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„Grüner Strom bis 2050 für ganz Europa ist machbar“

Von Dietmar Mascher und Stefan Fröhlich   09.November 2011

„Es ist möglich, Europa im Jahr 2050 ausschließlich mit Strom aus erneuerbarer Energie zu versorgen. Und zwar zu leistbaren Preisen.“ Das sagt der Generalsekretär des deutschen Sachverständigenrates für Umweltfragen, Christian Hey. Das Gremium besteht aus sieben Universitätsprofessoren und berät die deutsche Bundesregierung in Energiefragen.

Im Gespräch mit den OÖNachrichten und anschließend beim „Forum Econogy“ des Linzer Energieinstituts verbreitete Hey Optimismus. „Erneuerbare Energie ist in unseren Berechnungen die überlegene Lösung und kann sowohl Kohle als auch Atomstrom ersetzen. Sie ist sogar eher billiger. Am billigsten ist grüner Strom dann, wenn wir mit den Nachbarländern kooperieren und noch mehr für die Energieeffizienz tun“, sagt Hey.

Effizienzschub

Einen Schub erhoffe er sich dadurch, dass mit jeder Verdoppelung der erneuerbaren Energie die Kosten dafür um zehn bis 20 Prozent sinken.

Eine Herausforderung ist auch in Deutschland der Leitungsausbau, das Stromnetz muss für die Strukturen der erneuerbaren Energie massiv ausgebaut werden. Wie überall in Europa ist der Leitungsbau eine Frage der Akzeptanz, aber auch der Kosten.

Die Diskussion werde jetzt anders geführt. Nachdem der Bedarf festgestellt sei, werde qualifiziert diskutiert.

Das Netz als Anlage

Für die Investition in das Netz brauche es sicher Anreize. Er sei aber auch überzeugt, dass durchaus viel Vermögen vorhanden sei, das in sichere Häfen dränge. Der Netzbau könne ein lohnendes, weil sicheres Investment sein.

Skeptisch ist dagegen der deutsche Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn. Beide legten gestern beim Forum Econogy in der voestalpine-Stahlwelt ihre kontroversiellen Standpunkte dar.

Seinen Beitrag zur Energiewende will auch das Linzer Energieinstitut leisten. In den kommenden Jahren sollen Technologien erforscht werden, mit denen Strom und Wärme effizient gespeichert werden können. „Die voestalpine produziert genug Wärme, um ganz Linz zu versorgen“, sagt Horst Steinmüller, Leiter der Abteilung für Energietechnik. Diese Wärme gehe derzeit aber noch verloren. Daneben beteiligt sich das Institut auch an der Erforschung neuer Treibstoffe und evaluiert das Projekt Energiezukunft 2030, das Strategiepaket des Landes Oberösterreich. Darin sind 148 Maßnahmen für nachhaltige Energiepolitik enthalten. „Anfangs ist mit großer Begeisterung viel umgesetzt worden. Wir schauen uns an, ob wirklich alle Maßnahmen volkswirtschaftlich relevant sind“, sagt Friedrich Schneider, der für den ökonomischen Bereich des Energieinstituts verantwortlich ist. 80 Maßnahmen wurden bereits untersucht, bis Ende 2012 soll Oberösterreichs Energiestrategie vollkommen evaluiert sein.

Ist der Ausstieg die richtige Lösung? Pro und Kontra

Deutschland beschleunigt den Ausstieg aus der Atomenergie. Dies wird nach wie vor kontroversiell diskutiert. Während der Generalsekretär des Sachverständigenrats für Umweltfragen, Christian Hey, diesen Schritt positiv beurteilt, kommt vom deutschen Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn herbe Kritik. Beide trugen ihre Standpunkte gestern auch beim Forum Econogy 2011 des Energieinstitut der Johannes Kepler Universität als Gastredner und im Gespräch mit den OÖNachrichten vor.

Pro: „Bis 2050 kann man ohne Schock viel verändern“

Zuversichtlich ist Christian Hey vom Sachverständigenrat für Umweltfragen, was den Umstieg auf erneuerbare Energie betrifft.

OÖN: War es richtig, den Ausstieg aus der Atomkraft zu beschleunigen?

Hey: Selbstverständlich, aber das Kapitel ist abgeschlossen. Es war wichtig, den Weg für die erneuerbaren Energieträger freizumachen, denn Deutschland hat Überkapazitäten beim Strom. Und die Diskussion war zu lange Kohle oder Atom.

OÖN: Der Sachverständigenrat hat sich mit mehreren Szenarien auseinandergesetzt. Kann Deutschland aus Kohle und Atomkraft aussteigen, und was kostet das?

Hey: Es ist sogar billiger und das bei gleichbleibender Versorgungssicherheit. Erneuerbare Energieträger sind eine überlegene Lösung. Am billigsten wird es, wenn wir mit Nachbarländern zusammenarbeiten. Dann ist ein Energiepreis inklusive Netze und Speicher von sieben Cent möglich.

OÖN: Und für Europa ...?

Hey: Gilt dasselbe. Das passt zum Ziel der Regierungschefs, die Treibhausgase bis 2050 um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren. Um das zu erreichen, muss die Stromerzeugung auf null Treibhausgas reduziert sein, denn beim Verkehr und in der Landwirtschaft ist das schwieriger. Die gute Nachricht ist: Das kriegen wir zu vertretbaren Kosten hin.

OÖN: Aber auch Windkraft und Solarenergie haben einen CO2-Rucksack.

Hey: Aber je mehr davon, desto kleiner wird der Rucksack. Außerdem hat erneuerbare Energie die Eigenschaft, dass sich im Zeitablauf die Kosten reduzieren – mit jeder Verdoppelung um zehn bis 20 Prozent. Herr Sinn hat 2008 noch von Kosten der Photovoltaik von 50 Cent je Kilowattstunde geschrieben, jetzt beträgt der Fördersatz 17 bis 20 Cent. Da ist also noch viel Musik drinnen.

OÖN: Und wie sollen die Franzosen umsteigen?

Hey: Dort ist es sicher schwieriger. Aber bis 2050 kann man ohne Schock viel verändern. Viele Atomkraftwerke stehen bis 2030 am Ende ihres Zyklus. Man kann sie dann gut durch erneuerbare Energie ersetzen.
 

Kontra: „Ausstieg nicht nur zu früh, er ist auch falsch“

Der Chef des Münchner ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn plädiert im Gespräch mit den OÖNachrichten für die Atomkraft in Deutschland.

OÖN: Sie sind der Ansicht, der Ausstieg aus der Atomkraft kommt zu früh?

Sinn: Nicht nur zu früh, er ist auch völlig falsch.

OÖN: Dann gehen Sie im Gegensatz zu Herrn Hey nicht davon aus, dass 2050 Europa ausschließlich mit grünem Strom versorgt wird.

Sinn: Das halte ich für eine Illusion. Schon jetzt ist Deutschland mit Windrädern zugepflastert und verschandelt. Der Effekt ist: 1,4 Prozent des gesamten Stromaufkommens stammen aus Windkraft. Jetzt kann ich mir mit viel Phantasie vorstellen, dass man irgendwann den Ausstieg aus der Atomkraft schafft. Aber wie will man dann den Strom aus fossilen Energieträgern ersetzen, die für den CO2-Ausstoß mit verantwortlich sind?

OÖN: Mit Offshore-Windkraftwerken?

Sinn: Das kann ich mir schwer vorstellen. Das ist zu teuer.

OÖN: Oder mit Solarkraftwerken in der Wüste?

Sinn: Für das Projekt Desertec muss erst einmal jemand 400 Milliarden Euro in die Hand nehmen.

OÖN: Strom aus erneuerbaren Energieträgern bedarf auch eines Ausbaus der Leitungen. Ist das realistisch?

Sinn: Es wird wohl gewaltige Widerstände geben. Windstrom wird im Gegensatz zu Atomstrom nicht kontinuierlich produziert. Es braucht Speicherkapazitäten. Aber der Wind weht im Norden, die Speicher sind im Süden.

OÖN: Welchen Strom bezieht Deutschland 2050?

Sinn: Atomstrom aus Tschechien und Frankreich.

OÖN: Steigt der Strompreis?

Sinn: Ja, aber nicht exzessiv.

OÖN: Der Preis für Atomstrom spiegelt aber keine Kostenwahrheit, weil die Risiken nicht versicherbar sind.

Sinn: Das ist richtig. Atomstrom ist insofern zu billig. Man wird einen Weg finden müssen, etwa über einen Versicherungszwang. Ich gehe davon aus, dass man diese Versicherungssumme von 100 bis 200 Milliarden Euro bewältigen kann.
 

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28. März 2024