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"Jeder kann für Fundamentalismus anfällig sein"

Von Herbert Schorn   24.April 2015

Warum ziehen Jugendliche aus Österreich in den Dschihad? Warum lassen sich Mädchen aus dem Westen als Bräute für Kämpfer des Islamischen Staates anwerben? Wie viel Macht haben Religionen, um ihre Gläubigen zu radikalisieren? Das elfte Linzer Religionsgespräch, veranstaltet von der Diözese Linz mit den OÖNachrichten, näherte sich am Mittwochabend in der Katholisch-Theologischen Privatuniversität (KTU) diesen Fragen von drei Seiten: aus katholischer, islamischer und psychologischer Perspektive.

"Bei Radikalisierung geht es weniger um die Religion als um politische Ideologie", sagte Moussa Al-Hassan Diaw, Mitbegründer des "Netzwerks sozialer Zusammenhalt" und Mitarbeiter der Pädagogischen Hochschule der Diözese. "Es geht darum, andere zu zwingen, die eigenen Ideale anzunehmen. Nicht Gott steht im Mittelpunkt, sondern die Ideologie." Dafür werde sukzessiv die Gewalt bis zur extremsten Form, dem Selbstmordattentat, gesteigert.

Gefühl der Ausgrenzung

Franz Gmainer-Pranzl, Theologie-Professor der Universität Salzburg, sieht drei Gründe, warum Religionen in Extremismus ausarten können: wenn sie sich mit politischer Macht verbinden, wenn sie eine Gegenwelt zur Globalisierung darstellen oder zur Rache für Demütigung und Ausgrenzung werden. "Letzteres halte ich global für das größte Problem."

Christian Allesch, Professor für Psychologie an der Uni Salzburg, suchte Antworten in der Alltagspsychologie: "Jeder von uns kann anfällig für Fundamentalismus sein." Er nannte als Beispiel die Empörung bei Autofahrern, die sich selbst an ein Tempolimit halten und von einem Lenker mit hoher Geschwindigkeit überholt werden. "Wir reagieren oft heftig, wenn sich jemand eine Freiheit herausnimmt, die wir uns verwehren", sagte der Experte. Wenn solche Verhaltensmuster zu Charakterzügen werden, "ist der Begriff des Alltagsfundamentalismus nicht unangebracht".

Doch wo sei der Punkt, an dem alles ins Extreme umschlage, fragte Moderator Ansgar Kreutzer von der KTU. Da sei das Motiv der Machtausübung wohl das zentrale Moment, so Allesch: "Da kann eine schwache Persönlichkeit plötzlich über anderen stehen." Laut Al-Hassan Diaw gibt es bei Menschen, die zu Extremismus neigen, nur ein gemeinsames Muster: "Sie fühlen sich einsam, ausgegrenzt und suchen emotionale Belohnung. Sie wollen Ruhm und Heldentum. Sie wollen oben sein."

Doch wie erklären sich die Experten, dass Extremisten gerade die Religionen immer wieder für ihre Zwecke missbrauchen, fragte ein Zuhörer. "Religionen bieten einen Heilsweg an. Es geht um Hingabe, nicht um Distanz. Das ist das Kraftvolle an den Religionen", sagte Gmainer-Pranzl. "Sie haben daher eine Schubkraft wie keine anderen Mächte. Aber genau diese Macht ist ihre große Gefahr."

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