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Wann haben Sie zuletzt aus ganzem Herzen Danke gesagt?

Von Klaus Buttinger   01.September 2018

Die Ernte ist heuer früher dran, und auch der Dank. Die Zwetschkenbäume brechen fast vor Früchten, die Äpfel schmecken intensiv wie selten, auf den Paprikastauden drängt sich Schote an Schote. „Ich empfinde es jedes Jahr als Wunder, wie aus einem kleinen Samenkorn am Ende eine riesige Staude mit Paradeisern wird“, sagt Margit Mayr-Lamm, Biogemüsebäuerin aus Allhaming. Wir haben es uns auf der Holzterrasse ihres alten Bauernhauses gemütlich gemacht, einen Steinwurf vom grün überspannten Sipbach entfernt, und reden über Dankbarkeit. „Am Ende jedes Tages denke ich: ,Danke, dass alles gut läuft, dass das Gemüse wächst und wird.’ Denn wenn Extreme passieren wie die Trockenheit heuer, dann weiß man wieder, dass nichts selbstverständlich ist.“

Bei wem bedankt sich die Fair-Leben-Aktivistin konkret?

„Ich sage oft ,Danke dem Universum’, einer Kraft über uns, die für mich nicht personifiziert ist, wie in den Religionen“, antwortet Mayr-Lamm. „Das Wort Gott ist mir zu eng.“ Dankbarkeit hingegen fasst sie weit: „Ich bin dankbar für alles, was ich geschenkt bekommen habe – mein Leben, meine wunderbaren Eltern –, für Bekannte und Freunde, die mir helfen. Ich bin dankbar für einen Tag, den ich am Attersee verbringen kann. Allein dessen Farbenspiel empfinde ich als Wunder. Ich bin dankbar für diese Schönheit.“

Auch Barbara Stöckl setzte sich bewusst mit Dankbarkeit auseinander und schrieb ein Buch darüber (siehe unten). Nachdem die ORF-Moderatorin mit etlichen Personen des öffentlichen Lebens, darunter Künstler André Heller, Philosoph Clemens Sedmak, Psychotherapeut Uwe Böschmeyer oder Benediktinermönch David Steindl-Rast gesprochen hatte, kam sie zur Einsicht: „Dankbarkeit ist eine Lebenseinstellung, eine bewusst gewählte Haltung, eine Entscheidung, die jeder treffen kann. Sie ist nicht abhängig von objektiven Lebensumständen wie Gesundheit, Wohlstand oder Schönheit. Es geht dabei nicht darum, wie du wohnst, wen du kennst, was du isst, wie du dich kleidest, wer dich begehrt, wie viel Geld du auf dem Konto hast und welches Auto du fährst. Dankbarkeit entzieht sich diesen Kategorien. Und das Gute an dieser Entscheidung: Sie beeinflusst das Leben positiv.“

"Es gibt zu jedem Zeitpunkt des Lebens die Möglichkeit, das Gute zu sehen"
Barbara Stöckl

Forschungsergebnisse bestätigen das. „Dankbare Menschen sind insgesamt glücklicher, optimistischer, hilfsbereiter, einfühlsamer und religiöser bzw. spiritueller“, schreibt Robert Emmons, Psychologie-Professor an der Universität Davis in Kalifornien, in seinem „Handbook of Positive Psychology“. Er gilt als Vater der Dankbarkeitsforschung und stieß umfangreiche Studien an. Für seine ersten Experimente bildete er drei Gruppen von Personen. Die Probanden aus der ersten Gruppe notierten abends fünf Dinge, die an diesem Tag für sie wichtig waren, die andere fünf Dinge, über die sie sich geärgert hatten, und die dritte fünf Dinge, für die sie dankbar waren. Das Ergebnis: Die Teilnehmer mit den Danktagebüchern waren optimistischer und zufriedener. Sie wähnten sich gesünder, litten weniger unter Kopf- oder Bauchschmerzen, unter Husten und Schwindel. Zudem waren sie sportlicher als Menschen in den Kontrollgruppen und schliefen besser.

Mutter aller Tugenden

Schon für den größten Redner des alten Roms, Philosoph Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.), stand fest: „Dankbarkeit ist nicht nur die größte aller Tugenden, sondern auch die Mutter aller anderen.“ No na, könnte man sagen – wer dankbar ist, kann nicht im selben Moment gestresst, frustriert oder neidisch sein. Dirk Lehr, Psychologe an der Leuphana-Universität in Lüneburg (D), formuliert dies so: „Wir alle haben evolutionär eine solche Aufmerksamkeit auf das Negative, eine Defizitbrille, die durch Dankbarkeit etwas korrigiert wird.“ Dankbarkeitsforscher Alex Wood aus England quantifiziert die Sache: „Die meisten Menschen empfinden chronisch zu wenig Dankbarkeit.“

Margit Mayr-Lamm, Gemüsebäuerin, Fair-Leben-Aktivistin aus Allhaming: „Ich sage gerne und oft Danke.“

Ob dies an der Entfernung von der Natur liegt? Ist es einfacher, dankbar zu sein, wenn man mit der Erde, dem Wachstum, dem Werden direkt zu tun hat? Tut sich der urbane Mensch damit schwerer? „Wir alle – egal ob auf dem Land oder in der Stadt – brauchen etwas zu essen. Dass wir etwas aus der Natur auf dem Tisch haben, müsste uns hier wie dort zu Dank verpflichten“, meint Biobäuerin Mayr-Lamm: „Wir sollten uns öfter fragen, woher die Lebensmittel kommen, an welch dünnem Faden so ein Supermarkt hängt. Was ist, wenn die Belieferung nicht mehr funktioniert? Wo kommen dann die Lebensmittel her? Die Allverfügbarkeit ist sehr trügerisch.“ Es gelte zu hinterfragen, „warum Lebensmittel so wenig Wert haben in unserer Gesellschaft“, sagt Mayr-Lamm.

Der Wert der Dankbarkeit

Der Wert der Dankbarkeit liegt auf der Hand – oft in barer Münze. In US-Studien wurde gezeigt, dass Kellner um 30 Prozent mehr Trinkgeld erhielten, wenn sie zuvor „Danke“ auf die Rechnung geschrieben hatten. Juweliere machten mit jenen Kunden deutlich mehr Umsatz, bei denen sie sich nach dem ersten Einkauf ordentlich bedankten.

Doch nicht nur monetär schlägt Dankbarkeit durch. Forschungen besagen, dass Dankbarkeitsübungen, ähnlich der Tagebuchmethode, das Glücksniveau um bis zu einem Viertel heben können, was bei depressiven Verstimmungen oder leichten Depressionen Antidepressiva ersetzen könnte. Barbara Fredrickson, Psychologin und leitende Wissenschaftlerin am Positive Emotions and Psychophysiology Lab an der University of North Carolina in Chapel Hill, hält fest: Gelebte Dankbarkeit ziehe günstige Effekte nach sich, etwa höhere Kreativität, bessere soziale Integration und Resilienz (psychische Widerstandsfähigkeit, Anm.).

Dankbarkeit, das lässt sich zusammenfassen, führt zu einem besseren Miteinander. Im Falle der Biobäuerin aus Allhaming schlägt sich dies in Community Supported Agriculture (CSA) nieder, einer solidarischen Landwirtschaft, in der Konsumenten und Bauern an einem Strang ziehen. Mayr-Lamm hat auch eine Gemeinwohlökonomie-Bilanz für ihren Betrieb gelegt. „Mir gefällt die Idee der Kooperation statt der Konkurrenz“, sagt sie. Oder, wie dampfte es der spätmittelalterliche Theologe und Philosoph Meister Eckhart ein? „Wäre das einzige Gebet, das du in deinem Leben sprichst, ein Danke!, es würde genügen.“

 

 

"Es gibt zu jedem Zeitpunkt des Lebens die Möglichkeit, das Gute zu sehen"

ORF-Moderatorin Barbara Stöckl befasst sich seit langem mit dem Thema Dankbarkeit. Sie schrieb ein Buch darüber mit dem Titel "Wofür soll ich dankbar sein?", das zurzeit jedoch vergriffen ist."Die Beschäftigung mit dem Thema Dankbarkeit hat jedenfalls Auswirkungen auf mein Leben", sagt Stöckl im OÖN-Gespräch. Immer wieder treffe sie Menschen, die sie tief berühren; unbekannte und bekannte, große Persönlichkeiten, die Unfassbares erlebt haben, die schlimmste Schicksalsschläge zu bewältigen hatten. "Sie haben mir gezeigt, dass es zu jedem Zeitpunkt des Lebens die Möglichkeit gibt, das Gute, das Schöne, das Mut Machende, das Tröstende zu sehen und dass es deine ganz persönliche Entscheidung ist, worauf du den Blick richtest", sagt die Moderatorin mit Sozialkompetenz.

In einem Gespräch habe ihr Pater Georg Sporschill gesagt: "Dankbarkeit heißt, sensibel zu bleiben für all die Nichtselbstverständlichkeiten im Leben." Dafür gilt es zunächst einmal für sich selbst zu klären, was selbstverständlich ist. Eine wichtige Prüfung. Denn: "Ganz knapp neben dem Leben, das du lebst, liegt ein ganz anderes Leben, das genauso gut deines sein könnte – der Unterschied ist oft nur eine Weggabelung, ein Telefonanruf, ein Gespräch, eine Entscheidung", sagt Stöckl.In ihrem neuen Buch erzählt sie von Momenten, die das Leben von Grund auf änderten.

Barbara Stöckl: "Was wirklich zählt", Amalthea Verlag, 208 Seiten, 20 Euro

 

Dankbar und zufrieden sein können

Bitte" und "Danke" zu sagen lehren wir Kindern sehr früh. Warum? Sind es leere Worthülsen, die man sich als Erwachsener wieder abgewöhnt, oder kommt hier etwas zum Ausdruck, was zutiefst die Existenz des Menschen trifft?

Dank und Zufriedenheit sind Ausdruck für ein gutes Miteinander. Ein Mensch, der niemandem mehr danken oder um nichts mehr bitten kann, vereinsamt und verroht. Der stressige Alltag lässt uns leicht auf das Danken vergessen, und so schwindet schnell auch die Zufriedenheit. Häufig geben dann Neid und Eifersucht den Ton an. Wenn das dankbare Miteinander verloren geht, gehen auch Friede und Zufriedenheit verloren. Dank und Dankbarkeit sind Zeichen lebendiger Beziehung, die in verschiedenen Formen ausgedrückt werden können: mit Worten, mit Blumen, einem freundlichen Blick, mit Geschenken … Überlegen Sie selbst, wem Sie dankbar sein können und wie Sie Dank und Zufriedenheit ausdrücken möchten. Als Erwachsene haben wir vielfach verlernt, Dank und Zufriedenheit auszudrücken, weil viele fürchten, damit in eine Abhängigkeit zu geraten, die am persönlichen "Ego" kratzt. Das passt nicht in eine leistungsorientierte Gesellschaft; schade.

Das Leben ist nicht für alle gleich. Schönes, aber auch große Lasten, Enttäuschung und Verbitterung können das Leben prägen. Die Haltung der Dankbarkeit kann man nicht verordnen, aber sie kann helfen, das Positive wahrzunehmen. Dankbarkeit in gesunden Tagen ist etwas anderes als Dankbarkeit im Krankenhaus oder auf Palliativstationen. Plötzlich werden Dinge wichtig, die im normalen Alltag Kleinigkeiten sind. Menschen sind schon für wenig dankbar und zufrieden, weil sie spüren, dass nichts selbstverständlich ist. Besonders berührend ist es, wenn man erleben kann, dass man in solchen Situationen nicht alleingelassen ist. Man kann gar nicht genug dankbar sein, wenn man im Leben begleitet wird.

Im Herbst feiern wir Erntedank. Das ist mehr, als einen schön geschmückten Wagen von Kindern ziehen zu lassen und zu sagen: "Das ist aber lieb." Erntedank ist die Aufforderung, mit der Schöpfung zu leben und nicht auf deren Kosten. Dankbar und anerkennend vor den Feldern, Wäldern oder Betrieben zu stehen, kann uns in achtsame Beziehung zu Arbeit und Natur bringen. Papst Franziskus legt in der Enzyklika "Laudato si" das Augenmerk auf den Erhalt der Schöpfung. Er macht uns aufmerksam, dass weder Mensch noch Welt Ressourcen sind, die man einfach ausbeuten darf. Er betont klar, dass wir in Beziehung zu Gesellschaft und Umwelt leben und dafür auch Verantwortung zu übernehmen haben. Wir können leider nicht mit allen Entwicklungen zufrieden sein. Viele Menschen haben nichts, wofür sie danken könnten.

Dankbarkeit und Zufriedenheit sind keine hohlen Worte. Diese Grundhaltung kann vor Ausbeutung schützen und das Miteinander fördern, weil sie hilft, Mensch und Umwelt mit Respekt zu begegnen und den Blick auf das Gemeinsame zu richten.

Bischofsvikar Johann Hintermair

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26. April 2024