„Seine Gleichgültigkeit übersteigt alles Dagewesene“

Von Robert Stammler   04.Juli 2013

„Ich habe den Begriff Schmierenroman nicht in Bezug auf den Prozess verwendet, sondern in Bezug auf das, was Schüler M. gesagt hat. Ich entschuldige mich für dieses Missverständnis. Der Schüler M. war ein sehr schwieriges Kind und was er sagte, stimmt nicht. Ich habe immer wieder den Kontakt zu ihm gesucht, aber er hat mich gehasst.“

Das waren die letzten Worte des Angeklagten. Sie klangen mehr wie die Ausführungen eines gekränkten Dozenten als wie das Schuldbekenntnis eines reuigen Sünders. Bis 1996 war der heute 79-jährige Ex-Pater August M. Internatsleiter, bis 1998 noch Lehrer am Stiftsgymnasium Kremsmünster. Am Mittwoch um 14.40 Uhr wurde er von einem Schöffensenat des Landesgerichts Steyr wegen schwerer Sexualverbrechen an insgesamt 24 Schulkindern im Alter zwischen elf und 13 Jahren schuldig gesprochen. Das Urteil des Richters Wolf-Dieter Graf: zwölf Jahre Gefängnis.

„Seiner irdischen Verantwortung wird er wohl entgehen, weil er vermutlich nicht mehr haftfähig sein wird“, sagte Opferanwältin Renate Garantini in ihrem Schlussplädoyer. „Aber gerade um andere Täter vom Kindesmissbrauch abzuhalten, ist eine strenge Bestrafung notwendig.“ Ob der frühere Leiter des Knabenchores ins Gefängnis muss, lässt sich noch nicht sagen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Strafverteidiger Oliver Plöckinger kündigte Rechtsmittel an. Doch sogar sein Rechtsbeistand räumte ein: „Er hat abscheuliche Taten begangen, keine Frage.“ Doch juristisch seien die Vorwürfe verjährt, ein Freispruch daher die logische Folge, sagte der Verteidiger.

Das sah das Gericht anders. Der Pater habe in den 90er-Jahren eine illegale Pumpgun besessen und mit dieser Waffe Schüler eingeschüchtert. Der verbotene Waffenbesitz „hemme“ die Verjährungsfristen. Ebenso wie die teilweise schweren psychischen Folgeschäden bei den Opfern, die die forensische Psychiaterin Heidi Kastner bei drei der heute erwachsenen Kremsmünsterer feststellte. „Wir reden von verpfuschten Existenzen, von Suizidversuchen mit Rasierklingen und Sprüngen aus Fenstern“, sagte Opferanwalt Johannes Öhlböck. Der Angeklagte sei ein Kind der Nazizeit gewesen. „Nach der Hitlerjugend der Besuch der NS-Oberschule. Im Stift bedrohte er einen Schüler mit: Ich erschieß’ dich, du Jud.“ Der Missbrauch habe oft im Schlafsaal stattgefunden, der direkt an die Gemächer des Paters angrenzte. „Hades“ (griechischer Gott der Unterwelt, Anm.) wurde dieser Ort im Stift genannt. „Die Dauer der Taten und die Gleichgültigkeit des Angeklagten übersteigt für uns alles Dagewesene“, begründete der Richter das Urteil.

"Genugtuung fühlt sich anders an": Leitartikel von Helmut Atteneder