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Die Zukunft der Arbeit

Von Klaus Buttinger, 25. Juli 2020, 00:04 Uhr

Vor 70 Jahren wurde "Held der Arbeit", wer sich im starren System überangepasst hatte. Die Systemhelden von morgen sind flexibel wie Rex-Gummis, unabhängig wie Luftballons und billig wie nie.

Am kommenden Montag ist es genau 70 Jahre her, da man in der Deutschen Demokratischen Republik ein Fließband für Übermenschen anwarf. Fürderhin bekamen jährlich maximal 50 DDR-Bürger den Orden "Held der Arbeit" verpasst, eine Auszeichnung, die sich Staatsratsvorsitzender Walter Ulbricht von der Sowjetunion abgeschaut hatte. "Verpasst" deshalb, weil mit der Verleihung nicht nur 10.000 Ostmark und Vorteile etwa bei der Wohnungszuteilung verbunden waren, sondern auch Neid – und Ärger der Kollegenschaft. Denn häufig resultierte aus der Planübererfüllung einzelner "Helden" höherer Arbeitsdruck für alle.

70 Jahre nach der Einführung des "DDR-Mitarbeiters des Jahres" gibt es den Sozialismus deutscher Prägung längst nicht mehr – allerdings eine Parallele zu damals. Heute zeigt nicht der "Held der Arbeit", was noch ginge, sondern die Kurzarbeit lässt erahnen, mit wie wenig Helden es sich für die Unternehmen ausginge.

Für immer mehr Wirtschaftsweise wird klar, dass es ein Zurück zum Arbeitsalltag vor der Coronakrise nicht geben wird. Der Präsentismus – die außerhäusliche Werktätigkeit "from 9 to 5" für die Büropferdchen – hatte ja schon vor dem Virus unübersehbare Löcher: prekäre Arbeitsverhältnisse, Praktikantentum, Scheinselbstständigkeit, selbstausbeuterische EPUs in immer größer werdenden Co-Working-Spaces, wo sich weder Wirtschafts- noch Arbeiterkammer wirklich zuständig fühlten. Zudem dürften die jüngsten Erfahrungen mit Homeoffice und Videokonferenzen zu einer anhaltenden Veränderung der Arbeitswelt führen.

Zwei Seiten von Homeoffice

Weitermachen wäre verlockend – für beide Sozialpartner. Arbeitnehmer im Homeoffice sparen sich den Weg ins Büro, Arbeitgeber die Kosten für Büroflächen. Doch so einfach ist die Sache nicht – wie so oft steckt der Teufel im Detail. Was, wenn das Heimbüro mit Betreuungspflichten von Kindern kontrastiert? Studien während des Lockdowns machten klar, dass weit überwiegend Frauen den Preis für solche Doppel- und Dreifachbelastungen zahlen. Und wer zahlt für das Homeoffice an sich?

Während vorausschauende Unternehmen ihren Mitarbeitern schon vor Jahren die Möglichkeit des Homeoffice einräumten, die Kosten der Einrichtung übernahmen und die laufenden Aufwände (Raum, Strom, Möbel, Bürobedarf, Internetanbindung) pauschaliert mittrugen, verschliefen andere Unternehmen diese Entwicklung. Und so fanden sich virusgetriebene Heimwerkerinnen und -werker plötzlich mit Winzig-Laptops am heimischen Küchentisch wieder. Kein Arbeitsmediziner checkt hier die Ergonomie des Arbeitsplatzes – zumindest noch nicht.

Während früher die Arbeitszeit akribisch vom Unternehmen überwacht wurde – Stichwort Stechuhr –, scheint heute größtes Vertrauen in die Stundenabrechnung der Heimwerkenden zu bestehen. Doch der Kapitalismus vertraut nicht, er macht Geschäfte. Am Ende "zählt, was hinten herauskommt", um einen früheren deutschen Bundeskanzler zu zitieren. Die Leistungen aus den Homeoffices dürften aller bisherigen Erfahrung nach überwiegend völlig in Ordnung sein. Nicht mehr Einzelne wie weiland im "Arbeiterparadies" neigen zur Planübererfüllung, heute ist es die große Mehrheit in den Homeoffices.

Paradoxe Szenarien

Corona ist nicht das einzige Bedrohungsszenario in der Arbeitswelt. Neben der erwähnten Prekarisierung wird sich die Digitalisierung in der sogenannten Industrie 4.0 niederschlagen und beides vor dem Gespenst der Klimakrise. Drei immense Herausforderungen, für die es keine Exitpläne gibt. Wie schwierig solche Umstände für einzelne Arbeitnehmer, aber auch für Organisationen sind, zeigte der jüngste Protest von Ryanair-Mitarbeitern vor ihrer Gewerkschaftsvertretung, wo sie für den Erhalt ihrer nicht eben klimafreundlichen Arbeitsplätze demonstrierten, selbst wenn die Löhne der Notstandshilfe glichen.

Der große deutsche Philosoph Immanuel Kant verband die menschliche Würde mit der Vorstellung von Autonomie. Es scheint, dass beides heute günstig auf dem Markt ist. Für ein bisschen Geld, sprich Autonomie, stehen immer größere Stücke an Würde zu verkaufen. Hauptindiz für den Preisverfall ist die Arbeitslosigkeit. Knapp 434.000 Menschen in Österreich haben derzeit keinen Arbeitsplatz. Zählt man die kurzarbeitenden Menschen dazu, betrifft die herrschende Krise knapp 890.000 Personen. Bitter zudem, dass 63.000 unter 25-Jährige derzeit keine Beschäftigung haben: Würdelosigkeit mit Aussicht auf wenig Aussichten.

"Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, dass Arbeitszeitverkürzung immer öfter diskutiert wird", sagt Univ.-Prof. Jörg Flecker vom Institut für Soziologie der Universität Wien. "Die Jungen wollen nicht mehr vom Beruf aufgefressen werden wie ihre Eltern." Das drücke sich bereits in manchen Kollektivverträgen durch Freizeitoptionen statt Geld aus. "Viele Menschen haben während der Kurzarbeit die Erfahrung gemacht, dass weniger zu arbeiten den Druck mindert und die Gesundheit fördert." Zudem sei die letzte Verkürzung der Arbeitszeit – auf 40 Wochenstunden – auch schon 45 Jahre her.

Die Zukunft der Arbeit
Jörg Flecker Bild: Uni Wien

Multiple Herausforderungen

Die Gewerkschaften stehen jedenfalls vor einer großen, wenn nicht der größten Herausforderung ihrer Geschichte. "Gute, menschenwürdige Lebensbedingungen für breite Bevölkerungsteile mussten dem Kapital stets abgerungen werden. Dies verschärft sich in Zeiten der ökologischen Krise", schreibt der Politikwissenschafter Ulrich Brand von der Uni Wien. Ein Zurück zum Kerngeschäft – der Arbeitsplatzerhaltung und Interessenvertretung der Arbeitnehmer – werde es so wie nach den Weltwirtschaftskrisen 1974 und 2008 für die Gewerkschaften nicht mehr geben.

 

Wie der notwendige Rück- und Umbau von ressourcenintensiver Industrieproduktion sozial gerecht ablaufen soll – und das parallel zur galoppierenden, jobreduzierenden Digitalisierung –, stellt die Gewerkschaften vor enorme Zielkonflikte. Grundsätzlich wäre der Spagat möglich, wie "Trade Unions for Future" oder "Workers for Future" zeigen, die die Klimastreikbewegung unterstützen. "Ohne einen umfassenden Blick für die Verzahnung von Produktion und Konsum, Arbeit und Leben lassen sich sozialökologische Perspektiven kaum denken", fasst Univ.-Prof. Brand zusammen.

Wohin geht die Qualifizierung?

"Wir haben in den vergangenen Jahren eine starke Intensivierung und Verdichtung der Arbeit erlebt", sagt Soziologe Flecker. "Die Frage ist, wo die Qualifizierung im Rahmen der Digitalisierung hingeht. Wird künstliche Intelligenz dazu verwendet, Menschen zu steuern – wie in den Amazon-Lagerhallen?"

Es gebe ein Spannungsverhältnis zwischen dem Einsatz qualifizierter Menschen und der Übertragung von Qualifikation auf Maschinen, was den Menschen austauschbar machen würde. Das gehe bis hin zum Journalismus*, wo die Texte von Bots zusammengestellt werden", sagt Flecker.

* Für diesen Text wurden keine Roboter gequält.

Stichworte aus der neuen Arbeitswelt – Oder Risikoverlagerung zum Arbeitnehmer

Digitalisierung: Wie viele Jobs durch die Digitalisierung (Automation in der Industrie, Verwaltung, Kundenbetreuung, Robotereinsatz etc.) wegfallen werden, ist schwer zu sagen. Die Schätzungen reichen von 47 Prozent aller Arbeitsplätze in den USA bis 12 Prozent in Österreich.

Crowdworking: Mischbegriff aus "Outsourcing" und "Crowd". Dabei wird eine Aufgabe von einem Unternehmen an eine undefinierte Anzahl von Menschen – die Crowd via Internet – ausgelagert (Clickworking).

Gig-Economy: von englisch gig für "Auftritt" und economy für "Wirtschaft" bezeichnet einen Teil des Arbeitsmarktes, bei dem kleine Aufträge kurzfristig an Selbstständige, Freiberufler oder geringfügig Beschäftigte vergeben werden. Häufig fungiert eine Onlineplattform als Mittler zwischen Kunde und Auftragsnehmer. (Beispiele: Uber, Fahrradkuriere, Putzkräfte, Übersetzer, Texter)

Sharing Economy: meint Ausleihen und gegenseitiges Bereitstellen von Gegenständen, Räumen und Flächen, insbesondere durch Privatpersonen, aber auch Interessengruppen, gegen Geld. Beispiel: Carsharing. Meist wird das über eine Internetplattform abgewickelt. Der deutsche Autor Sascha Lobo nennt solche Strukturen "Plattformkapitalismus".

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Autor
Klaus Buttinger
Redakteur Magazin
Klaus Buttinger
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1  Kommentar
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Gugelbua (31.906 Kommentare)
am 25.07.2020 14:03

auch in meiner Arbeitswelt wurde man nach 25 Jahren im Betrieb geehrt, heute sagt man: hat er nichts besseres gefunden😁

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