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Dietmar Janoschek: „Wenn ich Stufen vermesse, dann wird es ruhig“

14.Juli 2012

OÖN: Herr Janoschek, wie kann ein Mensch einen Lokalaugenschein machen, der blind ist?

Dietmar Janoschek: Ein Sehender schaut halt einmal so in die Runde, ich als Blinder gehe in Räumen entlang der Wand. Rundumadum. Dann habe ich einmal im Kopf: Aha, so groß. Aha, rechtwinkelig. Ist halt aufwändiger, aber so entsteht in meinem Kopf ein absolutes, dreidimensionales Bild.

OÖN: Es wird Ihnen auch helfen, dass Sie einmal sehen konnten.

Janoschek: Absolut. Hätte ich nie gesehen, könnte ich das gar nicht machen.

OÖN: Wenn Sie als Blinder auf einer Baustelle auftauchen – werden Sie da immer gleich für ernst genommen?

Janoschek: Es gibt Getuschel. Die Leute sind sehr verwundert. Man kriegt das auch mit, dass die Blicke auf einem ruhen. Was tut der da jetzt? Wenn ich dann anfange, mit meinem sprechenden Rollmeter irgendwelche Stufen zu vermessen, dann wird es ruhig. Da kommen welche und fragen: Können wir helfen? Sage ich: Nein, nein, ich vermesse da nur etwas ...

OÖN: Wo brauchen Sie Hilfe?

Janoschek: Bei Lokalaugenscheinen ist es fein, wenn mich jemand durch das Gebäude begleitet. Was überhaupt nicht alleine geht, ist, einen Bauplan zu beurteilen. Ich habe dann fachkundige Helfer, die meinen Finger nehmen und mich über den Plan führen. Da ist ein Fenster, hier sind Stufen. Und ich stelle meine Fragen dazu. Ich habe meine gesetzlichen Vorschriften alle im Kopf.

OÖN: Können Sie sich vorstellen, dass ein Gericht Sie als Sachverständigen ablehnt, weil Sie blind sind?

Janoschek: Das mit der gerichtlichen Beeidung ist eine neue Situation. Da wird es viele geben, die sagen, na, das kann ich mir nicht vorstellen. Aber ich habe ja jetzt die Bestätigung, dass ich wirklich fachkundig bin.

OÖN: Haben sich Ihre Prüfer besonders ins Zeug gelegt?

Janoschek: Oja. Es waren zwei renommierte Architekten und ein Richter. Die haben mich mehr als eine Stunde im Kreuzverhör gehabt. Sie haben sehr sorgfältig geprüft. Für sie war es auch eine neue Situation.

OÖN: Angst, dass Sie etwas „übersehen“, haben Sie nicht?

Janoschek: Die Angst habe ich nicht. Ich mache das seit 20 Jahren und weiß, was ich mir zutrauen kann. Ich bin ein sehr, sehr sorgfältiger Mensch.

OÖN: Warum sind Sie blind?

Janoschek: Ich wollte einem Mitschüler helfen, war zur falschen Zeit am falschen Ort. Ich habe von ihm einen Faustschlag abbekommen. Das war in der dritten Klasse Hauptschule, ich war 13. Da auf die Schläfe. Dadurch hat sich die Netzhaut abgehoben. Das sollte im Wiener AKH behoben werden. Dabei dürfte etwas schiefgegangen sein, weil ich im Anschluss daran wahnsinnige Kopfschmerzen bekommen habe. Dann hat man über ein Jahr nach der Ursache gesucht, bis ein Augenüberdruck festgestellt worden ist. Da war es aber schon zu spät. Es ging dann sehr schnell. Bis 1991 habe ich noch gut gesehen. Im Sommer bin ich noch Moped gefahren, 1992 war ich mit dem Blindenstock unterwegs.

OÖN: Sie haben allen Grund, mit Ihrem Schicksal zu hadern.

Janoschek: Am Anfang bricht die ganze Welt zusammen. Man steht da und weiß nicht weiter. Aber es ist auch die Wurzel dessen, was ich jetzt mache mit meinem Verein Freiraum Europa (siehe Kasten unten). Man wird herumgeschickt, weiß nicht wohin. Ich hatte eine Wohnung, war alleine, wusste nicht einmal, wie ich auf die Straße komme, geschweige denn über die Straße oder ins Geschäft. Das waren lebensgefährliche Hürden. Mir hat keiner gesagt, wie es geht. Da habe ich mir alles selber organisiert: Blindenschrift lernen, mit dem Stock gehen.

OÖN: Sie sind einer, der sich zu helfen weiß.

Janoschek: Zunächst ist man schon in einem sehr tiefen Loch. Alles aus, vorbei. Da kannst du dir die Kugel geben. Mit den ersten Fortschritten habe ich die Möglichkeiten gesehen. Bis heute setze ich mich für ein barrierefreies Leben anderer ein.

OÖN: Sie dürfen als Blinder Lokalaugenscheine machen, gleichzeitig verwehrt Ihnen und Ihrer blinden Frau die Behörde, ein blindes Kind zu adoptieren. Verstehen Sie das?

Janoschek: Na. Wir haben das Land Oberösterreich geklagt. Wir wären das erste komplett blinde Paar in Österreich, das ein Kind adoptiert. Eine Sachverständige hat mich und meine Lebensgefährtin acht Stunden lang psychologisch gescreent. Auf 65 Seiten Gutachten bestätigt sie, dass überhaupt nichts gegen die Adoption spricht. Das Land hat jetzt 31 Zusatzfragen.

OÖN: Was können blinde Eltern nicht im Vergleich zu unversehrten?

Janoschek: Mir fällt nichts ein. Man tut einfach anders, wenn man blind ist. Ein Beispiel: Kürzlich wurde ein kleiner Bub von einem Garagentor eingeklemmt. Ich habe zu meiner Lebensgefährtin gesagt: Uns könnte so etwas nicht passieren.

OÖN: Wieso nicht?

Janoschek: Ein Blinder denkt vorher nach. Ein Blinder organisiert grundsätzlich sein Leben im Vorhinein. Was könnte passieren, wenn ich das oder das mache? Das empfehle ich allen, die sehen können: Denkt vorher nach.

 

Ein blinder Lokalaugenscheiner

Vita: Dietmar Janoschek ist 41 Jahre alt und mit der ebenfalls blinden Elfriede Dallinger liiert. Das Paar lernte sich während einer Reha kennen und lebt in Traun. Seit Donnerstag ist er der erste blinde, gerichtlich beeidete Sachverständige für barrierefreies Bauen in Österreich.

Verein: Dietmar Janoschek ist Präsident und Geschäftsführer des gemeinnützigen Vereines Freiraum Europa. Der Verein hilft beeinträchtigten Menschen. www.freiraum-europa.org

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