einem Tag. Da klingt das Wort Erwartung schon recht betulich. Auch in Ihren Ohren?

Hildegard Wustmans: Ich finde Warten besser als Erwartung. Warten heißt für mich: Ich halte nach etwas Ausschau. Das ist offener, da gibt es etwas zu entdecken. Was, das weiß ich nicht. Aber das macht es interessant.

Dem Menschen ist das Warten nicht in die Wiege gelegt. Ein Test aus der Psychologie besagt: Fast alle Kinder, denen man einen Keks auf den Tisch legt und sagt: Wenn du ihn nicht isst, bekommst du in zehn Minuten zwei davon, essen den Keks. Wie lernen wir Warten?

Es ist eine Übung. Wobei ich Kinder nicht alleine warten lassen würde, sondern begleitet. Warten wird so zu etwas Aktivem. Das heißt, sich neben das Kind setzen und reden: Worauf, warum warten wir? Wie fühlt sich Warten an? Auf welche Gedanken kommen wir, wenn wir warten?

Ich erinnere mich an das nervenzerfetzende Warten aufs Christkind als Kind. Das warme, fast brennende Gefühl in der Brust, als endlich das Glöckchen läutete. War das ein Wartetraining?

Ja, ein gestaltetes Wartetraining. Wir haben den Brief ans Christkind geschrieben, wir haben immer, wenn der Himmel rot war, gesagt: "Der Ofen im Himmel glüht, das Christkind bäckt für uns". Das war ein Warten mit Ausschau halten.

Entwickelt sich ein Charakter eines Menschen, der früh Warten gelernt hat, besser?

Vielleicht sind Menschen, die früh Warten gelernt haben, umgänglicher. Aber Warten lernen kann man nachholen, es auch als Erwachsener üben. Das hat was. Denn Warten ist ja so etwas wie eine Auszeit von der Hektik, Warten ist immer Unterbrechung. Und das ist bisweilen unangenehm.

Welche Erwartungen halten Sie für die besten?

Das ist mir zu groß, zumal Jede und Jeder eigene Biografien und Narrative hat. Aber wenn ich etwas ganz Großes erwarten möchte, dann die Einhaltung der Menschenrechte. Einer meiner Studenten hat kürzlich geschrieben, und das hat mir sehr gefallen, dass all’ die Marias und Josefs, die heutzutage unterwegs sind, eine Herberge für sich und ihre Kinder finden mögen.

Es heißt, eine Schwangere wäre in freudiger Erwartung. Impliziert die Metapher, dass es auch unfreudige Erwartungen gibt?

Das erleben viele Familien zu Weihnachten, ein Fest das so beladen ist von Erwartungen, dass es mal friedlich zugehen soll usw. Spätestens, wenn der Christbaum steht, ist der erste Streit passiert.

Kann man sich vor Enttäuschung schützen, indem man sich die Erwartungshaltungen mehr oder weniger abgewöhnt?

Von sich viel zu erwarten und Ausschau halten, das finde ich gut. Da würde ich meine Erwartungen nicht herunterschrauben. Die Frage ist nicht, was ich erwarte, sondern wie gehe ich mit den Erwartungen um? Bin ich zum Beispiel in der Lage, zu Weihnachten offen zu sagen: "Ich bin mir sicher, wir haben alle viele positive Erwartungen, und was stellen wir fest? Nicht eine davon kann eingelöst werden." Damit dreht sich diese Situation, weil man sie anspricht. Wenn jemand nicht mitteilt, was er oder sie erwartet, können sich die anderen nicht dazu verhalten. Nur dann ließe sich sagen: "Diese Erwartung kann ich dir nicht erfüllen." Das Problem ist, dass wir meinen, über viele Dinge nicht mehr sprechen zu müssen.

Würden Sie uns dazu ein konkretes Beispiel nennen!

Eltern machen das mit ihren Kindern. Sie sagen: "Heuer konnte das Christkind dieses nicht bringen, dafür aber jenes." Das Kind kann damit umgehen, kann nachfragen. Erwachsene untereinander machen das erstaunlicherweise nicht.

Werden unerfüllbare Erwartungen nicht auch bewusst geschaffen, etwa in der Politik. Zum Beispiel, dass es uns ohne Ausländer besser ginge?

Das ist keine Erwartung, das ist eine Behauptung. Menschen, die das behaupten, erwarten, dass dies von der Politik umgesetzt wird. Ich glaube nicht, dass es uns ohne Flüchtlinge besser ginge. Ich hatte in letzter Zeit den Eindruck, dass Begegnungen mit Flüchtlingen aus den Menschen hier das Beste hervorgeholt haben: Mitgefühl, Entgegenkommen,tatkräftige Hilfe. Jetzt ist die Zeit der Akuthilfe vorbei, jetzt geht es um Integration. Dabei können wir voneinander lernen. Aber Lernen ist für alle Beteiligten anstrengend. Und es ist die Frage, ob wir bereit sind, in diesen Prozess der Entdeckungen, der wechselseitigen Zumutungen, Enttäuschungen und Veränderungen hineinzugehen.

Viele beantworten diese Fragen im Internet mit Hass …

Da muss man sagen: Das geht gar nicht. Christen gehen davon aus, dass mein Nächster, meine Nächste zu respektieren und wertzuschätzen ist. Wir sprechen vom Liebesgebot: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Das sind jetzt echte Herausforderungen für Christinnen und Christen: Gilt das, was wir sagen, exklusiv für den Kreis der uns Bekannten oder ist es das, was es ist, Verheißung für uns alle.

Christen ist die Wiederkehr Gottes auf Erden verheißen. Ist es nicht utopisch, weiter darauf zu warten, wenn da mehr als 2000 Jahre lang nichts passiert ist?

So ist lange Zeit argumentiert worden. Das war Vertröstung. Die Erde ist kein Paradies, ertrage es, sei demütig, und dann wird dir das Himmelreich zuteil. Heute sagen wir: Das Reich Gottes ist anfanghaft da. Christinnen und Christen setzen Taten, versuchen achtsam zu sein, zu lieben, ergreifen aber auch in ungerechten Situationen das Wort.

Sie sehen das Reich Gottes schon auf Erden?

Es ist da – und noch nicht da. Es geht darum, sich am Reich-Gottes-Projekt zu beteiligen. Ein Stück Himmel ist schon da, wenn etwa in einer Beziehung Versöhnung passiert. Da gibt es Menschen, die sagen, in diesem Moment hätten sie den Himmel geschmeckt. Daran ist nichts Vertröstendes, das ist eine ganz tiefe Erfahrung.

Hunderte Generationen seit der Geburt Jesu, und doch sind wir weit entfernt vom Himmel auf Erden, oder?

Wir sitzen hier in einem warm temperierten Haus, wir sind gesund, wir haben Sozialversicherung, Europa ist seit mehreren Generationen befriedet, es gibt die Religionsfreiheit, die Anerkennung der Menschenrechte. Da würde ich nicht sagen, es hätte sich für die Menschen nichts verbessert.

Tatsächlich eine Leistung der Christenheit?

Ich sage nur: Zweites Vatikanisches Konzil und Papst Franziskus zeigen, dass Kirche nichts Losgelöstes ist von den Erfahrungen der Menschen, und dass sie da ist, Vorschläge zu machen. Ob sie angenommen werden, liegt am Gegenüber, das habe ich nicht in der Hand. Und dann ist es auch noch eine spirituelle Herausforderung, nachdem ich meinen Teil getan habe, dass Gott seinen Teil dazutut.

Denn "eine frohe Hoffnung ist mehr wert als zehn trockene Wahrheiten", sagte schon Franz Grillparzer …

Manche nennen es Hoffnung, manche nennen es Sehnsucht. Ich finde, es geht um Lebenslust, um Entdeckung, um das Neugierig-Sein, das Wahrnehmen. Ich sehe um mich herum nicht nur Beglückendes, aber ich glaube, man kann in vielen Dingen auch etwas anderes sehen. Bin ich offen, bin ich eine Abenteurerin, die sich da hineinstürzt?

Klingt gut, und doch laufen die Leute der Kirche davon …

Das ist Fakt. Ich denke, dass die Kirche vieles entdecken könnte bei Menschen, die nicht mehr bei ihr sind. Denn unter ihnen gibt es immer noch welche, die haben nicht aufgehört, sich nach etwas zu sehnen. Wie kann Kirche das wahrnehmen und wertschätzen? Indem sie sich hinausbewegt und selbst Dialogräume öffnet. Dann kann sie etwas bewegen.

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