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"In meinem Alter ist es sinnlos, Angst zu haben"

Von Peter Grubmüller   31.Juli 2020

So donnernd die Gewitter des Publikums und der Medien über Claus Peymann hinwegzogen, Hermann Beil war immer an seiner Seite. Der legendäre Dramaturg tourt nun seit Jahren mit famosen Bühnengeschichten und einem Lese-Repertoire von 40 Büchern durch die Lande. Im Interview spricht der 1941 in Wien Geborene unter anderem darüber, warum das Duo Peymann/Beil so unerschütterlich funktionierte.

Wie erleben Sie Ihre Auftritte unter den besonderen Corona-Sicherheitsvorkehrungen?

Hermann Beil: In Berlin trete ich ja nicht mehr in Theatern auf, auch nicht im Berliner Ensemble, wo ich 18 Jahre gearbeitet habe. In Berlin hab’ ich Kirchenasyl, und vor wenigen Wochen hatte ich in der Erlöser-Kirche eine George-Tabori-Lesung mit seiner Erzählung "Mutters Courage", jenem Text über die wundersame Errettung seiner Mutter vor der Deportation nach Auschwitz – das war ganz herrlich. Das war eine Aura und eine Stimmung, man könnte fast Andacht sagen, wie man sie selten erlebt.

Das heißt, die Kirche als Aufführungsort – Sie lesen ja auch in Altmünster in einer Kirche –, ist Ihnen nicht fremd…

….nein, Kirchen sind ja besondere Räume. Wegen des Halls haben sie mitunter zwar ein akustisches Problem, insofern muss man anders sprechen als in einem kleinen Kammertheater. Auf Altmünster freu ich mich sehr. Es ist ja auch ein besonderer Text, der einen besonderen Raum braucht.

In "Auslöschung" schreibt Thomas Bernhard über den Katholizismus als absolutistische Herrschaft – wie binden Sie diesen Inhalt mit der räumlichen Umgebung der Pfarrkirche Altmünster zusammen?

Wenn in einem Kirchenraum davon gesprochen wird, wie sich die katholische Kirche mit dem Nationalsozialismus verbunden hat, dann bekommt das für den Zuhörer noch einmal eine andere Gewichtung und zusätzliche Assoziationen.

Sie werden im kommenden Jahr 80 und haben etliche politische, gesellschaftliche, kulturelle Umwälzungen erlebt. Inwiefern empfinden Sie die Corona-Pandemie als speziell?

Zunächst eines: Angst hab’ ich nicht. In meinem Alter ist es sinnlos, Angst zu haben. Wenn ich Geburtstag habe, sag’ ich immer: Wieder ein Jahr jünger! Ich mache aber keine Corona-Party, und in Ischgl war ich auch nicht. Mir ist dieser Corona-Zustand nicht fremd, weil man als Dramaturg an Quarantäne und Homeoffice gewöhnt ist (lacht).

Über Jahrzehnte waren Sie der Glänzende in der zweiten Reihe. Warum wollten Sie nie selbst ein Theater leiten?

Warum muss man immer in der ersten Reihe stehen? Ich habe einige ehrenvolle Angebote für Intendanzen abgelehnt – aus einem Grund: Ich war immer in der Theaterleitung. Basel, Stuttgart, Bochum, Wien, Berlin – für mich ist Dramaturgie Theaterleitung. Da muss ich nicht Intendant werden. Vor allem kamen diese Anfragen oft in Situationen, in denen es unsolidarisch gewesen wäre, wegzugehen.

Zum Beispiel?

1988, in der Zeit des Heldenplatz-Skandals – der ja weder von Peymann noch von Bernhard, sondern von ganz Österreich inszeniert wurde –, hatte ich das Angebot, ein großes Theater zu übernehmen. Ich hab’ daran gedacht, aber ich hab’ mir gesagt: Ich kann jetzt nicht weggehen. Ich musste auch nicht weggehen, wenn ich an einem Theater arbeite, das so spannend wie das Burgtheater ist. Und ich hab’ es nie bedauert.

Wie mussten Sie als Persönlichkeit gestrickt sein, um über Jahrzehnte so eng mit Claus Peymann zusammenarbeiten zu können?

Als wir gemeinsam in Stuttgart angefangen haben, war das über fünf Jahre eine nahezu grandiose Zusammenarbeit – aber ich bin immer unabhängig geblieben. Ich habe meinen eigenen Standpunkt und meine eigene Meinung, insofern musste ich ihm nie etwas nachbeten. Im Gegenteil: Er hat mich immer um meine Meinung gefragt. Vielleicht ist das unser Geheimnis, dass da zwei Menschen zusammengearbeitet haben, die einander respektieren. Thomas Bernhard hat in dem Roman "Alte Meister" eine wunderbare Formulierung dafür gefunden: Der Reger sagt, dass er zum Irrsigler ein ideales Distanzverhältnis hat (lacht). Das haben wir auch. Viele wundern sich, dass Paymann und ich per Sie sind. Dabei find’ ich diese Verbrüderung, die am Theater so oft stattfindet, ohnehin nicht gut – weil sie in den meisten Fällen verlogen ist. Peymann und ich sind nie zusammen in die Ferien gefahren, wir verbringen auch keine Sonntage miteinander. Mit so einem Distanzverhältnis bleibt man offen füreinander. Alle Reden, die Peymann am Burgtheater gehalten hat, hab’ ich ihm geschrieben, da war er geradezu angewiesen auf mich. Aber ich hab’ das nie ausgenützt.

Sind Sie ein treuer Mensch?

Ja, wenn die Treue beidseitig besteht – und einen Sinn hat. Der Sinn ist für mich die dritte Sache – und die dritte Sache ist das, was auf der Bühne stattfindet.

Warum haben Sie Wien schon 1953 verlassen?

Mein Vater war Diplomingenieur für Maschinenbau, er hat eine sehr gute Stellung in Deutschland beim Buderus-Konzern bekommen, deswegen zog meine Familie von Wien nach Hessen. Und als Zwölfjähriger wird man eben nicht gefragt. Meine Theatersozialisierung hat aber schon in Wien begonnen, weil ich zum Geburtstag ein Kasperltheater geschenkt bekommen hatte. Das hab’ ich auf dem Tisch aufgestellt, meine eigenen Stücke gebaut und vor anderen Kindern gespielt. Als ich mein Studium in Mainz anfing, bekam ich – anstatt bei Opel am Fließband zu stehen – das Angebot, an den städtischen Bühnen in Frankfurt auszuhelfen. Die brauchten jemanden, der in die Bibliothek geht, Sachen recherchiert und Korrektur liest. Plötzlich wurde ich beauftragt, für Otto Schenks "Rosenkavalier"-Inszenierung 1963 das Programmheft zu machen. Naja, hab ich’s gemacht. Dann sollte ich einen Text für ein Stück schreiben. Naja, hab’ ich’s gemacht. So bin ich ins Theater reingerutscht. Und dann ging ich nach Basel.

Dort haben Sie lange mit Friedrich Dürrenmatt zusammengearbeitet. Wie war das?

Er sagte immer: Kritisieren Sie mich, kritisieren Sie mich! Zunächst war ich innerlich erschrocken, weil ich ihn ja auch bewunderte. Vermutlich hab ich ihn auf die eine oder andere Weise richtig kritisiert, indem ich ihm Vorschläge gemacht habe. Gerade als Dramaturg muss man richtig kommunizieren können, man kann ja auch Schauspielern nicht mit dem Kauderwelsch von Adorno kommen – etwa: Du musst jetzt die Dialektik von innen und außen spielen! Das ist Quatsch. Man sollte eher sagen: Denk doch mal dran, dass das eine Liebesszene ist, lies es noch einmal genau, das ist eine Liebesszene. Ein guter Dramaturg muss einem Schauspieler helfen können. Das lernt man nicht an der Universität, indem man Theaterwissenschaften studiert. Alles wirklich Wichtige lernt man am Theater. Man muss nur zuhören und ganz genau hinschauen können.

Salzkammergut Festwochen Gmunden

  • 1. August, Toscana Kongress, 11 Uhr: Renata Schmidtkunz im Gespräch mit Daniel Kehlmann, 19.30 Uhr: Daniel Kehlmann liest aus „Tyll“, Musik: Michael Oman (Blockflöte), Martina Schobersberger (Cembalo).
  • 5. August, Pfarrkirche Altmünster, 19.30 Uhr: Hermann Beil liest aus Thomas Bernhards „Auslöschung“.
  • 7. August, Toscana Kongress, 20 Uhr: Tobias Moretti liest aus „Beton. Ein Selbstgelächter“ von Thomas Bernhard.
  • 8. August, Toscana Kongress, 17.30 und 20 Uhr: Sommerakademie der Wiener Philharmoniker, Dirigent: Vinzenz Praxmarer, Klavier: Aaron Pilsan mit Werken von Schönberg und Beethoven.
  • 15. August, Toscana Kongress, 17.30 und 20 Uhr: Igudesman/Joo: „And Now Beethoven“
  • 22. August, Toscana Kongress, 19.30 Uhr: Bruckner Orchester Linz, Dirigent: Markus Poschner – mit Werken von W. A. Mozart und L. v. Beethoven.

Info/Karten: 07612/70630-12, festwochen-gmunden.at

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26. April 2024