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Grundrechts-Debatte in der Pflege: Bewohner ruhig stellen?

Von Philipp Hirsch   30.Mai 2015

Diese Frage beschäftigt Juristen, Betreuer und Politiker. Die OÖNachrichten diskutierten am Freitag in Wels mit sechs Experten.

Mit Bewohnerin überfordert

Behindertenpädagoge Christian Grill kennt die Schattenseiten der Alten- und Behindertenbetreuung in Oberösterreich. "Ich werde dann gerufen, wenn es Streit gibt", sagt er. Die Fälle, die Grill erlebt, sind nicht alltäglich. Sie sind die Tiefpunkte . Er zeigt Bilder von Unterkünften, die mitten in Oberösterreich stehen, die aber eher an die Dritte Welt denken lassen. Ein kahler Raum mit einem Bett ohne Bettzeug. Vorhänge gibt es keine. Eine 58-jährige Frau lebt hier seit einem Vierteljahrhundert. Sie ist geistig behindert und taub. Das Pflegepersonal ist mit ihr überfordert, sie gilt als schwierig. Als Grill sie im Jahr 2009 besucht, wiegt sie nur noch 38 Kilogramm. Innerhalb eines Jahres hatte sie 20 Kilo Gewicht verloren. "Mit löchrigen Socken stand sie auf dem kalten Boden", erinnert sich Grill. Während der Nacht und zu den Essenszeiten sperren die Pfleger die Frau in ihrem Zimmer ein. Sie sei aggressiv und würde den anderen Bewohnern das Essen stehlen, heißt es. Immer wieder schickt die Heimleitung die Frau in die Psychiatrie. Dort hat man mit der Patientin keine Probleme. Nach mehreren Aufenthalten empfiehlt ein Arzt dem Pflegeheim: "Schickt sie nicht dauernd zu uns, sondern gebt ihr was zu essen." Dies ist ein eindeutiger Fall, in dem eine Patientin zu unrecht in ihren Grundrechten beschnitten worden ist.

Aber wie soll das Pflegepersonal mit tatsächlich schwierigen Patienten umgehen? Bis ins Jahr 2005 war das eine rechtliche Grauzone. Dann regelte der Staat das Vorgehen mit dem Heimaufenthaltsgesetz. Seither müssen die Methoden der Heime wieder von Richtern überprüft werden: "In den letzten Jahren geht es dabei hauptsächlich um medikamentöse Beschränkungen", sagt Manfred Lengauer, Richter am Landesgericht in Wels. Oft sei strittig, ob die Beschränkung eine Nebenwirkung der Behandlung oder deren Zweck ist, erläutert der Jurist. Er kritisiert, dass in manchen Fällen die Alternativen zur Einschränkung nicht ausreichend geprüft würden.

"Konfliktreiche Diskussionen"

Nicht immer sind es die Heime, die solche Beschränkungen fordern, weiß Sabine Wimmer, Leiterin des Pflege- und Betreuungsdienstes in Sierning. "Angehörige fürchten, dass es zu Verletzungen kommt, wenn wir die Bewohner nicht in ihrer Freiheit einschränken", berichtet sie. Das Heimaufenthaltsgesetz führe in ihrem beruflichen Alltag jedenfalls oft zu "sehr emotionalen und konfliktreichen Diskussionen". Trotzdem sieht sie in dem Gesetz keine Bedrohung. Es müsse nur novelliert und dadurch eindeutiger werden.

 

Heimaufenthaltsgesetz

Das Heimaufenthaltsgesetz ermöglicht es dem Pflegepersonal, die persönliche Freiheit eines Heimbewohners im Namen des Staates einzuschränken, wenn Gefahr besteht. Meistens geht es dabei um die Bewegungsfreiheit der Patienten. Die Möglichkeiten, diese zu beschneiden, sind mannigfaltig. In den vergangenen Jahren geht der Trend aber klar hin zu Medikamenten. Gitter an den Betten hingegen seien ein Auslaufmodell, berichten Pfleger.
Prinzipiell darf immer nur das „gelindeste Mittel“, das zur Gefahrenabwehr geeignet ist, angewandt werden. 2006 und 2007 wurde das Gesetz novelliert und regelt nun detailliert, welche Methoden zulässig sind. Trotzdem werden in vielen Fällen die Gerichte eingeschaltet.

 

Nachgefragt: Sind die Regelungen ausreichend? Wird die Würde der Bewohner verletzt?

„Dort, wo ein Mensch Macht über andere hat, läuft er Gefahr, diese Macht auch auszuüben.“ - Christian Grill, Gutachter und Behindertenpädagoge
„In vielen Fällen ist es strittig, ob die Freiheitseinschränkung Zweck der Behandlung oder eine Nebenwirkung ist.“ - Manfred Lengauer, Richter LG Wels

„Oft sind es auch die Angehörigen, die eine Beschränkung fordern. Sie fürchten, dass es sonst zu Verletzungen kommt.“ - Sabine Wimmer, Leiterin des Pflege- und Betreuungsdienstes in Sierning

„Psychiatrische Kliniken erwarten durch das Gesetz immer mehr, dass Krisenintervention nun in den sozialen Einrichtungen stattfindet.“ - August Hinterberger, Leiter Invita Caritas

 

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26. April 2024