Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

"Wir haben zwei Jahrzehnte verloren"

Von Dietmar Mascher   06.November 2021

Ihr Optimismus werde wieder größer, sagt Claudia Kemfert. Die deutsche Wirtschaftswissenschafterin und Expertin mit hoher Präsenz in TV-Talkshows und Klimaschutzdiskussionen sowie Autorin des Sachbuchs "Mondays for Future" glaubt, dass wir den Klimawandel nicht nur bremsen können, sondern dass auch das wirtschaftliche Potenzial dabei groß ist.

OÖNachrichten: In Deutschland geht jetzt eine Kanzlerin, die einst als Klimaschutzkanzlerin angetreten ist und in einem anderen Zusammenhang gesagt hat: "Wir schaffen das." Schaffen wir es, den Klimawandel zu stoppen?

Claudia Kemfert: Ja, wir können es schaffen, wenn wir schneller werden und mehr für die Transformation tun. Kanzlerin Angela Merkel ist seinerzeit tatsächlich als Klimakanzlerin angetreten und hat sich PR-wirksam vor Eisbergen fotografieren lassen. In den vergangenen acht bis zehn Jahren hat sich die Entwicklung aus verschiedensten Gründen verlangsamt, Klimaschutz wurde an den Rand gedrängt. Da wäre mehr möglich gewesen. Ich bin zuversichtlich, dass sich mit einer neuen Regierung etwas ändert, weil man auch international Fortschritte sieht. Etwa in den USA oder beim Green Deal, selbst in China sieht man ein Umdenken, etwa was den Ausbau erneuerbarer Energien, die Forcierung der Elektromobilität oder auch die Ankündigung, international keine Kohlekraftwerke mehr zu finanzieren, betrifft. Das sind alles viele kleine Schritte, sie gehen in die richtige Richtung. Aber es muss noch mehr passieren.

Sie haben in Ihrem Buch "Mondays for Future" gefordert, dass den Demonstrationen für das Klima mehr Taten folgen müssen. Zu welchen Handlungen raten Sie?

In dem Buch kläre ich zum einen auf und gebe zum anderen konkrete Lösungsvorschläge für effektiven Klimaschutz. Im ersten Teil des Buches gebe ich einen Rückblick, was alles passiert ist und wir erreicht haben. Im Zweiten fordere ich zum Handeln auf. Entscheidend ist: Jeder Bürger und jede Bürgerin kann und sollte sich einbringen, egal an welcher Stelle. Etwa mit privaten Entscheidungen oder als Beschäftigter im Betrieb, sich zum Beispiel gemeinschaftlich engagieren und dazu beitragen, dass auch die Rahmenbedingungen verändert werden. Die Politik muss mit höheren CO2-Preisen, aber auch mit Hilfen die Transformation in der Wirtschaft unterstützen, denn die Chancen sind gigantisch, wenn wir in Klimaschutz investieren. Das modernisiert die Wirtschaft, bringt Wertschöpfung und Arbeitsplätze.

Sie haben kürzlich in einem Interview erwähnt, dass wir bei den Bemühungen für den Klimaschutz viel Zeit verloren haben, weil es den Lobbyisten der alten Denke gelungen sei, den Wandel zu bremsen. Konkret: Wie viel Zeit haben wir verloren?

Durch den Einfluss rückwärtsgewandter Lobbyisten haben wir zwei Jahrzehnte verloren. Der Klimawandel ist seit 40 Jahren bekannt, seit 30 Jahren wird über Lösungen diskutiert. In der Tat gab es gezielte PR-Kampagnen, das ist wissenschaftlich belegt, die mit Zweifeln an wissenschaftlichen Fakten und möglichen Lösungen die Entwicklung gebremst haben: Über diese "Merchants of Doubt" kann man bei Erik Conway und Naomi Oreskes einiges nachlesen, wie diese Zweifel gesät werden. Deshalb ist die Wissenschaft gefordert, immer wieder zu informieren und den Menschen zu erklären, dass es einen Ausweg aus der Klimakrise geben kann.

Sowohl bei der Coronakrise als auch bei der Klimakrise gibt es das Phänomen der Wissenschaftsskepsis. Man hat eher den Emotionen als den fundierten Informationen geglaubt. Worauf basiert die Skepsis?

Der Eindruck trügt. Es gibt wenige Zweifler, aber die sind sehr laut. Und dieser Lärm wird in den Medien sehr stark wahrgenommen. Dabei sind mehr als 80 Prozent nicht wissenschaftsskeptisch. Die schweigende Mehrheit unterstützt Maßnahmen gegen den Klimawandel. Zwölf Prozent lassen sich von negativer Stimmung anstecken. Es ist die Verantwortung der Wissenschaft, aber auch der Medien, mehr und besser wissenschaftlich fundiert zu informieren und auch selbst ernannten Experten entschieden zu widersprechen, die Dinge behaupten, die wissenschaftlich nicht belegt sind.

Die Botschaft, wie wichtig nachhaltiges Wirtschaften ist, scheint in der Wirtschaft angekommen zu sein. Ist die Wirtschaft jetzt so weit, dass sie auch die richtigen Dinge in Angriff nimmt?

Eindeutig ja. Das ist auch der Grund, warum ich wieder zuversichtlicher geworden bin. Die Wirtschaft ist in Deutschland viel weiter als die Politik, in Österreich haben Sie es mit der derzeitigen Regierungskonstellation besser. Investoren und Betriebe brauchen Sicherheit. Daher muss die Politik beim geschaffenen Rahmen bleiben und den sanften Druck aufrechterhalten. Der Großteil der Wirtschaft will die erneuerbare Energie viel rascher ausbauen. Hier steht leider die Politik in Deutschland noch auf der Bremse.

Deutschland wird künftig von einer anderen Regierung geführt. Die Grünen wollen dort auch Verantwortung übernehmen. In den Mühen der Ebene kann es aber auch zu Zielkonflikten kommen. Etwa wenn es um den Bau von Leitungen geht, um den Wind- und Sonnenstrom von Norden nach Süden zu transportieren.

Die Herausforderung ist, dass man die Erneuerbaren in ganz Deutschland ausbaut. Das behindern Länder wie etwa Bayern, indem sie zu wenig Windenergieflächen ausweisen. Dabei gibt es mit den neuen Technologien die Chance, auch in windärmeren Regionen wirtschaftlich Windräder zu betreiben. Da ist die neue Regierung gefordert. Natürlich müssen Leitungen gebaut werden, aber in ganz Europa, auch nach Österreich zu den Pumpspeicherkraftwerken. Aber noch wichtiger ist der Ausbau der dezentralen Stromerzeugung aus Wind und Sonne.

International gibt es ja eine Reihe von Initiativen, die Stromerzeugung weg von den fossilen Energieträgern zu bekommen. Gleichzeitig liebäugeln Politiker wie Joe Biden, Emmanuel Macron und Boris Johnson mit dem Ausbau der Kernenergie, auch kleiner mobiler Kraftwerke, die zwar ins Bild einer CO2-neutralen Stromerzeugung passt, aber alles andere als sauber ist.

Die Diskussion sehe ich sehr gelassen, weil die ökonomischen Daten so eindeutig sind, dass ohne horrende Subventionen keine Atomkraftwerke gebaut werden können. Und nur wenige Ländern sind bereit, diese Subventionen zu zahlen. Das sind China oder Russland mit ihren Staatskonzernen und ohne demokratische Mitsprache. Die Atomenergie ist so viel teurer als die erneuerbare Energien, in Ländern mit freiem Markt daher ohne Subventionen nicht finanzierbar. Die Kosten für den Bau, den Rückbau und die Atommülllager stehen in keinem Verhältnis zu den Kosten erneuerbarer Energie. Auch die angeblich müllfreien und billigen kleinen Kraftwerke, über die geredet wird, sind weder technisch noch wirtschaftlich ernsthaft darstellbar. Es handelt sich um Technikkonzepte, die seit den 50iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bekannt sind. Man hat sich aufgrund der hohen Kosten ja für den Bau größerer Kraftwerke entschieden. Atomenergie ist eine Technik der Vergangenheit, nicht der Zukunft.

Sehen Sie eine Chance, dass es in absehbarer Zeit Strom aus der Kernfusion zu wettbewerbsfähigen Preisen gibt?

Seit Jahrzehnten wird uns erzählt, in 50 Jahren sei es so weit. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wir haben heute bessere Alternativen wie die Erneuerbaren, die sollte man forcieren.

Windkraft und Sonnenenergie sind volatil, weil nicht kontinuierlich die Sonne scheint und der Wind geht. Man braucht also Speicher. Worin sehen Sie hier das größte Potenzial?

Wir brauchen Speicher, aber über Sonne und Wind werden 90 Prozent des Stroms erzeugt und können schwankende Energie schon ganz gut ausgleichen, mittels intelligenten und digitalen Energie- und Lastmanagements und mehr Flexibilität des Systems. Pumpspeicherkraftwerke sind heute schon wirtschaftlich einsetzbar. Wir brauchen aber auch Batterien oder die Elektromobilität, die man digital so intelligent verzahnen kann, dass sie einen langfristigen Speicher bilden. Und schließlich gibt es noch die Erzeugung von grünem – also auch mit Ökostrom hergestelltem – Wasserstoff, der nicht nur für Industrie oder als Treibstoff für Flugzeuge wichtig ist, sondern auch als Speicher dient.

Die österreichische Bundesregierung hat eine ökosoziale Steuerreform auf den Weg gebracht mit einem Preis von 30 Euro je Tonne CO2, der sich bis 2025 auf 55 Euro erhöhen soll. Ist das ein realistischer Preis, der Lenkungseffekte hat, oder ist er zu niedrig?

Er ist zu niedrig, um etwa im Verkehr einen Lenkungseffekt zu erzielen. Aber grundsätzlich sehe ich in der Steuerreform einige Komponenten positiv. Allein die CO2-Bepreisung und die Kompensation mit einer Pro-Kopf-Rückerstattung im Rahmen der Steuerreform sind wichtig, weil dadurch kleine und mittlere Einkommen entlastet werden. Wobei die Steuerentlastung bei der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer weniger positiv ist, weil große Konzerne und Besserverdiener bevorzugt werden. Im Rahmen dieser Reform bietet sich die Perspektive, dass man letztlich auch höhere Preise umsetzen kann und damit den ökologischen Lenkungseffekt erhöht. 

Claudia Kemfert

Die deutsche Wirtschaftswissenschafterin Claudia Kemfert zählt zu den einflussreichsten Ökonominnen im deutschsprachigen Raum.

Beim Ökonomen-Ranking der FAZ belegt die 52-Jährige regelmäßig einen Spitzenplatz. Sie forscht seit Jahrzehnten über die ökonomischen Effekte der Klima-, Energie- und Verkehrspolitik. Seit 2020 ist sie Professorin für Energiewirtschaft in Lüneburg. Sie beriet unter anderem die EU-Kommission, die Weltbank und die UNO.

 

 

copyright  2024
28. März 2024