„Kapitalismus so gestalten, dass man zufriedener wird“

Von Dietmar Mascher   30.September 2013

Warum werden wir nicht automatisch glücklicher, wenn wir mehr Geld haben und unser Wohlstand steigt? Darüber sprachen die OÖNachrichten mit dem Schweizer Wirtschaftswissenschafter und Bestseller-Autor Mathias Binswanger.

 

OÖNachrichten: Sie schreiben über Wohlstand, Wirtschaft und Glück. Friedrich Torberg lässt die Tante Jolesch sagen „Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist“. Wie definiert man Glück?

Binswanger: Meist wird genau das nicht gemacht. Das Wissen über das Glück der Menschen stammt aus Umfragen, wo sie gefragt werden, ob sie zufrieden oder glücklich sind. Dabei lassen sich zwei Faktoren unterscheiden. Zum einen die Selbstanalyse ausgehend von der Frage, ob man mit seinem Leben momentan zufrieden ist. Zum anderen geht es um das eher kurzfristige emotionale Befinden, das im Tagesverlauf zwischen glücklichen und unglücklichen Momenten schwankt.

In Ihrem Buch „Tretmühlen des Glücks“ geht es um den Zusammenhang zwischen Glück und Einkommen. Sie folgern, dass mehr Reichtum nicht mehr Glück bedeutet.

Wir glauben daran, dass wir glücklicher werden, wenn wir beispielsweise noch 20.000 Euro mehr Jahreseinkommen hätten. Wenn wir es dann aber haben, stellen wir fest, dass wir glücksmäßig an Ort und Stelle treten, genau wie auf einer Tretmühle.

Sie schreiben, das liege auch daran, weil man relativ nicht reicher geworden ist.

Genau, man vergleicht sich ständig mit anderen und fragt, was die sich leisten können. Wenn ein Land aber insgesamt reicher wird, wird man relativ gesehen trotzdem nicht reicher, wenn das Einkommen der andern ebenfalls steigt. Man vergleicht sich nach wie vor mit denjenigen, die mehr haben.

Ein Grundübel ist also, dass man sich an anderen misst.

Das ist zum Teil genetisch bedingt und sogar bei Affen zu beobachten. Bei Affen steigt der Serotonin-Spiegel, wenn sie in eine Gruppe kommen, in der sie höheren Status genießen. Traditionell hat die christliche Kultur dazu angehalten, sich diesbezüglich zu mäßigen. Aber heute wird genau das Gegenteil gepredigt. Wir sollen uns in Rankings und Benchmarks stets mit andern vergleichen. Das erzeugt eine permanente Unzufriedenheit.

Außer beim Ersten.

Es gibt eine „The winner takes it all“-Mentalität, bei der nur noch Siege und erste Plätze zählen. Aber auch der Erste muss auf der Hut sein, dass er seine Stellung nicht verliert.

Ein gewisser Wettbewerb ist aber auch innovationsfördernd.

Es ist eine Frage des Maßes. Innovation gedeiht vor allem dann, wenn man in der Lage ist, Kreativität und Interessen frei zu entfalten.

Ist aus Ihrer Sicht der Kapitalismus die Wurzel des Übels?

Der Sozialismus hat die Menschen definitiv noch weniger glücklich gemacht. Es kommt darauf an, wie der Kapitalismus gestaltet ist und ob er es ermöglicht, dass die Menschen auch zufriedener werden.

Welche Rolle spielt die Arbeitslosigkeit?

Arbeitslosigkeit ist ein ausgeprägter Faktor für Unglück im Leben, vor allem bei Männern. Nicht unbedingt deshalb, weil alle so gern arbeiten, sondern weil der Selbstwert und das gesellschaftliche Ansehen an die Arbeit geknüpft sind.

Werden wir künftig glücklicher oder unglücklicher?

Das weiß ich nicht. Aber es ist gut, wenn wir überlegen und diskutieren, worauf wir uns fokussieren wollen, und wenn man sich in Zukunft nicht mehr so stark auf das Wirtschaftswachstum als allein selig machendes wirtschaftspolitisches Ziel konzentriert.