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"Das Kopfweh wird nicht allzu groß sein"

Von Sigrid Brandstätter und Dietmar Mascher   07.November 2019

Martin Kocher bleibt optimistisch. Auch wenn sich die Konjunktur eintrübe, sieht der Chef des Instituts für Höhere Studien in Wien derzeit keine Rezessionsgefahr. Optimistisch zeigt er sich auch, was den Kampf gegen den Klimawandel betrifft. Die Instrumente lägen auf dem Tisch. Je früher man beginne, desto besser könnten sich die Unternehmen darauf einstellen.

OÖNachrichten: Sie haben bei der Konjunkturprognose gesagt, die Party sei vorbei. Wie groß wird nun der Kater und welche Form von Alka Seltzer empfehlen Sie zur Therapie?
Kocher: Im Moment sieht es immer noch so aus, als ob die Konjunktur nächstes Jahr einigermaßen stabil bleibt und das Wachstum mit 1,3 Prozent nur geringfügig unter dem so genannten Potenzialwachstum bleibt. Also erwarte ich nicht allzu große Kopfschmerzen. Und es braucht keine großen Maßnahmen, konjunkturell etwas zu tun. Wichtig wäre eine Steuerreform mit einer substanziellen Steuerentlastung. Die ist aber ohnehin geplant. Ich hoffe, wir können sie uns leisten.

Aber in Deutschland ist die Szenerie nicht sehr erfreulich, zumal in der Automobilindustrie.
Die deutsche Automobilindustrie spielt schon eine wichtige Rolle. Dennoch glaube ich, dass sie insgesamt fast überschätzt wird. Wir hoffen, dass die Konjunktur 2020 in Österreich, aber auch in Deutschland wieder anzieht. Wir gehen davon aus, dass sich einige Risken wie der Handelskrieg oder der Brexit für nächstes Jahr auflösen.

Inwiefern wird die deutsche Auto- industrie überschätzt?
Sie wird als Leitindustrie gesehen. In Deutschland gibt es mehr als 40 Millionen Arbeitsplätze, in der Autoindustrie sind es unter einer Million, mit Zulieferern ist das schon relevant, aber eben medial auch sehr stark beachtet.

Wie groß ist denn die Abhängigkeit der österreichischen Ökonomie von der deutschen noch?
Sie hat sich verkleinert. Nicht viel, aber immerhin, weil wir weitere Exportmärkte aufgetan haben. Österreich hatte immer eine nachlaufende Entwicklung im Vergleich zu Deutschland. Einen Abschwung haben wir stets später gespürt. Umso wichtiger wäre, dass Deutschland 2020 wieder stärker wächst, das hebt auch bei uns die Stimmung.

Den Handelskonflikt bestreiten die USA und China. Steht Europa daneben und wird abgehängt?
Im Moment profitiert Europa sogar. Europäische Produzenten springen für asiatische und amerikanische Lieferanten ein. Aber natürlich gibt es auch zwischen Europa und den USA Probleme, etwa zwischen Airbus und Boeing. Und es gibt die US-Drohung, im November die Zölle auf Autoimporte zu erhöhen. Das birgt die Gefahr für einen Handelskrieg.

In den Handelskonflikten spielt der Protektionismus eine große Rolle. Kurzfristig profitieren Länder auch davon. Woran liegt es, dass wir wieder zu mehr Abschottung tendieren?
Das liegt daran, dass sich auch andere abschotten. Die USA mit America first, auch China. Darauf muss man reagieren. Es ist für Europa schwieriger, weil es aus kleinen Ländern besteht. Daher wäre die Strategie für Europa schlecht. Es stimmt aber, dass die USA das einige Zeit durchstehen und kurzfristig profitieren. Aber es führt auch dazu, dass die Innovationsfähigkeit der jeweiligen Industrie massiv darunter leidet.

Welche Rolle spielt es, wenn ein Land viele Weltmarktführer hat, und welches Potenzial sehen Sie für Österreich in dieser Frage?
Es gibt dafür keine systematischen Untersuchungen. Aber es zeigt sich, dass in Ländern mit großem Potenzial, gerade im Mittelstand, der Wohlstand überdurchschnittlich hoch ist. Das zeigt sich in der Schweiz, in Bayern und Baden-Württemberg, aber auch in Österreich. Es ist kein Zufall, dass die neue deutsche Wirtschaftsstrategie auf die Hidden Champions aufbaut und vorsieht, diese zu unterstützen, vor allem im Wettbewerb mit dem außereuropäischen Raum, also etwa mit China.

Zwei wesentliche Punkte, die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes zu steigern, sind Grundlagenforschung und Bildung. Die Schweiz ist da einiges voraus, was sich auch messen lässt. Warum hinkt Österreich hier nach?
Bei der Forschung ist es relativ einfach: Da braucht es mehr Mittel, das lässt sich aber darstellen. Es braucht aber eine neue Struktur der Forschungsförderung, die auf drei Ministerien aufgeteilt ist. Eine effiziente Reform wäre möglich. Man sollte das auf maximal zwei Ministerien aufteilen. In der Bildung gibt es viele Baustellen, und man hat die grundlegenden Strukturen vernachlässigt. Man sollte die Autonomie der Schulen noch mehr verstärken. Es wird zu viel dreingeredet. Aber man müsste genau wissen, welche Schulen gut sind und welche weniger. Es gibt Schulen mit hohem Migrantenanteil, die trotzdem gut funktionieren. Aber wir evaluieren nicht, woran das liegt: an der Bildung der Lehrer, der Führung der Schule? Die Daten gäbe es, aber sie sind nicht für die Wissenschafter verfügbar.

Wie kann man Ökonomie und Ökologie gewinnbringend unter einen Hut bringen?
Ich finde, dass alle Instrumente auf dem Tisch liegen. Die Umweltökonomie hat diese in den vergangenen 20 Jahren entwickelt. Die Belastung von klimaschädlichem Verhalten und Belohnung klimafreundlichen Verhaltens und die Innovation. Die Kombination der drei Mittel würde reichen, die Klimaziele zu erreichen. Für die Unternehmen ist wichtig, dass es einen Pfad gibt, dass jeder weiß, woran er ist, und dass man nicht mit hohem Tempo alle verunsichert. Je länger wir aber warten, desto höher wird dann das Tempo der notwendigen Veränderung. Also sollten wir jetzt damit beginnen.

Sie sind optimistisch.
Alles liegt auf dem Tisch, jetzt ist es eine Frage des Willens. Ich verstehe, dass man nicht erster Vorreiter sein will. Man kann sich an Deutschland orientieren.

Aber Deutschland tut schon was.
Richtig, daher sind wir auch gefordert.

Auch mit einer CO2-Steuer?
Das ist ein Teil einer Klimastrategie, wenn sie moderat ausfällt und man gleichzeitig Steuern auf Arbeit senkt.

Erste Studien gingen von einer großen Bedrohung für Arbeitsplätze durch die Digitalisierung aus. Wie beurteilen Sie diesen Strukturwandel?
Bei weitem nicht alle Arbeitsplätze, die von der Digitalisierung betroffen sind, werden gänzlich wegfallen. Sie werden sich verändern. Wir haben im IHS die Auswirkungen berechnet. Laut unseren Ergebnissen üben etwa 360.000 Arbeitnehmer in Österreich Jobs aus, die in hohem Ausmaß von der Digitalisierung bedroht sind. Ein Teil davon wird gut umschulbar sein, aber nicht alle. Ich bin überzeugt, es ist im Strukturwandel besser, nicht Branchen und Arbeitsplätze, sondern die Menschen zu unterstützen. Nehmen wir als Beispiel den Kohleausstieg in Deutschland: Es wäre gescheiter, in die Umschulung der Kumpel zu investieren, als noch 20 Jahre weiterzutun.

Zur Person

Der 46-jährige Forscher ist in Altenmarkt aufgewachsen. Studiert hat der verheiratete Marathonläufer in Innsbruck. Später war er an der Universität in Göteborg, Amsterdam und München. Seit 2016 leitet Martin Kocher das IHS in Wien. Der Verhaltensökonom stellt Menschen, nicht Modelle, in den Mittelpunkt.

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