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Paradies unter Bäumen für junge Abenteurer

Von Ulrike Griessl   11.Mai 2021

"Schnecken finde ich so interessant", schwärmt die fünfjährige Ella, während sie eines dieser Exemplare genau beobachtet, wie es über ihre linke Hand kriecht. Warum das so ist, kann sie nicht erklären. "So halt", sagt sie mit einem Achselzucken, setzt die Schnecke auf den Boden und hüpft fröhlich davon.

Wie alle Mädchen und Buben in den beiden Waldkindergruppen zwischen Wilhering und Leonding ist Ella warm angezogen – mit dicker Jacke, Haube und Winterschuhen. Denn obwohl schon Mai ist, sind die Temperaturen besonders am Morgen mit sechs bis neun Grad Celsius noch sehr frisch. "Und wenn einem Kind trotz dicker Kleidung einmal kalt wird, dann laufen wir eine Runde miteinander", sagt Kindergartenpädagogin Birgit Donner. Nur an Tagen mit Dauerregen oder Dauerfrost ziehen sich die Waldmäuse und Sonnenkinder, wie die beiden Gruppen heißen, zum Aufwärmen in beheizbare Räume zurück.

"Wir erleben die Natur"

"Aber meist wollen die Kinder nicht lange drinnen bleiben", erzählt Judith Bayer, die den Waldkindergarten an der Grenze zwischen den Gemeinden Wilhering und Leonding vor 19 Jahren gemeinsam mit ihrem Mann Gregor Bayer gegründet hat. Regen biete den Buben und Mädchen neue Erlebnisse. "Würmer und Schnecken kommen hervor und man kann wunderbare Kanäle zur Ableitung des Wassers bauen, die Kinder lieben das", ergänzt die Wilheringerin.

Das sei der große Unterschied zu herkömmlichen Kindergärten, wie Sandra Pichler, Betreuerin der Waldmäuse-Gruppe, sagt: "Wir erleben die Natur und ihre Lebewesen hautnah, während in anderen Kindergärten Bilder und Bücher über Würmer, Schnecken, Eichhörnchen und anderes Getier angeschaut werden, treffen wir auf all das im Laufe des Jahres ganz von selbst."

Paradies unter Bäumen für junge Abenteurer
Tägliches Geschicklichkeitstraining

Zäune oder andere Abgrenzungen existieren im Waldkindergarten nicht. "Das brauchen wir nicht, unsere Buben und Mädchen wissen genau, wo sie sich auf unserem etwa 1000 Quadratmeter großen Grund aufhalten dürfen, und sie wissen auch, dass sie fragen müssen, wenn sie sich ein wenig vom Basis-Camp wegbewegen möchten", so Bayer. Seit dem Bestehen des Waldkindergartens sei erst ein einziges Mal ein Bub "entwischt". "Er ist nach Hause gelaufen, weil er Angst hatte, seine Familie würde vergessen, ihn in den Urlaub mitzunehmen", sagt die Kindergartenpädagogin.

"Die Kinder sind sehr geschickt"

Auch ernste Verletzungen gebe es trotz, oder vielmehr wegen der ständigen Bewegung in der freien Natur so gut wie nie. "Klar stößt einmal jemand wo an, aber ins Krankenhaus musste bisher nur ein Bub, er ist beim Geradeauslaufen unglücklich gefallen und hat sich den Arm gebrochen", erinnert sich Bayer.

Schon nach kurzer Zeit im Waldkindergarten würden sich die kleinen Schützlinge geschickt durch das Gelände bewegen, weil sie den gesamten Vormittag über Äste hüpfen, auf Baumstümpfe kraxeln und am unebenen Waldboden Fangen spielen. "Das fördert die Beweglichkeit und das Körperbewusstsein", sagt die Pädagogin. Ihre Fingerfertigkeit trainieren die Kinder unter anderem beim Verarbeiten von Naturmaterialien mit richtigem Werkzeug. Die Holzwerkstatt erfreut sich laut Bayer großer Beliebtheit. Die kleinen Energiebündel würden es lieben, zu experimentieren und ihre Grenzen auszuloten.

Ebenso wichtig wie die Möglichkeit, sich auszutoben und kreativ tätig zu werden, ist der pädagogischen Leiterin des Waldkindergartens aber auch, dass die Mädchen und Buben die Stille des Waldes erleben und dadurch innere Ruhe finden. "Lärm schaukelt sich zwischen den Bäumen nicht so auf wie in Räumen, und wenn ein Kind Stille benötigt, findet sich immer ein Plätzchen dafür, ob in der Hängematte oder etwas abseits von der Gruppe auf einem Baumstamm sitzend", sagt Bayer.

Für die Naturliebhaberin ist der Wald der schönste Platz für Kinder, weil er Natur pur ist und sich die Kinder darin frei nach ihren Bedürfnissen entwickeln können. "Sie finden hier alles, was sie für ihre individuelle körperliche, kognitive und soziale Entwicklung benötigen", ist Bayer überzeugt.

Studie über Vorteile von Waldkindergärten
Austoben in der freien Natur macht zufrieden.

Studie über Vorteile von Waldkindergärten

In einem Waldkindergarten sind die Kinder fast ausschließlich im Freien. Diese Erfahrung prägt sie nachhaltig, wie eine deutsche Studie aus dem Jahr 2017 zeigt. Auch Jahre danach sind sie geschickter und aufmerksamer.

Wenn Kinder in einen Waldkindergarten kommen, haben sie in den ersten Wochen oft blaue Flecken. „Denn sie stürzen über Wurzeln oder Steine, aber das gibt sich rasch“, sagt Wissenschafterin Silvia Schäffer vom Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit der Uni Bonn. Für ihre Forschungsarbeit hat sie 13 Waldkindergärten und 20 Volksschulen besucht, in die frühere „Waldkinder“ gewechselt sind. Insgesamt konnte sie dadurch 100 Kinder aus Waldkindergärten mit 250 Kindern aus sogenannten Regelkindergärten vergleichen. Eines der auffälligsten Ergebnisse: „Durch die verschiedenen Untergründe wird die Motorik extrem gut geschult. Sie konnten bei Tests zum Beispiel deutlich besser rückwärts über einen Holzbalken balancieren.“

Vorteil für Mädchen

Besonders profitieren laut Studie Mädchen vom Waldkindergarten. „Eine Aufteilung der Kinder in Mädchen, die drinnen basteln und malen, und Buben, die draußen laufen und springen, ist im Waldkindergarten schon vom Konzept her nicht möglich“, sagt Schäffer. Und auch die äußerlichen Unterschiede würden verschwinden: „In Matschhosen sehen alle ähnlich aus.“ Außerdem können sich ehemalige „Waldkinder“ sehr gut organisieren. „Was man im Wald verliert, ist für immer weg. Deshalb müssen die Kinder früh lernen, alles wieder mitzunehmen“, so die Studienautorin. Und: „Kinder, die sich auspowern, können sich danach besser konzentrieren.“ Aus all diesen Gründen unterstützen viele Gemeinden sowie das Land Oberösterreich Waldkindergärten ideell wie auch finanziell.

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05. Mai 2024