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"Hassposter sind oft gehemmte Feiglinge"

Von OÖN   23.Juni 2017

Psychiater Reinhard Haller blickt schon seit Jahrzehnten in die Tiefen der menschlichen Seele. Ursachen und Motivationen für aufsehenerregende Straftaten erklärt er wie kein anderer – und wurde deshalb bei aller wissenschaftlichen Ernsthaftigkeit zum Psychiater der Nation. Die Heftigkeit von Hass und Verhetzung im Internet führt Haller auch auf einen massiven Werteverfall zurück.

  1. Herr Professor Haller, Diffamierung und Verhetzung gehen einher mit offenem Tabubruch. Regeln im gemeinsamen Umgang gelten scheinbar nicht mehr. Woher kommt dieser unverblümte Hass im Internet?

    Haller:
    Der Hass hat nicht zugenommen. Dies ist nur seine moderne, virtualisierte Form. Der Mensch hat von Natur aus ein großes Hasspotenzial. Wir sind hier sehr primitiv. Früher haben aber körperliche Arbeit, der tägliche Kampf ums Überleben oder auch das Führen von Kriegen diesen Hass ausgemerzt. Nun sind diese Möglichkeiten nicht mehr gegeben – das Hasspotenzial ist gleich geblieben, aber es gibt kein Holzhacken mehr.
  2. Ist das Internet nach derben Stammtischen und Übergriffen in der Praxis nun einfach ein neuer Blitzableiter, um überschüssige Spannung abzulassen?

    Ja, das Internet, die so genannten sozialen Medien, sind ein großes Ventil.
  3. Was sind das für Mitbürger, die das Internet anonym oder ganz offen dafür benutzen, andere zu erniedrigen?

    Es handelt sich zum Großteil bei Hasspostern um gehemmt-aggressive Menschen. Gehemmte Feiglinge, die in der Praxis selten irgendwo engagiert sind oder ihre Meinung kundtun. Im Internet und auf Facebook & Co. haben solche Leute nun ihr ideales Medium gefunden, um ihre verbalen und intellektuellen Absonderungen und ihren Sadismus ausleben zu können.
  4. Kann die Herabsetzung anderer gewissen Persönlichkeiten Befriedigung bringen?

    Aber natürlich! Gerade bei Leuten, die sich hinter Nicknames in der Anonymität verstecken, geht es auch um ein Machtgefühl. Der Angegriffene kennt ja seinen ominösen Gegner nicht. Dahinter stecken dann oft nur Komplexhaufen mit enormem Aggressionspotenzial.
  5. Da das Phänomen derzeit so überhandnimmt und wöchentlich Strafgerichte im ganzen Bundesland beschäftigt – gibt es weitere Motive für die immer hemmungslosere Handhabung der Tastatur?

    Aber natürlich. Sie müssen bedenken, dass das Internet plötzlich jedermann die Möglichkeit gibt, auch unbedeutendste Botschaften der ganzen Welt mitzuteilen. Die ganze Welt wird für einen Poster plötzlich zur Bühne – ob sie will oder nicht.
  6. Welche psychischen und emotionalen Defizite können Poster in ihrem verbalen Feldzug gegen andere eigentlich abdecken?

    Solche Poster finden in ihren Angriffen Genugtuung, da sie meist zugleich mehrere Defizite ausgleichen. Hier werden über verbale Angriffe, Beleidigung und pauschale Verhetzung narzisstische, exhibitionistische und hysterische Bedürfnisse befriedigt. All dem zugrunde liegen aber immer starke Frustrationsgefühle gegenüber dem eigenen Dasein und der Umwelt.
  7. Liest man Hasspostings, so fällt auf, dass oft alle nur vorstellbaren Grenzen des Tons und des Umgangs mit Mitmenschen verloren gegangen zu sein scheinen. Gelten die bisherigen Grundregeln des Anstands und Respekts für viele unserer Bürger nicht mehr?

    Diese Entwicklung ist leider festzustellen. So spielen in Europa Ehrbegriffe keine Rolle mehr. In anderen Kulturen hingegen sind Ehrgefühle bis heute etwas sehr Wichtiges.
  8. Ja, aber kann man die Kategorisierung, Anerkennung und das Entgegenbringen von Ehre erzwingen oder handelt es sich hier um schleichende Prozesse in unserer Gesellschaft?

    Ich glaube, man hat es in der westlichen Rechtsprechung nun schon sehr lange zugelassen, dass die Ehre eines Menschen kaum geschützt ist. Die Ehre befindet sich sozusagen im rechtsfreien Raum und dieser Umstand wird wiederum durch das Internet in all seinen Facetten von Verbreitung bis Anonymität begünstigt. Zusammenfassend haben wir in Europa als Gesellschaft den Ehrbegriff sträflich vernachlässigt.
  9. Gelegenheit macht Diebe. Ist es nicht erst das Internet, das tausende Leute zu Shitstorms gegenüber einer ihnen bekannten oder unbekannten Person verleitet, oder tätigen eben viele aufgrund einer Dynamik innerhalb ihrer Community im sozialen Medium Äußerungen, die sie fernab von der Computertastatur gar nie tätigen würden?

    Ja, hinter all diesen Dingen kann man sich eben auch gut verstecken. So ein Shitstorm gegenüber einer wehrlosen Person ist doch eigentlich nichts weiter als der Abfallkübel für Sadisten hinter der Maske des Biedermanns.
  10. Sieht man sich Angeklagte bei Verhetzungsprozessen an – oft bislang völlig unbescholtene Familienväter –, fällt doch auf, dass dies auch eine neue Form von Kriminalität mit einer bislang noch nicht in Erscheinung getretenen Tätergruppe ist. Wo liegt der Unterschied zum Verbrechen in der Praxis?

    Ein greifbares Verbrechen virtualisiert nicht – Raub, Einbruch, Vergewaltigung. Durch die Poster wurde der Hass jedoch zum virtuellen Verbrechen. Der Hass hat sich einen neuen Kanal gesucht. Es scheint, unter den Aspekten der sozialen Medien ist unsere Kultur sogar wieder ein Stück primitiver geworden – auch narzisstisch und hysterisch.
  11. Wie können wir gegensteuern?

    Erst einmal dürfen wir nie akzeptieren, dass das Netz zur rechtsfreien Zone wird. Wir müssen die Täter an den Pranger und bloßstellen. Letztlich müssen Menschlichkeit und Empathie in unserer Gesellschaft wieder wesentlich breiteren Raum bekommen.
     
  • Reinhard Haller (65) ist Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe. 8000 Gutachten hat der Vorarlberger als Gerichtssachverständiger bereits verfasst. Daneben leitet er das Krankenhaus Maria Ebene (Suchtkrankheiten) in Frastanz.
     

#Respekt ist ein Gemeinschaftsprojekt der OÖN mit den Bundesländerzeitungen „Kleine Zeitung“, „Salzburger Nachrichten“, „Tiroler Tageszeitung“, „Vorarlberger Nachrichten“ und der „Presse“. Die Serie thematisiert den eskalierenden Umgangston im Netz und skizziert Strategien zur Verbesserung. Der heutige Teil stammt von der Tiroler Tageszeitung.

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