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Suizide: "Sorgen mache ich mir nach der Krise"

Von Dietlind Hebestreit   11.September 2021

Die Befürchtungen, dass die Zahl der Selbstmorde während der Pandemie in die Höhe schnellt, haben sich nicht bewahrheitet. Das war eine der Erkenntnisse bei Vorträgen und einer Expertendiskussion anlässlich des gestrigen Weltsuizidpräventionstages in den Promenaden Galerien Linz. Entwarnung gaben die Spezialisten trotzdem nicht. Psychotherapeutin Marina Gottwald erklärte, warum: "Sorgen mache ich mir nach der Krise. Wir haben auch bei Schulschließungen beobachtet, dass der Effekt mit einer gewissen Verzögerung auftritt. In unserer Arbeit sehen wir jetzt Kinder und Jugendliche, die wir sonst nie sehen." Denn plötzlich brauchen auch Burschen und Mädchen Unterstützung, die in einem stabilen familiären Umfeld leben, bestens sozial integriert und gut in der Schule sind.

Viele Jungen sind verzweifelt

"Bei Rat auf Draht hat sich die Zahl der Jugendlichen, die Suizidgedanken haben, in letzter Zeit um 20 Prozent erhöht", sagte Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer (SP) im OÖN-Forum. Sie plädierte deshalb dafür, besonders niederschwellige Angebote aufzustocken. Auch bei der Telefonseelsorge zeigt sich dieser erhöhte Bedarf. Während sich Erwachsene mehr telefonisch unter der gratis Notrufnummer 142 melden, sind die Jungen im Internet unterwegs.

Die Leiterin der Telefonseelsorge, Silvia Breitwieser, kann den erhöhten Bedarf an einer konkreten Zahl festmachen: "Die Chat-Anfragen sind um das Vierfache angestiegen. Zum Beispiel ist selbstverletzendes Verhalten bei den Jugendlichen gerade ein riesiges Thema." Im Chat sind Experten von 16 bis 22 Uhr für die jungen Klienten da. Wichtig sei vielen Betroffenen, dass sie anonym bleiben. Denn immer noch gelten psychische Krisen genauso wie das Thema Suizid als Tabu.

Dabei ist es laut Thomas Niederkrotenthaler von der MedUni Wien extrem wichtig, das Bewusstsein für diese Thematik zu schärfen. Außerdem sei es notwendig, Risikogruppen zu identifizieren, psychische Erkrankungen zu behandeln und Menschen nach erfolglosen Suizidversuchen engmaschig zu betreuen. Denn zehn Prozent jener, die einen Suizidversuch unternehmen, sterben schließlich auch an einem Selbstmord. Jene Menschen, die mit dem Thema Suizid zu tun haben, müssten besonders gut geschult werden. Dazu gehören nicht nur Gesundheitsberufe, sondern auch Einsatzkräfte wie Feuerwehr oder Polizei, Lehrer oder Seelsorger. Zu diesen sogenannten Gatekeepern zählen immerhin 60 Gruppen.

Damit man erst gar nicht in eine verzweifelte Situation gerät, kann viel getan werden. Das Stichwort in diesem Zusammenhang ist "Resilienz". Der Begriff beschreibt die psychische Widerstandskraft und erklärt, warum manche Menschen Situationen ertragen, an denen andere zerbrechen. Der Grundstein, um Krisen zu meistern, wird bereits in der Kindheit bis zum zehnten Geburtstag gelegt. Doch auch später können Menschen jederzeit an dieser Fähigkeit arbeiten. Primar Jörg Auer vom Kepler-Uniklinikum Linz nennt die wichtigsten Säulen der Resilienz:

  • Akzeptanz der Krise und der damit verbundenen Gefühle
  • Suche nach Lösungen
  • Bindungen eingehen
  • Opferrolle verlassen
  • Optimistisch bleiben
  • Verantwortung übernehmen
  • Zukunftsorientiert planen

Das Thema Suizid ist männlich

Während laut aktuellen Untersuchungen Suizidgedanken bei den Jungen mit fast 12 Prozent besonders häufig und bei den über 70-Jährigen mit 4,2 Prozent besonders niedrig sind, zeigt sich bei den tatsächlichen Selbstmorden genau das gegenteilige Bild: Denn die höchste Suizidrate besteht nach wie vor bei älteren Männern – besonders wenn sie nach dem Tod der Partnerin allein zurückbleiben. Denn oft sind die Frauen für das soziale Geschehen verantwortlich und Männer finden sich allein vielfach nicht mehr zurecht. "Auf diese Gruppe müssen wir besonders gut schauen", sagt Auer.

Suizide

  • Im Jahr 2020 nahmen sich 1072 Personen in Österreich das Leben – das entspricht etwa drei Personen pro Tag.
  • Deutlich mehr Männer als Frauen nehmen sich das Leben und deutlich mehr ältere Menschen als jüngere – über ein Drittel aller Suizide in Österreich entfallen auf Menschen über 65.
  • Bei den Jüngeren (bis ca. 30 Jahre) ist der Suizid hinter Verletzungen und Vergiftungen die häufigste Todesursache.
    Die Anzahl der Suizidversuche ist um das Zehn- bis 30-fache höher als die Zahl der tatsächlich durch Suizid verstorbenen Personen.
  • Die Hospizbewegung setzt sich für eine klare gesetzliche Regelung des Themas „assistierter Suizid“ (Selbsttötung) durch das Parlament ein. Ziel dabei müsse es sein, die Menschen umfassend über Alternativangebote zu beraten und jeglichem Druck zur Selbsttötung einen Riegel vorzuschieben.
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26. April 2024