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Kränkungen und die Lust auf Rache

Von Ulrike Griessl   30.Oktober 2015

"Kränkungen können Ehen zerstören, Amokläufe erklären, psychosomatische Krankheiten bewirken, ja sogar Kriege auslösen", behauptet Reinhard Haller, Gerichtspsychiater und Leiter des Vorarlberger Behandlungszentrums für Suchtkranke. In seiner langjährigen beruflichen Praxis habe er die Erfahrung gemacht, dass das Gefühl, bloß gestellt, entwertet, belogen, betrogen, minder geschätzt oder nicht beachtet zu werden, Menschen oft zutiefst verletzt – so sehr, dass manche zu furchtbaren Racheakten fähig sind. Mit seinem Buch "Die Macht der Kränkungen" will der Psychiater auf dieses Thema als Ursache für viele negative Entwicklungen in unserer Gesellschaft aufmerksam machen. Die OÖNachrichten haben mit Haller gesprochen.

 

OÖN: Was verstehen Sie unter Kränkung genau?

Haller: Kränkung kennt zwar jeder, trotzdem ist dieses Phänomen schwer zu erklären. Wie das Wort sagt, hat Kränkung viel mit Verletzungen und Krankheit zu tun. Natürlich hat jeder eine andere Schmerzgrenze und andere wunde Punkte, an denen er besonders verletzlich ist. Was dem einen egal ist, kann für einen anderen extrem beleidigend sein. Wenn der Absender einer Aussage die psychische Konstitution seines Gegenübers in seiner Wortwahl nicht miteinbezieht, kann es aus Unachtsamkeit zu schweren Kränkungen kommen.

Sie behaupten in Ihrem Buch, dass Kränkungen sogar zu Terrorakten und Kriegen führen können. Warum?

Weil unverarbeitete Kränkungen zu extremen Reaktionen führen können. Das habe ich in meiner beruflichen Praxis als Gerichtsgutachter oft erlebt. Ich bin davon überzeugt, dass Kränkungen und Demütigungen heute zur modernen Form des Terrors gehören. Seit dem Fall des Bombenattentäters Franz Fuchs in den neunziger Jahren beschäftigt mich dieses Thema. Dieser Mann war ein typischer Fall eines gekränkten Genies, das seine Rachegelüste in extremer Form auslebte. Nach diesem Fall habe ich auch bei meinen Suchtpatienten mehr darauf geachtet, welche Rolle Kränkungen in ihrer Lebensgeschichte spielten. Und ich habe erkannt, dass auch bei diesen Menschen Kränkungen fast immer eine große Rolle spielen. Suchtmittel werden sehr oft als Schild gegen das Gekränktsein eingesetzt.

Auch das Attentat auf die Karikaturisten der französischen Zeitschrift "Charlie Hebdo" schreiben Sie Kränkungen zu, wie sie in ihrem Buch erläutern.

Ja, dieser erschütternde Anschlag hatte wohl seinen Ursprung im Gefühl der Beleidigung und Entwertung und war nichts anderes als eine grauenhafte, fatale Kränkungsverarbeitung. Und die daran anschießende Debatte um die Grenzen der Karikatur war im Prinzip eine einzige Kränkungsdiskussion.

Welche Menschen sind besonders anfällig für Kränkungen?

Das sind natürlich hypersensible Menschen, von denen es heute immer mehr gibt. Aber auch Narzisten, denn diese Menschen können mit Kritik überhaupt nicht umgehen. Für sie kann schon eine scheinbar harmlose Bemerkung eine Katastrophe sein. Die dritte Gruppe sind Menschen mit Traumatisierungen. Bei ihnen brechen durch bestimmte Bemerkungen alte Wunden wieder auf.

Und warum machen Kränkungen Menschen so gefährlich?

Weil in unserer Gesellschaft so gut wie nie über Kränkungen gesprochen wird, das ist einfach ein Tabuthema. Würde mehr darüber nachgedacht und geredet, wie man miteinander umgeht, gäbe es weniger Kränkungen, die sich bei einzelnen Personen ansammeln und irgendwann zu fatalen Reaktionen führen können. Trotzdem kann es natürlich immer passieren, dass man Menschen mit Aussagen beleidigt. Aber dann sollte darüber geredet werden, damit der Gekränkte die Chance hat, mit der Kritik umzugehen. Ist das nicht möglich, wächst die Wut, und Rachegedanken kommen auf.

Wie geht man mit Menschen um, die schnell gekränkt sind? Darf man sie nicht kritisieren?

Natürlich darf man das, aber man kann einer Kritik ja den Satz vorausschicken: "Ich sage dir jetzt etwas, aber ich möchte dich keinesfalls damit kränken ..."

Buchtipp: "Die Macht der Kränkung", Reinhard Haller, Ecowin-Verlag, 21,95 Euro

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