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"Als würde man mit 120 km/h eine Vollbremsung hinlegen"

Von Nora Bruckmüller   21.April 2020

OÖNachrichten: Wie kann man Menschen, die nicht aus dem Kulturmanagement kommen, begreifbar machen, was es bedeutet, ein Festival wie das Crossing Europe (geplant von 21. bis 26. April, Anm.)  kurz vor Beginn abzusagen?

Christine Dollhofer: Es ist, als würde man in einem Auto sitzen, das mit 120 Kilometer pro Stunde auf der Autobahn fährt, und eine komplette Vollbremsung hinlegen. Das ist sehr hart. Weil es um viele Menschen geht. Insgesamt arbeiten mehr als hundert Personen während des Festivals für uns, für die es auch schwierig ist, wenn bestimmte, sicher geglaubte Jobs wegfallen. Ich habe die vergangenen vier Wochen auch nicht das Gefühl gehabt, dass ich weniger als sonst arbeite. Es war wahnsinnig stressig und sehr intensiv, sehr viel Kommunikationsarbeit. Ich will bestimmt nicht jammern, aber es war sicher nicht so, dass ich daheim gesessen wäre und nicht gewusst hätte, was ich tun soll. Kurzarbeit wäre überhaupt keine Option gewesen.

Sie sitzen am Steuer des Crossing Europe. Worauf haben Sie sich in der akuten Phasen der Veränderung zuerst konzentriert?

In erster Linie ging es mir darum, zu schauen, wie wir finanziell mit dieser Zäsur zurechtkommen. Einige Personen hatten bereits Leistungen für uns erbracht, in bis Ende April befristeten Verträgen. Hier kam es darauf an, jede einzelne Arbeitssituation und Angelegenheit individuell zu besprechen. Dasselbe galt für unsere insgesamt 70 Partner (Fördergeber, Sponsoren, Kulturinstitutionen, Anm.). Es war etwa das Projekt „Crossing Europe goes“ fixiert, Nachspielorte, an denen das Festival Tourstopps eingelegt hätte. Das ist alles in Wasser gefallen. Es ist schlimm, wenn man so viele Vorleistungen erbracht hat, so viel für etwas entwickelt hat, was alles nicht stattfinden kann. Wir haben, auch um Kosten zu sparen, Festivalzeitung und Katalog gar nicht mehr in Druck gegeben. Das tut mir sehr leid für die Druckerei, die mit diesem Auftrag gerechnet hat. Aber wir haben überall, wo es noch möglich war, versucht, die Handbremse anzuziehen. Auch Dienstverhältnisse, die erst begonnen hätten, haben wir gar nicht mehr antreten lassen. Das haben wir individuell verhandelt. Das sind dann sehr schwierige Gespräche. Die Frage ist: Was kann man stoppen und was nicht?

Abgesehen davon, dass man sich die Frage stellt: Was geht noch?

Ja, man stellt sich die Frage: Was können wir doch noch irgendwie stemmen. Deswegen war es uns wichtig, dass wir jetzt auch auf verschiedenen Ebenen etwas umsetzen: So gibt es ein Live-Ereignis, den Eröffnungsabend auf dorftv (21. April, 20 Uhr, Anm.), dann machen wir eine Filmauswahl im Netz zugänglich und im Herbst, wenn der Kinobetrieb hoffentlich wieder am Laufen ist, wollen wir im City Kino Linz einen wöchentlichen Crossing-Europe-Abend machen, den wir begleiten. Jeden Dienstag, 19 Uhr.

Sie sind eine Verfechterin für das analoge, soziale Erlebnis Kino, live im Saal.
Wie kam es zur Entscheidung, das Festival doch im Netz stattfinden zu lassen?

Ja, das stimmt, das bin ich durchaus. Deswegen gehen wir auch natürlich nur partiell ins Internet. Man kann ein Festival nicht zu hundert Prozent ins Internet verlegen, das Netz kann nie ein Live-Festival ersetzen. Das ist unmöglich. Auch rechtlich ist das schwierig, weil man gar nicht für alle Filme die Genehmigung bekommt. Die Macher ganz neuer Werke, die erst bei der Berlinale (im Februar, Anm.) ihre Weltpremiere gefeiert haben, wollen natürlich keine Erstauswertung im Netz. Die wollen zuerst ihre Festival- und Kinotour machen. Wir haben nun eine kleine feine Auswahl von zehn Filmen aus zehn Ländern, die unsere traditionellen Festivalsektionen repräsentieren. Nachdem man momentan ohnehin nicht reisen kann, kann man so virtuell Europa zumindest ein bisschen besuchen.

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Alles zu den Crossing-Europe-Angeboten unter www.crossingeurope.at 
Einblicke in das Online-Programm auf www.nachrichten.at/kultur 

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Die Linzer Experimental- und Medienkünstlerin Valie Export wäre anlässlich Ihres 80. Geburtstags während des Festivals groß gewürdigt worden. Was passiert mit ihren Tribut?

Unser Valie-Export-Filmprogramm wäre der Auftakt für ihre Geburtstagsfeierlichkeiten gewesen, jetzt hat uns erfreulicherweise da Ars Electronica Festival (im Herbst) aufgenommen. Wir können das Tribut währenddessen zeigen. Damit verbunden sind noch Lentos und Landesmuseum Linz. Das Kulturquartier Linz hat uns bereits angeboten, bei ihnen die Local-Artists-Kurzfilme nachzuholen.
Die Filmemacher, die bei uns Österreich- oder Weltpremiere gefeiert hätten, wollen wir 2021 ins Programm aufnehmen.

Worauf müssen Sie dabei besonders Acht geben?

Wir dürfen hier auch nicht zu groß denken, denn unsere Mitarbeiterstruktur war so ausgelegt, dass alle während des Festivals vertraglich abgesichert gearbeitet hätten und dann wieder weg gewesen wären. Wir müssen uns für alles, was jetzt kommt, gut überlegen, wie und ob wir das mit der verbleibenden, viel kleineren Arbeitskraft umsetzen können. Sonst muss man wieder Menschen anstellen. Momentan sind nur ich und Sabine Gebetsroither (Öffentlichkeitsarbeit, Anm.) noch da. Gleichzeitig sollen wir im Herbst ja bereits wieder die nächste Ausgabe
für 2012 vorbereiten.

Machen Sie sich bereits Gedanken um die Finanzierung für 2021?

Ich habe dabei eine große Sorge: Mit welchen wirtschaftlichen Folgen müssen wir rechnen – Stichwort: Wirtschaftskrise? Bleiben die Kulturbudgets hoffentlich so, wie sie sind? Wird es Einschnitte geben? Wie kann man in den nächsten Jahren weitermachen?

Wie haben die Fördergeber anlässlich der Corona-Krise und der Festivalabsage reagiert?
Gab es Panikreaktionen im Sinne von Rückziehern, die das Festival gefährdet hätten?

Es war im März relativ klar, dass das Festival nicht stattfinden können wird. Bevor wir das Crossing Europe offiziell abgesagt haben, habe ich alle Fördergeber informiert, wie es ausschaut und ob ich mit ihrem Rückhalt rechnen kann, auch wenn bereits ihrerseits Leistungen erbracht worden sind, und ob dieser Schritt in ihrem Sinne ist. Ich habe quasi das OK gebraucht. Nicht, dass ich im Nachhinein damit konfrontiert werde, warum ich ohne Vorwarnung abgesagt hätte. Es war ja anfangs nicht exakt abzusehen, welche Einschnitte überhaupt auf uns zukommen. Die Maßnahmen wurden ja Schritt für Schritt verkündet. Und ich muss ehrlich sagen, dass hier all sehr schnell auf mich reagiert haben und ihre Unterstützung garantiert haben, sodass uns jetzt niemand hängen lässt.

Reißt die Absage ein großes Loch in ihr Budget?

Wir hatten ja bereits Hotels reserviert, Anzahlungen geleistet – hier sind an sich sehr lange Stornofristen Standard. Wir standen vor der Frage, welche Abschlagszahlungen  für gebuchte Zugfahrten, Unterkünfte, Flüge oder gemietete Locations nun auf uns zukommen würden? Jetzt ist es klar: die Hotels sind zu, die Flüge gibt es nicht, damit kann ihrerseits gar keine Leistungen erbracht werden, es gibt Gutschriften. Mittlerweile habe ich ein sehr gutes Gefühle und denke, dass wir finanziell mit unseren Ersatzmaßnahmen alles umschiffen werden können, nachdem uns auch alle unterstützen. Klarerweise müssen wir alle Kosten belegen und mit den Fördergebern abrechnen, sollte etwas übrig bleiben. Trotzdem: Es gibt dieses Jahr keine Einnahmen wie in den Jahren davor.

Zusammengefasst: Das Ziel ist es, ohne Minus auszusteigen und die Festivalauflage mit einer Null zu beenden.
Wie viel Budget gibt es nun überhaupt?

Grundsätzlich hätten wir das Budget von 2019 gehabt, rund 660.000 Euro. Das Budget hat sich jetzt aber natürlich eingedampft. Wie viel wir tatsächlich haben, besser gesagt, haben werden, ist noch gar nicht ausverhandelt.  

eil es davon abhängt, wie viel Crossing Europe wir im Herbst noch machen und als Gegenleistung für Förderungen erbringen können, die einer solchen bedürfen. Davon hängen auch Sponsorenzuwendungen ab. Das ist alles noch im Laufen. 

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26. April 2024