Das verlorene Potenzial der Frauen
In der Regel erfolgt eine Beförderung nicht einfach so aus heiterem Himmel. Bevor sich Führungskräfte dazu entscheiden, jemanden auf der Karriereleiter eine Sprosse weiter nach oben klettern zu lassen, treffen sie Vorhersagen über diese Person: Wie wird sie sich entwickeln? Wie viel Potenzial hat sie, eine anspruchsvolle Rolle zu übernehmen? Solche Einschätzungen sind von Natur aus subjektiv. Doch eine Studie zeigt nun, dass Frauen dabei systematisch benachteiligt werden.
Bessere Leistungen, aber schlechtere Bewertungen
Alan Benson von der University of Minnesota und seine Kolleginnen Danielle Li (MIT, National Bureau of Economic Research) und Kelly Shue (Yale, National Bureau of Economic Research) haben zwischen 2011 und 2015 die Daten von rund 30.000 Führungskräften einer US-Einzelhandelskette ausgewertet.
Im Sommer wurde ihre Studie ",Potential’ and the Gender Promotion Gap" veröffentlicht. Darin wurden Leistungsbeurteilungen und Beförderungen mit den demografischen Daten der Führungskräfte in Zusammenhang gestellt. Das Unternehmen, dessen Daten das Forschungsteam auswertete, maß in einer Matrix die Leistung einer Person auf der einen Achse und ihr Potenzial auf der anderen. Eine Analyse zeigte, dass Frauen im Durchschnitt höhere Leistungsbewertungen erhielten als männliche Angestellte, aber dennoch um 8,3 Prozent niedrigere Bewertungen für ihr Potenzial bekamen als die Männer.
Beim Kriterium "Leistung" erhielten Frauen sogar mit sieben Prozent höherer Wahrscheinlichkeit als Männer die Bestnote "hoch". Dennoch erreichten sie seltener eine hohe Bewertung beim Kriterium "Potenzial". Das führt dazu, dass sie mit 14 Prozent geringerer Wahrscheinlichkeit befördert werden, so die Studienautoren. Die Hälfte der Beförderungslücke zwischen Männern und Frauen im Unternehmen ließ sich allein darauf zurückführen.
Die Lücke schließen
Dennoch sei es keine Lösung, den Punkt "Potenzial" aus den Assessments zu streichen, schreiben Alan Benson und seine Forschungskolleginnen und -kollegen. Die Ergebnisse eines Gedankenexperiments deuten darauf hin, dass eine Korrektur das Problem abmildern könnte. Würde das Unternehmen die "Potenzial"-Punktzahl von Frauen um eine Stufe anheben, könnte das die geschlechtsspezifische Beförderungslücke beseitigen. Außerdem würden sich so die Qualität und Leistung der Beförderten erhöhen. "Diese spezielle Maßnahme ist aber schwierig umzusetzen", schreibt das Forschungsteam. "Sie könnte zur Folge haben, dass Führungskräfte Frauen von vornherein schlechter bewerten, um diesem geschlechtsspezifischen ,Bonus’ zuvorzukommen. Dennoch deuten die Daten darauf hin, dass Unternehmen profitieren, wenn sie ihren ansonsten informativen Potenzialeinschätzungen den Bias nehmen."