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Spurensuche im Wirecard-Krimi

Von OÖN   30.Juni 2020

Beim Wirtschaftskrimi mit dem Zahlungsdienstleister Wirecard in der Hauptrolle vergeht kein Tag, an dem nicht ein neues Kapitel geschrieben wird. So trieben am Montagvormittag Börsen-Zocker den Wert der Aktie nach oben, obwohl 1,9 Milliarden Euro spurlos verschwunden sind und der DAX-Hoffnungsträger in der Vorwoche ein Fall für die Staatsanwaltschaft geworden ist. Die deutschen Finanzaufseher müssen sich mittlerweile kritische Fragen gefallen lassen. "Da hat jemand mit Wattebäuschchen auf Elefanten geschossen", sagte FDP-Politiker Frank Schäffler.

  • Spielball der Spekulanten: Plötzlich schlug das Pendel an der Börse am Montagvormittag in eine ganz andere Richtung aus. Nach einem Verlust von knapp 99 Prozent in den vergangenen sieben Handelstagen verdreifachte sich der Wert der Wirecard-Papiere, der Kurs lag zwischenzeitlich bei vier Euro. Der Vorstand hatte davor trotz des Insolvenzantrags die Fortführung des Geschäfts angekündigt. Tatsächlich seien aber, so Börsen-Experten, derartig starke Kursanstiege nicht fundamental begründbar. Vielmehr sind sie ein Beleg dafür, dass das Papier auf dem inzwischen niedrigen Niveau vor allem von Investoren gekauft wird, die nach dem Kursabsturz mit einer Erholung spekulieren.
  • Der tiefe Fall: Noch vor zwei Monaten lag der Kurs der Wirecard-Aktie bei mehr als 140 Euro, der als zukunftsträchtig geltende DAX-Konzern galt als Überflieger. Der Absturz folgte binnen weniger Tage. Mutmaßliche Luftbuchungen in der Höhe von 1,9 Milliarden Euro wurden öffentlich, das Unternehmen aus Aschheim bei München reichte am Donnerstag wegen Überschuldung und drohender Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag ein. Die Insolvenz ist die erste eines DAX-Konzerns überhaupt und kann auch Tochtergesellschaften treffen, ausgenommen bleiben soll die Wirecard Bank. Diese wird laut Wirecard mit Einverständnis der deutschen Finanzaufsicht BaFin finanziell und organisatorisch von der Muttergesellschaft abgekoppelt. Weltweit beschäftigt Wirecard etwa 5800 Menschen. Bei Wirecard geht die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die den Jahresabschluss 2019 prüfte, von schwerer Kriminalität in quasi weltumspannendem Maßstab aus.
  • Erfolglose Spurensuche in Asien: Die Spuren, wohin 1,9 Milliarden Euro geflossen sein könnten, führten auch auf die Philippinen. Von Firmen, die mit dem Zahlungsdienstleister in Verbindung standen, war laut Behörden keine Stellungnahme zu erhalten. PayEasy antwortete nicht auf E-Mails, Telefone waren abgeschaltet. Die Telefonnummer von Centurion war außer Betrieb. Auch ConePay war für einen Kommentar nicht erreichbar.
  • Kontrollversagen: Als erste Konsequenz will die deutsche Bundesregierung die Zusammenarbeit mit der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) kündigen, die trotz der jahrelangen Medienberichte über mögliche Bilanzunregelmäßigkeiten bei Wirecard nicht aktiv wurde. Heftige Kritik gibt es auch an der Aufsichtsbehörde BaFin, die dem Finanzministerium unterstellt ist. Die BaFin hatte die auch "Bilanzpolizei" genannte DPR im Februar vor einem Jahr beauftragt, den Abschluss von Wirecard für das erste Halbjahr 2018 näher zu prüfen. Bis zur Pleite des DAX-Konzerns lag kein Ergebnis vor. DPR-Präsident Edgar Ernst sagte der "FAZ", es sei im Wesentlichen nur ein einziger Mitarbeiter damit beauftragt gewesen. Die "Welt" schrieb in diesem Zusammenhang von einem gewaltigen Systemversagen.
  • Und die Kunden? Der deutschen Wirecard Bank droht unterdessen nach der Insolvenz der Mutter ein Moratorium durch die BaFin. Das dürfte Kunden von Wirecard hart treffen. Das Unternehmen wickelt für viele Konzerne Kreditkartenzahlungen ab. Ein Wechsel zu anderen Anbietern dürfte mehrere Wochen dauern, so lange könnten Kunden beim Händler erst einmal nicht mehr mit Kreditkarte zahlen – außer, der Händler nutzt auch andere Zahlungsdienstleister.
  • Untergetaucht: Der von Wirecard entlassene Vorstand Jan Marsalek wird laut "Handelsblatt" inzwischen per internationalem Haftbefehl gesucht. Der Österreicher war auf die Philippinen geflogen. Wo er sich derzeit aufhält, ist nicht bekannt. Insidern zufolge hält sein Anwalt weiterhin Kontakt zu den Münchner Ermittlern. Ex-Wirecard-Chef Markus Braun, ebenfalls ein Österreicher, stellte sich der Justiz.
  • Die Bilanzprüfer: Zugleich gerät der langjährige Wirecard-Bilanzprüfer EY immer stärker ins Visier der Kritiker. Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) stellte Strafanzeige gegen zwei amtierende und einen ehemaligen Manager. Es gebe Zweifel, dass EY als Abschlussprüfer überhaupt geeignet war. EY hatte mehr als ein Jahrzehnt lang die Zahlen von Wirecard geprüft. EY weist jede Schuld von sich: Bei Wirecard sei ein ausgeklügeltes, weltumspannendes Betrugssystem aufgebaut worden, mit dem Prüfer und Anleger hinters Licht geführt worden seien.
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