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Ein Präzedenzfall für besseren Journalismus

Von Peter Grubmüller   01.Oktober 2015

Jörg Kachelmann hatte komplizierte Wetterkapriolen so pointiert zusammengefasst, dass er aus der herkömmlichen Vorhersage, ob es morgen regnet, eine Unterhaltungsshow bastelte. Wem so etwas gelingt, der darf fast alles – außer in den Verdacht zu geraten, eine Frau vergewaltigt zu haben. In so einem Fall kommen Boulevard-Medien gerichtlichen Entscheidung gerne zuvor.

Durch das öffentliche Interesse an dem vermeintlichen Verbrechen fadenscheinig legitimiert, erhöhten sich die "Bild"-Zeitung und andere Medien der Springer-Verlagsgruppe zur Judikatur und druckten Denunzierungen samt haarsträubenden Halbwahrheiten, als wäre im Mittelalter eine Rothaarige mit Äxten und Sensen zur Hexenverbrennung zu treiben. Sogar Alice Schwarzer hatte sich mit ihren zugekauften Kommentierungen von der "Bild" als Zündlerin einspannen lassen.

Seit Ende Mai 2011 steht per Gerichtsurteil fest: Jörg Kachelmann hat nicht vergewaltigt. Sein Name ist dennoch für immer eingeäschert. Daran ändern auch jene 635.000 Euro nichts, die dem Schweizer das Landgericht Köln gestern zugesprochen hat. Kachelmann sei "durch die Preisgabe von Informationen über sein Sexualleben, durch die teilweise wörtliche Veröffentlichung seines SMS- und E-Mail-Verkehrs und durch die Veröffentlichung von Fotos, die ihn zum Beispiel beim Hofgang in der Justizvollzugsanstalt zeigten, in seiner Intimsphäre, seinem informellen Selbstbestimmungsrecht und seinem Recht am eigenen Bild verletzt worden", heißt es in dem Urteil. Und weiter: Die beanstandeten Berichte in der "Bild"-Zeitung sowie auf weiteren Internet-Plattformen hätten nicht einem berechtigten Informationsinteresse der Allgemeinheit, sondern allein "zur Befriedigung der Neugier der Öffentlichkeit" gedient. Zudem sei es durch die Print- und Online-Berichte zu unzulässigen Vorverurteilungen Kachelmanns gekommen. Durch die Berichterstattung werde Kachelmann auch in Zukunft als "frauenverachtender und gewaltbereiter Mensch" stigmatisiert. Ursprünglich hatte Kachelmann sogar die Summe von 2,25 Millionen Euro gefordert.

Ob sich das Wetterpublikum von Kachelmanns Moderationstalenten nun hingerissen oder abgestoßen gefühlt hat, muss für rechtsstaatliche Grundsätze einerlei bleiben. Die Unschuldsvermutung ist so eine Garantie, an deren Verlässlichkeit nicht zu rütteln ist. Die Pressefreiheit darf sich nicht zum Freifahrtschein für Verleumdungen entwerten, auch wenn das Persönlichkeitsrecht keine unüberwindliche Barriere für kritische Berichterstattung ist.

Mediale Henker

Jörg Kachelmann hat sich gewehrt, weil ihn Medien gesellschaftlich ausgegrenzt und finanziell ruiniert haben. Kachelmann hatte nichts mehr zu verlieren und schuf auf diese Weise so etwas wie einen moralischen Präzedenzfall, während sich in Österreich Verleumdete von medialen Henkern meist außergerichtlich und preiswert abspeisen lassen. Der Österreichische Presserat existiert zwar formal, ist aber bei medienethischen Verstößen lediglich zur Rüge ermächtigt.

Die Boulevardpresse lässt mit ihrer Portokassen-Wiedergutmachung außer Acht, dass schäbige Arbeitsweisen die Vertrauenswürdigkeit der Medien insgesamt verringern. Rekordzahlungen wie im Fall Kachelmann könnten helfen, von multimedialen Jagdzeiten zum Journalismus zurückzukehren.

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26. April 2024