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Zukunftsforscher: Eine gute Zukunft der Arbeit ist machbar – und zwar jetzt

Von Von Klaus Buttinger   17.April 2010

OÖN: Wo bewegt sich der arbeitende Mensch hin?

Zellmann: Wir bewegen uns in eine Dienstleistungsgesellschaft. High touch, statt high tech. Das heißt, die persönliche Zuwendung von Menschen wird wichtiger. Das wird alle Bereiche der Wissensvermittlung, die Betreuung und Pflege bis weit hinein in Tourismus, Handel und Gewerbe prägen.

OÖN: Heißt das, Mediamarkt macht Hausbesuch?

Zellmann: Es wäre gut, wenn in Großmärkten überhaupt jemand da wäre. Besser wäre, dass der Kunde, entsprechend seiner Bedürfnisse betreut wird.

OÖN: Bedarf das auch eines Umdenkens bei den Kunden?

Zellmann: Ja. Beratungs- und Informationszeit darf etwas kosten. Die wichtigste Ressource im 21. Jahrhundert ist Zeit. Wir müssen uns von der Geiz-ist-geil-Mentalität weg entwickeln hin zur Frage: Was ist denn wirklich der beste Preis für mich unter dem Strich. Nachhaltigkeit von Produkten wird dann auch eine Rolle spielen.

OÖN: Sie fordern in ihrem Buch ein radikales Anheben des Pensionsantrittsalters. Warum?

Zellmann: Wir haben im 20. Jahrhundert 230.000 Lebensstunden dazugewonnen. In den gleichen hundert Jahren hat sich die Wochenarbeitszeit von 78 auf 38 Stunden halbiert, ist der Urlaub auf bis zu sechs Wochen angewachsen. Nur mehr 14 Prozent unserer Lebenszeit verbringen wir in Ausbildung oder Beruf. Diesen Gewinn an Lebenszeit muss ich selbstverständlich auch wieder der Volkswirtschaft zur Verfügung stellen. Wer zehn oder 15 Jahre länger lebt, der kann doch um Gottes Willen um zwei, drei Jahre länger arbeiten.

OÖN: Tatsächlich ist es ja so, dass ältere, gut verdienende Mitarbeiter aus den Unternehmen so früh wie möglich in Pension gedrängt werden …

Zellmann: Das ist das Paradoxe an der Situation, dass man in den einen Leitartikeln die Verlängerung der Arbeitszeit beschreibt und in den anderen die notwendige Freimachung von Arbeitsplätzen für junge Menschen. Wir sind uns also nicht ganz einig, was den Weg in das neue Zeitalter ausmacht. Zunächst einmal wird es eine Konkurrenzsituation zwischen Älteren und Jungen geben.

OÖN: Und dann?

Zellmann: Die Zukunft wird je nach dem aussehen, welche Weichen wir heute stellen. Wir können nicht wissen, wie sich die Arbeitswelt im Jahr 2020 konkret darstellt.

OÖN: Stellt nicht zur Zeit die Wirtschaft mehr Weichen als die Politik?

Zellmann: Die Wirtschaft ist ja auch Teil der Politik. Politik, also die öffentliche Sache, ist schon letztlich alles. Im Moment sehen wir eine Politik, insbesondere eine Bildungspolitik, die von der Entwicklung heillos überfordert ist und aus Angst, Einfluss oder Macht zu verlieren, hinten nachhinkt. Gewerkschaften, Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer müssten eigentlich gemeinsam die Politik ermuntern, die anstehenden Dinge ernsthaft durchzudiskutieren. Etwa die Frage nach dem bedingungslosen Grundeinkommen. Die wäre in zwei Jahren lösbar. Experten rechnen etwas durch und dann kann man entscheiden.

OÖN: Zwei Jahre ist sehr optimistisch. Allein die Diskussion um die Schulsysteme dauert schon mehr als 40 Jahre …

Zellmann: Nicht, wenn ich eine Expertengruppe zusammenstelle und sage: Rechnet mir ohne Ideologieverbrämtheit durch, ob das eine sozialromantische Utopie oder halbwegs realistisch durchführbar ist. Erst dann beginnt der politische Prozess. Aber wir wissen nicht einmal, ob es nicht doch relativ einfach ginge, wenn alle Transferleitungen wegfallen und die Wirtschaft um diesen Sockelbetrag entlastet wird. Ich bin überzeugt, dass sich in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts die Erkenntnis durchgesetzt haben wird: Wir Menschen können Arbeit und Kreativität erst jenseits der Existenzsorge leisten.

OÖN: Sie schreiben, dass der Dienstgeber der Zukunft mehr Menschlichkeit, Herzlichkeit und empathische Fähigkeiten ausstrahlen müsse. Was müssten Dienstnehmer geben?

Zellmann: Sie müssten die Bedürfnisse der Menschen erfassen und aufgrund der eigenen Kompetenz Vorschläge entwickeln und nicht wie ein Pilot nur eine Checkliste abhaken.

OÖN: Bildung schafft Zukunft, meinen Sie. Ist das mehr als ein Schlagwort?

Zellmann: Wir haben 40 Jahre lang Schulversuche gemacht und stehen heute dort, wo wir bereits Mitte der 1970er-Jahre mit den Erkenntnissen waren. Das ist etwas, was nur in Österreich und in einigen deutschen Bundesländern der Fall ist. Das gesamte übrige Europa hat die Diskussion um die Gesamtschule längst hinter sich. Deshalb muss es immer mehr aufgeklärte Bürger geben, die sagen, bei dem Kasperltheater spiele ich nicht mehr mit.

OÖN: Stichwort Flexicurity, was eine Kombination von Flexibilität und Sicherheit (Security) bedeutet. Die bisherigen Flexibilisierungen haben bisher meist die Arbeitnehmer bezahlt. Muss es da nicht zu einem Umdenken kommen?

Zellmann: Selbstverständlich. Da ist in den Interessensvertretungen in den vergangenen Jahren zu wenig nachgedacht und nachgerechnet worden. Es muss Rahmen geben und auch mehr Verhandlungen zwischen Dienstnehmer und Dienstgeber auf Betriebsebene – aber innerhalb des Rahmens und einklagbar. Das heißt: Die Dienstnehmer müssen selbst ihr Schicksal mehr in die Hand nehmen. Mehr Rechte in der Zukunft wird auch heißen: die Pflicht, mich auch mehr mit mir selbst und meinen Möglichkeiten auseinandersetzen. Grundsätzlich gilt aber: Zukunft ist nicht das, was die Trendforscher beschreiben, sondern das, was wir daraus machen. Die einzige Möglichkeit, gut von einem Zeitalter in ein anderes überzutreten, ist, dass eine qualifizierte Mehrheit die Dinge des Seins nachvollziehen kann und durch ihre Interessensvertretungen der Politik die Ziele vorgibt.

OÖN: Unser Bildungssystem verlassen 20 Prozent Menschen, die nicht in der Lage sind sinnerfassend zu lesen. Da kann von qualifiziert keine Rede sein ...

Zellmann: Ja, es muss etwas geschehen im Schulsystem und zwar morgen. Die Schulautonomie muss zur Maxime erhoben werden. In dem Lebensraum Schule mit ihrem Chef, den Mitarbeitern und Kunden muss man autonom in der Lage sein, sich ein Profil zu geben, sich eine Leistungsanforderung zu erstellen.

OÖN: Im Rahmen des Lehrplans, oder?

Zellmann: Ja, und es mag gelten: vom Genehmigungs- zum Berichtsverfahren. Man muss die Leute in die Lage versetzen, nicht nur das, was vorgeschrieben ist, nachzumachen. Wenn die Menschen an der Basis in der Lage wären, zunächst sehr viel tun zu dürfen, sie aber jederzeit ihr Tun nachweisen müssen, hätten wir den Paradigmenwechsel in der Dienstleistung. Die Mitarbeiter eines Betriebes, die Lehrer an der Schule wissen, was zu tun ist. Ihr Tun in einem bundesweiten Projekt zu erlauben und danach die Berichte zu prüfen, wäre ein Schritt zur neuen Politik des 21. Jahrhunderts.

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