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Stich für Stich für immer

28.Mai 2016

Totenköpfe und düstere Bilder zieren die Wände, aus den Lautsprechern tönt Heavy Metal. Der erste Eindruck in Sigis Tattoostudio in Linz entspricht jedem Klischee. Und auch Sigi Scheuchl (55) selbst tut das: hünenhaft groß, kahl rasierter Kopf und viele, viele Tattoos. Aber gut. Wo, wenn nicht in Österreichs ältestem Tätowierstudio, sollten Realität und Vorstellung sich nicht treffen?

Und ein Tätowierer, der selbst nicht tätowiert ist – das geht gar nicht: "Man muss ja wissen, wie sich das anfühlt", sagt Sigi. Damit sich diesbezüglich niemand einer Illusion hingibt, hängt ein Schild am Kasten: "Ja, es tut weh". Da passt es, dass der Sessel für die Kunden und das Geräusch der Nadel Zahnarzt-Assoziationen aufkommen lassen.

Kundenwünsche: Von kurios...

Auf diesem Sessel haben schon viele Platz genommen, seit Sigi das Studio 1985 eröffnet hat. "Doch anfangs waren es einsame Jahre", erzählt er. Inzwischen gibt es Termine nur mit monatelanger Wartezeit. Waren es zu Beginn eher Mitglieder von Bikerclubs, ist mittlerweile jede soziale Schicht im Tattoo-Studio vertreten.

 

Ob alt oder jung, vermeintlich seriös oder alternativ. "Am meisten verblüfft hat mich ein pensionierter Richter. Der hat sich einen Löwen auf den Unterarm stechen lassen. Seine Familie wollte ihn dann entmündigen lassen."

Stich für Stich für immer
Die erste Frage aller Tattoo-Neulinge lässt Sigi von diesem Schild beantworten.

Die erste Frage aller Tattoo-Neulinge lässt Sigi von diesem Schild beantworten.

Über diese Geschichte kann sich Sigi immer noch herzlich amüsieren. Wie auch über manche Kundenwünsche. "Einer wollte ein Tattoo auf der Unterlippe innen. Oder auch die große Zehe unten – da hab ich gleich gesagt, dass davon nicht viel übrig bleiben wird." Manche Kundenwünsche sind schräg, andere schlicht illegal. "Erst kürzlich wollte einer ein Hakenkreuz von mir. Aber das mache ich nicht. Es ist verboten und passt auch überhaupt nicht mit meiner Einstellung zusammen", ärgert sich der 55-Jährige: "Dass man dieser Zeit nicht hinterhertrauern muss, sollte man wissen." Zu seinem gewünschten Tattoo wird der Kunde aber wohl trotzdem kommen: "Sicher gibt es auch solche Tätowierer. Der hat vielleicht die gleiche Einstellung und schreit auch ‘Heil Hitler’, weil ihm fad ist."

... bis unüberlegt

Wer an Tätowierungen denkt, hat auch immer die Bilder und Geschichten von Tattoos im Kopf, die man bereut. Der Klassiker: das Bild oder der Name des Partners, der dann zum Ex-Partner wird. Und auch wenn es viele Negativbeispiele gibt – von Johnny Depp und seinem "Winona forever" abwärts –, wird genau das immer wieder gewünscht. "Man kann ja nicht direkt sagen, dass das keine gute Idee ist. Deshalb frage ich immer sehr genau nach, ob sie sich sicher sind", beschreibt Sigi seine diplomatischen Versuche, den Kunden diesen Wunsch auszureden.

Erfolgreich ist er damit selten: "Die sind überzeugt, ihre Beziehung hält ewig – da kann man sagen, was man will." Für manche kommt die Ernüchterung schneller als gedacht: "Letztens hatte ich eine Fall, da ging die Beziehung einen Monat nach der Tätowierung auseinander."

Groß und flächig liegt im Trend

Schiefgehen kann ein ,Peckerl’ aber auch aus anderen Gründen. Zum Beispiel, weil es einfach nicht schön gemacht wurde. Berufskollegen, die ihre Arbeit schlecht machen, regen den Linzer wahnsinnig auf: "Auch wenn Tätowieren im Gegensatz zu meinen Anfangsjahren jetzt ein offizielles Gewerbe ist, gibt es immer noch viele Pfuscher. Und die Leute kommen dann ganz verzweifelt zu mir, haben einen Schmarrn oben und fragen, was man machen kann." Grundsätzlich gilt, ja, man kann etwas machen. Aber das wird teuer, egal ob es um eine Überdeckung oder ums Weglasern geht.

Von seinen eigenen Tätowierungen bereut Sigi keine einzige: "Jede ist mit einer bestimmten Zeit verknüpft, es sind Erinnerungen." Wie viele es genau sind, weiß er nicht: "Ich hoffe, es wird alles zusammen einmal ein großes Gesamtbild." Große, flächige Tätowierungen individuell an den Körper angepasst liegen im Trend: "Die Kunden sind viel mutiger geworden. Die Bilder werden schräger, aber auch anspruchsvoller."

Familienbande

An seine eigene Haut lässt Sigi jetzt nur noch seinen Sohn Marc. Dieser arbeitet, seit er 16 ist, im Tattoostudio. Wie auch eine seiner Schwestern und Mutter Conny. "Meine zweite Tochter arbeitet nicht hier. Aber sie ist auch tätowiert", grinst Sigi.

Wie lange er selbst noch zur Nadel greifen will? "Solange ich Spaß daran habe." Und solange er eine ruhige Hand hat. Denn das ist, genauso wie Geduld, Konzentrationsfähigkeit und künstlerisches Talent, eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen Tätowierer. Geduld und Konzentration sind für manche bei Heavy Metal vielleicht schwer vorstellbar. Aber da sind die Menschen wohl so verschieden wie die Motive, die ihnen Sigi auf den Körper sticht.

 

Warum haben Sie ein Tattoo?

Sabrina Nimmervoll

Sabrina Nimmervoll  

"Ich finde es schön, wenn Menschen ihre Geschichten und Erinnerungen auf dem Körper tragen. Ich war bisher dreimal tätowieren. Das erste Mal mit 18, das war eine spontane Geschichte. Die zweite Tätowierung auch. Die dritte habe ich mir wirklich gut überlegt. Das bin ich: die roten Lippen, meine Emo-Mascherl – die trug ich zu einer Zeit, in der sich viel für mich verändert hat – und die Knöpfe, weil ich Dekorateurin bin. Das nächste Tattoo ist schon in Planung: ein grinsender Totenkopf an der Oberarm-Innenseite."

 

Harald Dormayr 

Harald Dormayr

"Meine erste Tätowierung ließ ich 1988 machen. Ich bin in einem Bikerclub, da gehört das dazu. Früher war man mit einem Tattoo Außenseiter – wollte man auch sein. Das hat sich geändert. Im Herbst kommt das nächste. Es tut schon weh, fast mehr als früher. Den Schmerz vergisst man wieder."

 

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