Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

Der Schuster von Mauthausen

Von Von Klaus Buttinger   29.August 2009

Die Kinder in Willersdorf im Bezirk Oberwart im Burgenland haben den Romakindern gern nachgeschrien: „Zigeuner, Zigeuner, kommt’s nach Abessinien!“ Das war zu einer Zeit, als „der Hitler selbst eingesperrt war in Deutschland“, erinnert sich Matthias Sarközi. Der 85-Jährige sitzt in seiner Wohnung in Linz-Auwiesen und ruft seine Vergangenheit wach.

Schule gab es für den „Matz“ grad’ ein paar Wochen. Zu viel Prügel vom Lehrer. Lieber arbeitete er daheim oder bei den Bauern „ums Essen“, erzählt er.

Noch nicht einmal 15 Jahre ist er alt, da beschwört ihn „seine Bäuerin“, doch über Nacht auf dem Hof zu bleiben. „Sie hat gewusst, dass in der Nacht ein Transport zusammengestellt worden ist. Damit sind erst einmal die Vorbestraften ins Konzentrationslager Dachau gebracht worden“, sagt er.

Beim zweiten Transport, im Juni 1938, erwischt es ihn und seinen älteren Bruder. Polizisten ziehen sie um vier Uhr aus den Betten, zwingen sie auf Lkw und in den Zug nach Dachau.

OÖN: Was passierte im Konzentrationslager?

Sarközi: Wir wurden geschoren und bekamen Häftlingskleidung mit dem schwarzen Winkel. Der hieß asozial und arbeitsscheu. Ich meine: Wo gibt’s Arbeitsscheue mit unter 15 Jahren? Wir mussten ein paar Tage exerzieren, dann arbeitete ich beim Barackenbau.

OÖN: Wann kamen Sie nach Mauthausen?

Sarközi: Am 27. September 1938 im Viehwaggon. Mein Bruder und ich mussten im Steinbruch arbeiten. Im ersten Winter ist meinem Bruder ein Stein auf den Rist gefallen. Der Fuß war gebrochen. Zwei Mithäftlinge mussten ihn stützen. Das hat ein SS-Unterscharführer gesehen und meinem Bruder befohlen, Mantel und Handschuhe auszuziehen und sich bei minus 30 Grad auf den Beton zu legen. Er ist erfroren. So etwas ist jeden Tag passiert: zehn, zwanzig, dreißig Tote.

OÖN: Mussten Sie auch im Steinbruch arbeiten?

Sarközi: Am Anfang ja. Wir waren drei so junge Burschen in Mauthausen. Und es hat geheißen, wir „Lausbuben sollen was lernen“. So kam ich in die Häftlings-Schuhmacherei. Dort ging es mir um 70 Prozent besser als den anderen draußen in Nässe und Kälte.

OÖN: Haben Sie Situationen erlebt, in denen Sie dachten: „Jetzt ist es aus“?

Sarközi: Mehrmals. Zum Beispiel am Anfang im Steinbruch. Wenn wir am Abend eingerückt sind ins Lager, musste jeder einen Stein auf der Schulter tragen für die Bauarbeiten im Lager. Ein politischer Kapo, zuständig für den Barackenbau, hat die Steine kontrolliert. Mir hat er eine Ohrfeige gegeben, dass der Stein weggeflogen ist. Der Stein war ihm zu klein. Er hat mir einen Stein zugeteilt, den ich nie hätte tragen können. Ich wäre gestürzt, hätte mich verletzt und wäre am nächsten Tag tot gewesen. Da kam einer von der SS-Polizei vorbei, fragte mich nach meinem Alter und befahl: „Nimm deinen Stein und hau ab!“ Da hatte der Kapo nichts mehr zu sagen. Später habe ich die Ruhr bekommen und knapp überlebt im Russenlager, wo sich vier Häftlinge ein Bett und zwei Decken geteilt haben.

OÖN: Es gab also unter den Häftlingen eine beinharte Hackordnung?

Sarközi: Egal ob politischer oder krimineller Häftling: Jeder hat darauf gespitzt, dass er Kapo wird. Er ist dann nicht mehr so leicht geschlagen worden und konnte selbst schlagen. Die Kapos, die Blockältesten, die Stubenschreiber haben mit den Häftlingen machen können, was sie wollten. Man konnte nichts gegen sie machen, außer man konnte beweisen, dass sie schwul waren oder Brot gestohlen hatten. Wer Brot gestohlen hatte, musste sterben. Im Winter war im Waschraum ein Fass voll kaltem Wasser und darüber die kalte Brause. Hat wer Brot gestohlen, ließ ihn der Stubenälteste hineinsteigen. Dann hat er das Wasser aufgedreht. Da darf man nicht denken! Außer, dass es ohnehin besser wäre, heute zu sterben als morgen. Das Sterben war eine Selbstverständlichkeit. Ich habe heute noch Albträume, dass ich umgebracht werde.

OÖN: Die meisten Quellen sprechen davon, dass in Mauthausen mehr als 100.000 Menschen ermordet wurden. Ist die Zahl für Sie nachvollziehbar?

Sarközi: Ja. Jedes Jahr, oft zweimal im Jahr, ist das Lager aufgefüllt worden. Zudem sind viele gekommen, die gleich vergast wurden. Das habe ich persönlich gesehen. Die kamen ins Brausebad: Im Winter, nackt, ohne Schuhe mussten sie stehen, bis ein Gaswagen hereingefahren kam, in den mussten sie einsteigen. Bis der Wagen in Steyr war, waren die Leute tot. Zwei Krematoriumsöfen haben Tag und Nacht gebrannt. Das hat jeder gesehen im Umkreis. Und da traut sich jemand sagen, die Amerikaner hätten die Öfen hergebracht?! Wer so etwas sagt, ist ein Verrückter.

OÖN: Wie sind Sie aus dem KZ herausgekommen?

Sarközi: Kurz vor Kriegsende hat der Kommandant Ziereis antreten lassen und aus den Häftlingen eine SS-Kompanie zusammengestellt. Sechs Jahre wird man als Verbrecher behandelt und dann wird man die letzten paar Tage Kollege! Die glaubten tatsächlich, wir könnten noch gegen den Feind helfen, der schon in Wien stand. Aber ehrlich gesagt, habe ich mich darüber gefreut, weil ich dadurch die Chance hatte, rauszukommen. Drinnen hatte ich nur die Chance, zu sterben.

OÖN: Was passierte außerhalb des Lagers?

Sarközi: Zuerst hat man uns SS-Uniformen aus dem Afrika-Feldzug gegeben. Braune Reiterhosen. Dann sind wir zum Fußballplatz hinunter. Dort haben Sie einen Deserteur, einen aktiven SS-Mann gebracht. Den mussten drei Häftlinge erschießen. Sie trafen ihn schlecht, er schrie wie am Spieß, bis ihm ein Offizier einen Genickschuss gab. Das Schauspiel haben sie für uns gemacht – als abschreckendes Beispiel. Wir mussten dann in der Nähe von Ennsdorf Bunker bauen und Posten stehen.

OÖN: Haben Sie noch gekämpft?

Sarközi: Nein. Es hat sich bald alles aufgelöst. Der Bataillonschef ist während der Nacht abgehauen. Wir waren zu dritt im Zug und haben die Waffen liegen lassen. Der Zugsführer hatte nicht mehr die Courage, uns zu erschießen. Bei Kleinhäuslern bin ich untergekommen. Die haben mir ein Gewand gegeben.

Sarközi schlug sich ins Burgenland durch, heiratete und zog später mit Frau, zwei Kindern und zwei weiteren Familien aus Mangel an Arbeit nach Linz. „Wir schliefen auf dem Bahnhof. Auf dem Wohnungsamt bot man uns 1000 Schilling, damit wir weiter nach Salzburg fahren“, erzählt er. Die Familien blieben in Linz, lebten im Obdachlosenheim, später in einem Pferdestall, dann in Baracken. „Ich habe nicht eingesehen, dass Ausländer in Linz Arbeit finden, wir Roma aber nicht, die wir seit 400 Jahren in Österreich sind.“ Sarközi arbeitete auf dem Bau und 27 Jahre bei der Firma Rosenberger. Seine Eltern und Geschwister sind in polnischen KZ ermordet worden. Von 7000 Burgenlandroma überlebten nur 400 den Holocaust.

copyright  2024
27. April 2024