Goldener Boden sucht Mitarbeiter
Mitarbeitermangel, Digitalisierung. Wie meistern Handwerker die Herausforderungen? Die Gewinner des Handwerkspreises zeigen, wozu sie fähig sind.
Eine Designerin, zwei Glaser, ein Karosseriebauer und ein Fleischhauer. Völlig unterschiedliche Berufe. Doch alle eint, dass sie Handwerker mit Leidenschaft aus Oberösterreich sind und den Handwerkspreis 2018 der Oberösterreichischen Wirtschaftskammer gewonnen haben.
Kurz vor dem Fotoshooting für diesen Artikel sitzen alle gemeinsam in der Redaktion der OÖN bei Kaffee und Wasser. Sie sind sofort per du. Spürbar ist der gegenseitige Respekt vor der Arbeit der anderen. Gemeinsam gehen wir danach mit dem OÖN-Fotografen Volker Weihbold (ebenfalls ein Handwerker) zur Location. Die Fotos sind schnell im Kasten, Fotograf und „Models“ agieren professionell.
Professionalität, gepaart mit Kreativität, Leidenschaft und Durchhaltevermögen, hat den vier Gewinnern zu ihren Auszeichnungen (siehe nachfolgende Seiten) verholfen. Die einen setzen Glas ins beste Licht, die andere designt festliche Stolen, einer baut originalgetreu einen Wagen aus dem Jahr 1947 wieder auf, und der Vierte verkauft jede Woche hundert „Original Partyferkel“, die gesund und regional sind, an Spitzengastronomen im deutschsprachigen Raum.
20.000 Mitarbeiter fehlen
Die vier Gewinner gehören zu den mehr als 52.000 Betrieben, die in Oberösterreich zur Sparte Gewerbe&Handwerk gehören. Mehr als 156.000 Personen sind dort beschäftigt. Und trotzdem viel zu wenig. „Wir suchen allein in Oberösterreich 20.000 Mitarbeiter. Die größte Herausforderung, der wir uns derzeit stellen müssen“, sagt Michael Pecherstorfer, der zuständige Spartenobmann in der OÖ. Wirtschaftskammer.
Eine Sparte, die in Oberösterreich Lehrlingsausbilder Nummer eins ist. Knapp 3000 Lehrlinge sind heuer im ersten Lehrjahr. „Erstmals haben wir wieder mehr Lehrlinge, ein Plus von elf Prozent“, sagt Pecherstorfer. Noch immer sind bei Mädchen Friseurin und Einzel- und Großhandelskauffrau am beliebtesten („Der technische Bereich ist bei ihnen im Kommen“, sagt der Spartenobmann), bei den jungen Männern führen Mechatroniker, Elektrotechniker und KFZ-Mechaniker die Beliebtheitsskala an.
Wie er mehr junge Leute für Handwerk und Gewerbe begeistern will? „Mit der dualen Akademie“, so Pecherstorfer. Diese richtet sich an Maturanten oder Studienabbrecher, die ins Berufsleben einsteigen wollen und nach einer verkürzten Lehrzeit einen Beruf haben. Wichtig sei aber auch, dass Betriebe Lehrlinge ausbilden.
Pecherstorfer führt zwei Tischlereien und ein Bestattungsinstitut mit 44 Mitarbeitern, darunter sechs Lehrlinge. Auch dass die Meisterprüfung jetzt dem Bachelor gleichgestellt ist, soll Handwerk attraktiver machen.
Digitalisierung als Chance
Die Digitalisierung sieht Pecherstorfer als große Chance für seine Sparte. Es müsse sich niemand fürchten, den Job zu verlieren: „Aber man muss sich vorbereiten und weiterbilden.“ Die Lehrausbildung wurde bereits darauf angepasst, dass auch Tischler und andere mit computergesteuerten Maschinen arbeiten, gehöre bereits zum Alltag.
Die Gewinner des Handwerkspreises 2018
1. Mit Nadel und edlem Faden: Roswitha Johanna Strasser, Textile Kirchenkunst, Steinerkirchen
Nicht einmal mehr eine Meisterprüfung gibt es in Österreich für die textile Kirchenkunst (= Paramentik), erwähnt Roswitha Strasser etwas gedrückt. Sie designt und fertigt mit neun anderen Mitarbeiterinnen für die Schwestern-Kongregation in Steinerkirchen sakrale Gewänder und Textilien – wie das Sieger-Projekt in der Kategorie Mode: eine festliche Osterstola.
In Oberösterreich fertigen neben diesem Betrieb nur noch die Marienschwestern in Linz Paramentik. „Wir sind eine extreme Nische, es gibt keine eigene Berufschulausbildung mehr für den Lehrberuf Gold- Silber-Perlensticker und auch keine Meisterprüfung mehr“, sagt Strasser. Heute sei es eine Herausforderung geworden, überhaupt die richtigen Materialien in guter Qualität zu bekommen.
Umso wichtiger empfindet sie die Auszeichnung. „Deshalb ist der Preis so großartig. Wir hoffen, dass wir nicht aussterben.“ Die Kunden für diese textile Stick- und Nähkunst sind nicht nur Kirchenleute, sondern auch Vereine und Private. So werden – immer auf Auftrag und in Handarbeit – auch Zunftfahnen, Schärpen, Taufkleider oder Nikolaus-Ausstattung hergestellt.
Für die Sieger-Stola, bei der aus einem alten Messkleid eine Maria-Magdalena-Figur eingearbeitet wurde, werkten die Stickerinnen 35 Stunden.
Zur Person
Roswitha Johanna Strasser (54) stammt aus Wartberg an der Krems und fertigt seit 34 Jahren kirchliche Textilien. Sie hat nach der Mode- und Bekleidungsschule diesen Beruf gewählt und liebt ihre Aufgabe bis heute. „Eine extrem genaue Arbeit.“ Die Idee zur Maria Magdalena auf der Sieger-Stola kam ihr übrigens während eines Tatort-Krimis.
2. Die Donnerbüchse aus dem Jahr 1947: Christian Nell, Karosseriebauer, Kleinraming
Drei Jahre hat es gedauert, dann war der originalgetreue Wiederaufbau des historischen Rennwagens AFM Donnerbüchse fertig, Made in Kleinraming.
Christian Nell und seine sieben Mitarbeiter haben gemeinsam an dem Projekt AFM (Alexander von Falkhausen München) recherchiert, gebaut, gehämmert und gedreht. Allein ein Jahr haben die Vorarbeiten gedauert. Nell hat Original-Fotos, -Pläne und -Dokumente gesucht, analysiert, nachgeforscht, damit kein Teil falsch aufgesetzt wird.
Nach den erfolgreichen Rennjahren waren die originale Karosserie und deren Anbauteile vom AFM-Rennwagen entfernt und durch straßentauglichere Komponenten ersetzt worden.
Nach der Recherche, selbst Tagebücher über das Auto hat Nell eingesehen, wurde eine Karosseriezeichnung angefertigt, bevor mit den Aufbauarbeiten begonnen werden konnte. Natürlich alles Handarbeit.
Die gesamte Karosserie wurde aus Aluminiumblech angefertigt: Kühlergrill, Windschutzscheibe, Armaturen, Sitze, Tank. Der Original 1,5-Liter-Motor wurde wieder in Gang gesetzt.
Am wichtigsten bei einem originalgetreuen Wiederaufbau ist, dass die Fahrgestellnummer vorhanden ist. Ohne gibt es kein Original.
Nach den drei Jahren erstrahlte der AFM Donnerbüchse im neuen Glanz des Jahres 1947. „Ich habe das Glück, dass mein Hobby mein Beruf ist“, sagt Nell.
Zur Person
Christian Nell (48), ist verheiratet und Vater zweier Kinder. Seine Werkstatt für Kfz-Restauration steht in Kleinraming. Dort werkt er mit sieben Mitarbeitern. Er arbeitet fast ausschließlich für 15 bis 20 Kunden, die immer wieder seine Kenntnisse im Bereich Restauration anfragen. Pro Jahr werden zwei bis drei Fahrzeuge voll restauriert.
3. Meisterliche Glaskunst: Michaela und Gerald Wiesbauer, Glas, Mauthausen
In vierter Generation führen Michaela Wiesbauer und ihr Schwager Gerald Wiesbauer-Pfleger das 49 Mitarbeiter-Unternehmen Glas Wiesbauer GmbH. Auf Skiurlaub in Österreich geriet der holländische Künstler Gerald Van der Kaap an die Mauthausener, weil er für eine Wandverkleidung in einer U-Bahnstation aus Glas ganz besondere Anforderungen wie digitalen Druck hatte.
Die Wiesbauers entschieden sich, die handwerkliche (und rechtliche) Herausforderung anzunehmen – für sie war es das erste Auslandsprojekt.
Aus ganz Europa musste Spezialglas bestellt werden, die Reihenfolge der 632 Einzelteile musste wegen der Glas-Fließrichtung peinlichst genau eingehalten werden. Nach sieben Monaten Produktionszeit „sind wir total stolz. Es zahlt sich aus, sich über so ein großes Projekt zu trauen“, freut sich Michaela Wiesbauer.
Zur Person
Michaela (37) und Gerald (34) Wiesbauer übernahmen im Jänner 2018 den Betrieb von Vater/Schwiegervater Hubert. Sie ist Mutter einer fünfjährigen Tochter; ihr Schwager Gerald hat zwei Töchter (2, 8) und ist als Glasermeister seit 2005 im Betrieb. Sein Ausgleich ist Kochen, der Garten und Heimwerken („Sonst komm i ja nimmer dazu“); ihre Hobbies sind Klarinette und Skifahren.
4. Mit Ferkel und Kräutern: Thomas Mandl, Fleischhauer, Ternberg
Es sind ganz besondere Ferkel, die Thomas Mandl in seiner Fleischhauerei in Ternberg veredelt. Sie wurden davor mit Kräutern in regionalen Betrieben aufgezogen. Lange hat es gedauert, bis die perfekte Kräutermischung als Futterzusatz gefunden wurde. Die Landwirtsfamilie Grillmair aus Sipbachzell hat mit Veterinärmedizinern von der Uni Wien zusammengearbeitet, bis die perfekte Mischung gefunden war. Oft konnten Kräuter, die fürs Fleisch gut gewesen wären, nicht verfüttert werden, weil sie den Ferkeln nicht schmeckten.
Die letzendlich gefundene Kräutermischung hat den Vorteil, dass die Tiere im Vergleich zu herkömmlichen Spanferkeln einen bis zu 80 Prozent geringeren Cholesterinoxydgehalt aufweisen. Die Ferkel kommen von ausgewählten Landwirten aus Oberösterreich und sind vier Wochen am Leben, bevor sie bei Mandl in dessen Fleischhauerei in Ternberg landen.
Rund 100 Tiere werden dort jede Woche verarbeitet. Es gibt sie in kurz (acht Kilogramm) und lang (zwölf Kilo). Davon werden entweder 20 beziehungsweise 35 Leute satt. „Das müssen aber gute Esser sein“, sagt Thomas Mandl. Er liefert an Spitzengastronomen und an die Hotellerie in Österreich, Deutschland und Südtirol. Mittlerweile arbeiten 16 Leute in seinem Betrieb, darunter sieben Fleischhauer.
Gelernt hat Thomas Mandl das Handwerk von Vater Willibald und der von dessen Vater. Seit drei Generationen sind die Mandls Fleischhauer. Der Junior legt Wert darauf, dass die Tiere, die er verarbeitet, aus der Region kommen. Die „Original Partyferkel“ werden ausgelöst, mit einer Gewürzmischung behandelt („Die Mischung ist geheim“) und danach vorgedämpft. Das hat den Vorteil, dass der Konsument mit einem einheitlichen Garpunkt arbeiten kann, erklärt der Fleischermeister: „Dadurch wird das Spanferkel ganzflächig knusprig und lässt sich leichter portionieren.“
Mandls Vater Willibald ist Bundes-Innungsmeister für das Lebensmittelgewerbe und meist mehrere Tage pro Woche in Wien. „Wenn er zuhause ist, arbeitet er im Betrieb mit.“ Obwohl der Betrieb in Ternberg Thomas Mandls Zeit voll beansprucht, hilft er angehenden Fleischermeistern vor deren praktischer Prüfung als Trainer im Wifi.
Zur Person
Thomas Mandl (36) wohnt mit seiner Frau und den beiden Kindern in Ternberg. Vor zwei Jahren hat er den Betrieb seines Vaters übernommen.
3 Fragen an ... M. Pecherstorfer*
Das Handwerk hat goldenen Boden. Stimmt das noch?
Mehr denn je. Wir alle brauchen immer wieder Handwerker. Als Handwerker brauche ich selbst ständig andere Professionisten, und private Kunden brauchen Handwerker, sobald sie sich etwas anfertigen lassen wollen.
Wie schwierig ist es, junge Menschen für eine Ausbildung im Handwerk zu begeistern?
Nicht einfach. Aber uns ist es gelungen, heuer erstmals wieder mehr Jugendliche als Lehrlinge zu gewinnen.
Worin liegen die Herausforderungen?
Die größte Herausforderung ist es, Mitarbeiter zu finden. Allein in Oberösterreich fehlen uns 20.000 Leute. Der Topf wird kleiner, die Betriebe mehr, der Wettkampf schärfer.
* Michael Pecherstorfer, Tischler aus Pupping, ist seit Juni Sparten-Obmann für Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer Oberösterreich
52.000 Betriebe, gehören in Oberösterreich zum Gewerbe und Handwerk. An erster Stelle Friseure (1200), gefolgt von Mechatronikern (1152) und Malern+Tapezierern (971). In der Sparte sind 156.000 Personen beschäftigt.
11 % mehr Lehrlinge, haben heuer in Oberösterreich die Ausbildung im Handwerk begonnen (2796) . Österreichweit gibt es 198 Lehrberufe.