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Stadtflucht, eine Spitze des Eisbergs und Bilder der Selbstverwirklichung

Von Alexander Zens   15.Jänner 2022

Am Runden Tisch der OÖNachrichten diskutierten anlässlich des oberösterreichischen Architekturpreises Daidalos Landesrätin Michaela Langer-Weninger, Rudolf Wernly, Präsident der Ziviltechnikerkammer, Heinz Plöderl, Sektionsvorsitzender der Architekten, sowie Georg Wilbertz, OÖN-Architekturkritiker und Mitglied der Daidalos-Jury.

Branche: "Wir haben ein Stimmungsproblem in der Kreativwirtschaft", sagte Plöderl. Das tue einem an sich starken Standort wie Oberösterreich nicht gut. Architekten seien Motoren der Kreativwirtschaft, so Plöderl: "Wir haben rund 200 offene Stellen in den Büros". Von den Jungen, die in München, Wien, Graz oder Innsbruck studieren, komme kaum jemand zurück. "Das ist nicht in ihrem Fokus, weil die Angebote und Rahmenbedingungen in den großen Uni-Städten andere sind." Wernly sieht einen "Sonderzustand" in der Branche. "Es gibt viele Kollegen, die sehr viel Arbeit haben, aber keine Mitarbeiter finden." Weil sich die Leute Jobs aussuchen könnten, stellten sie hohe Ansprüche, was etwa die Work-Life-Balance betreffe. Oberösterreich leide, weil es keine Technische Uni gebe, so Wernly. Plöderl bezeichnet die Ausbildungen an der Kunst-Uni Linz (Architektur) und FH Wels (Bauingenieurwesen) als "Tropfen auf den heißen Stein". Wilbertz sagte, jene, die nach Oberösterreich zurückkommen, "sehen Chancen, die ein unterversorgter Raum bietet".

Klimaschutz: Wie können Bau- und Ziviltechniker zur Nachhaltigkeit beitragen? "Hier sehe ich einiges auf dem richtigen Weg, wenn ich etwa daran denke, wie stark sich der Holzbau entwickelt", sagte Langer-Weninger. Wernly erklärte, dass die Bauwirtschaft einen erheblichen Anteil des CO2-Ausstoßes verursache. "Wir sind bemüht, unseren Beitrag zum Green Deal der EU zu leisten." Man werde die Emissionen nicht von hundert auf null herunterkriegen. Allein die Produktion von Beton und Stahl verursache schon einen hohen CO2-Ausstoß. "Wir als Planer können aber beispielsweise versuchen, die Materialien in ihrer Menge zu reduzieren und Baustoffe zu verwenden wie Holz, die günstiger in der Klimabilanz sind", so Wernly: "Und die Frage, die sich für alle stellt, ist, müssen wir wirklich alles neu bauen?" Es gelte, nicht nur Gebäude abzureißen, sondern Substanz weiterzuverwenden. Auch Plöderl sieht den Klimaschutz als wesentliche Herausforderung der nächsten Jahre.

Baukultur: Plöderl zog einen Vergleich: "Es ist wie bei einem Eisberg, die Zahl der Spitzenleistungen ist klein. Wir haben eine breite Masse an Projekten, bei denen am Bedarf vorbei gebaut wird" – das betreffe den Wohnbau oder das Thema der leeren Ortskerne. "Wir haben eine Neubau-, keine Umbaukultur", sagte Plöderl. Es gebe zu wenig "Innenentwicklung" in ländlichen Regionen und zu wenige Musterbeispiele. Am Bedarf vorbei gebaut wird laut Wilbertz in dem Sinne, dass es eine problematische Entwicklung gebe, wie lange gewisse Kernzonen in Städten noch leistbar seien für mittlere und darunterliegende Einkommen. Und: "Wo wird was gebaut? Welche Siedlungszonen werden wo aufgemacht? Welche mögliche Verdichtung gibt es im städtischen und Stadtrandbereich?" Da könne man noch viel differenzierter herangehen, um punktgenau zu planen, so Wilbertz: "In der Stadt fällt nicht unmittelbar auf, wo etwas raumplanerisch falsch läuft, auf dem Land sofort." "Es kann nicht nur Spitzenarchitektur geben", sagte Wernly. Es gehe um den Spagat zwischen kostengünstigem Bauen und anspruchsvoller Architektur.

Raumplanung: Langer-Weninger betonte, dass in den vergangenen Jahren eine Entwicklung "von der Landflucht zur Stadtflucht" eingesetzt habe. Vor allem in Oberösterreich seien kleinere Gemeinden – auch verstärkt wegen Corona – gewachsen. "Das ist ein Zeichen, dass vieles etwa bei der Versorgungsstruktur nicht so falsch gelaufen ist, wenn Haushalte ihren Wohnsitz aus dem städtischen Gefüge in den ländlichen Raum verlagern." Gleichzeitig sei es eine große Herausforderung. "Die Baulandmobilisierung beschäftigt die Bürgermeister und Gemeinderäte massiv." Gewidmetes Bauland in Ortskernen stehe oft nicht zur Verfügung, weil es die "Sparkasse der Besitzer" sei. Dann wachse der Druck, nach außen zu widmen. Trotzdem arbeite man daran, Ortskerne zu revitalisieren. Es gebe "tolle Projekte" wie in Steinbach, Molln und Grünburg, wo gemeinsam gewerbliche Leerstandsflächen wiederbelebt werden, wie der neue Marktplatz in Schörfling oder die Neunutzung des früheren evangelischen Pfarrhofs in Kefermarkt. Es brauche natürlich noch mehr. Plöderl stimmte zu, dass es Vorbilder gebe. "Aber wir müssen in vielen Bereichen noch viel besser werden." Wilbertz ist der Meinung, dass Stadtflucht nicht nur wegen großartiger Qualität auf dem Land, sondern vor allem wegen der "Bilder der Selbstverwirklichung", was Eigenheim und Garten betreffe, entstehe. Nicht wenige, die aufs Land ziehen, würden sich gar nicht im Ortskern aufhalten. Man müsse auch alternative Bilder thematisieren. Und man müsse Aufklärungsarbeit leisten, dass alte Bausubstanz qualitätsvoll sein könne, denn viele Menschen wollten wegen gewisser Vorbehalte nicht in alte Gebäude ziehen. Das neue Raumordnungsgesetz verteidigte Langer-Weninger: Es bringe das klare Bekenntnis, Leerstände und Brachflächen zu reaktivieren, bevor neu gewidmet werde. Supermärkte sollen nicht mehr an Ortsrändern gebaut werden. Der "Schutz landwirtschaftlicher Flächen" sei mitgedacht worden. Letzteres sehen Wernly und Plöderl aber in Gefahr. Plöderl fordert etwa auch, nicht genutztes Bauland nach 15 oder 20 Jahren in Grünland zurückzuwidmen. Das hält Wernly in Ortszentren nicht für durchführbar, er sagt auch: "Es wurden und werden in der Raumordnung viele Fehler gemacht, die schwer rückgängig zu machen sind." Wilbertz ist für breiten gesellschaftlichen Diskurs, Plöderl will "die Bürger abholen", um Verständnis zu entwickeln.

Leistbarkeit: Wie kann man Bauen und Wohnen leistbar halten? Wilbertz ist dafür, Normen und Regulative "noch einmal durchzuforsten, was tatsächlich sein muss". Es gehe nicht um Substandards. Der soziale Wohnbau sei ein ganz wichtiges Instrumentarium. Beim Thema neue Hochhäuser ab acht Stockwerken wie in Linz betonte Wilbertz, diese seien "keine Lösung auf die Frage, wie man leistbares Wohnen für die breite Masse sichert". Mit Verdichtung werde argumentiert, viele Faktoren wie Infrastruktur, Verkehr, Energie würden aber vernachlässigt. Plöderl sieht große Hochhausprojekte als reines "Betongold"-Thema. Er fordert generell, immer eine "Vollkostenrechnung", die den gesamten Zyklus eines Gebäudes berücksichtigt, anzustellen. Maximal 20 Prozent der Kosten machten die Errichtung aus, weitere 20 die Instandhaltung, der große Rest Energie, Infrastruktur, Mobilität. Wernly betonte, dass sich die "Grundkosten extrem entwickelt" haben. Hier eine Lösung im freien Markt zu finden, sei schwierig. Natürlich spiele bei den Kosten immer eine Rolle, wie komplex man baue. Langer-Weninger verwies darauf, dass im neuen Raumordnungsgesetz die Widmungskategorie sozialer Wohnbau geschaffen wurde. "Aber es geht natürlich darum, was kostet der Grund und Boden, auf dem man baut", betonte die Landesrätin neben dem Erfordernis, auf Effizienz zu achten.

Daidalos 2022

Zum fünften Mal wird Oberösterreichs Architekturpreis Daidalos vergeben – die Kategorien in der Kurzfassung:

  • Wertvolle Substanz: Intelligentes, funktionsgerechtes, architektonisch überzeugendes Bauen im Bestand
  • Raffinierter Neubau: Neue Gebäude, die architektonisch und funktional einen innovativen Beitrag zum aktuellen Baugeschehen leisten
  • Sonderpreis Bewährte Bauten: Bauten und Planungen, die ihre architektonische Qualität und Nutzerfreundlichkeit über eine längere Nutzungsdauer unter Beweis gestellt haben

Einreichfrist für Daidalos um eine Woche verlängert

Zahlreiche Bewerbungen für den Architekturpreis Daidalos sind in den vergangenen Tagen eingegangen. Die Einreichfrist wird nun um eine Woche verlängert, um den vielen Interessenten etwas mehr Zeit zu geben – von 16. auf 23. Jänner 2022. Alle Informationen und den Link zur Einreichung finden Sie unter nachrichten.at/daidalos.

Zur Einreichung sind Architektur-, Zivilingenieurbüros und interdisziplinäre Projektteams (zum Beispiel Städtebauer, Landschaftsplaner) eingeladen. Es werden Projekte in Oberösterreich zugelassen, die fertiggestellt sind. Die Projekte dürfen nicht älter als fünf Jahre sein (Fertigstellung nach 1. Jänner 2017), mit Ausnahme des Sonderpreises Bewährte Bauten. Hier müssen die Objekte im Zeitraum zwischen 1990 und 2010 fertiggestellt worden sein. Zur Einreichung sind jeweils bis zu fünf Fotos und fünf Plandarstellungen sowie ein Erläuterungstext mit maximal 1500 Zeichen zulässig.

Für den Daidalos konnte eine hochkarätige Jury gewonnen werden: Carmen Wolf aus München, Stefanie Murero aus Klagenfurt und Georg Wilbertz, Architekturkritiker der OÖNachrichten.

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25. April 2024