Interview: Marterbauer fordert Hausverstand von der EU

LINZ. Der Ökonom Markus Marterbauer warnt im OÖNachrichten-Interview vor einem Schuldenschnitt für Griechenland, fordert Vermögenssteuern und bekennt sich zur Sozialdemokratie.
OÖN: Viele Ökonomen und Banker sagen, ein Schuldenschnitt für Griechenland ist unausweichlich. Sind Sie auch für Tabula Rasa?
Marterbauer: Nein. Ich verstehe die jetzige Aufregung nicht. Griechenland finanziert sich nicht über den Kapitalmarkt, sondern über EU-Hilfsprogramme. Die Finanzierung ist bis 2013 gesichert. Ein Schnitt jetzt wäre gefährlich.
OÖN: Wie soll es das Land jemals schaffen, aus dem Schuldensumpf herauszukommen?
Marterbauer: Auf jeden Fall nicht, indem man die Hälfte der Schulden erlässt. Dann würden die griechischen Banken bankrott gehen. Das Zahlungssystem wäre gefährdet. Die EU müsste wieder eingreifen. Es gäbe schwere Belastungen für Europas Banken. An den Finanzmärkten wäre ein Schuldenerlass für Irland, Portugal, Spanien und Italien Thema. Das würde die Krise verschärfen. Griechenland braucht eine mittelfristige Perspektive, nicht jedes halbes Jahr ein Sparpaket. Die EU muss draufkommen, dass man sich aus der Krise nicht heraussparen kann, sondern herauswachsen muss – mit Investitionen in Ausbildung, Strukturen, Wettbewerbsfähigkeit.
OÖN: Sie sagen, man soll sich nicht in den Abgrund sparen. In den Abgrund verschulden ist aber auch nicht gut.
Marterbauer: In einer Rezession darf man die Staatsausgaben nicht um zehn Prozent kürzen. So wird die Abwärtsspirale verschärft. Wenn sich Griechenland stabilisiert hat, kann es zu sparen beginnen. Das ist Hausverstands-Ökonomie.
OÖN: Länder wie Österreich machen aber auch in guten Konjunkturjahren hohe Defizite.
Marterbauer: Die jetzigen Defizite und Schulden sind Ergebnis der Finanzkrise, die von Banken und Finanzmärkten ausgelöst wurde. Vorher hatten wir eine tragfähige Budgetsituation. 2010 und 2011 gibt es eine gute Konsolidierung auf drei Prozent Defizit. Sollte die Arbeitslosigkeit steigen, darf man aber keinen Sparkurs einschlagen.
OÖN: Aber auch ein Staat wie Österreich hat strukturelle Defizite.
Marterbauer: Natürlich herrscht Reformbedarf auf der Ausgabenseite – effizienter hin zu Beschäftigung, Verteilung, Nachfrage. Aber auf der Einnahmenseite ist der Faktor Arbeit zu hoch, Vermögen wenig belastet.
OÖN: Sind Sie für Vermögens- oder für Reichensteuern?
Marterbauer: Ich bin ein Verfechter von Vermögenssteuern auf Bestände. Wenn man die Reichen zur Finanzierung des Sozialstaats heranziehen will, geht das über Vermögenssteuern – mit hohen Freibeträgen. Ich bin für die Grundsteuer und Erbschaftssteuer. Damit soll der Umbau des Sozialstaats finanziert werden – Kindergärten, Pflege, Bildung. Reich sind jene, die so viel Vermögen haben, dass sie nicht arbeiten müssten.
OÖN: Sie sind vom Wifo in die Arbeiterkammer gewechselt. Haben Sie als SPÖ-naher Ökonom Ihre ideologische Heimat gefunden?
Marterbauer: Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht. Ich bin in den 1970er-Jahren aufgewachsen, komme aus kleinen Verhältnissen. Ich weiß, was die Sozialdemokratie für mich und meinesgleichen gemacht hat: Öffnung des Bildungssystems, Ausbau des Sozialstaats, Vollbeschäftigungspolitik. Manches sehe ich kritisch, das spreche ich an. Ich bin aber stolz, als Person Sozialdemokrat zu sein.
OÖN: Wie unabhängig sollten Ökonomen sein?
Marterbauer: So unabhängig wie ich. Man sollte klar seine Werturteile zum Ausdruck bringen und alles ökonomisch und wissenschaftlich belegen.
Markus Marterbauer
Der 46-jährige Ökonom ist in Laakirchen aufgewachsen und arbeitete 17 Jahre beim Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Seit 1. September ist Marterbauer Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft in der Arbeiterkammer.
Am gestrigen Dienstag stellte er bei den Linzer Gesprächen der Volkshochschule Linz, Arbeiterkammer Oberösterreich und OÖNachrichten sein Buch „Zahlen bitte! – Die Kosten der Krise tragen wir alle“ vor.