100 Jahre Betriebsräte in Österreich
LINZ. Im Mai 1919 wurde das Betriebsrätegesetz verabschiedet und die Mitbestimmung der Arbeitnehmer verankert.
"Die Sozialmaßnahmen waren hoch an der Zeit. Und doch war der Zeitpunkt ihrer Einführung ungünstig, weil sie sich das Land nicht leisten konnte." So beschreibt Roman Sandgruber, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Linzer Uni, die Geburtsstunde der Betriebsräte in Österreich. Das Land litt unter den Kriegsfolgen. Es galt, Soldaten und Flüchtlinge wieder in die Wirtschaft zu integrieren. Gleichzeitig gab es die aus Russland kommende revolutionäre "Rätebewegung", die Macht an sich ziehen wollte und aus denen die Betriebs"räte" entstanden.
"Die Herausforderungen für die Arbeitnehmer waren weitaus härter als heute", sagt Sandgruber. Im ersten Schritt wurde die Arbeitszeit verkürzt und die Arbeitslosenversicherung eingeführt. Aber es seien Fehler gemacht worden: "Das wurde stark als Drohgebärde inszeniert. Darauf setzte eine Kapitalflucht ein, das Wirtschaftswachstum bremste sich ein. Um alles zu finanzieren, wurde die Notenpresse angeworfen." Eine Hyperinflation war die Folge, die 1922 mit einer Jahresrate von 2867,6 Prozent ihren Höhepunkt erreichte. "Die Löhne mussten ständig an die Preise der Güter des täglichen Bedarfs angepasst werden."
Von Konfrontation zu Konsens
Auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs war das Klima zwischen Betriebsräten und Arbeitgebern noch von Konfrontation geprägt. Einen Höhepunkt erlebte dies 1950: "Je nach dem, wen man fragt, war das entweder ein Generalstreik oder ein kommunistischer Putschversuch", sagt Sandgruber. Erst unter Bundeskanzler Julius Raab und Finanzminister Reinhard Kamitz etablierte sich die Sozialpartnerschaft. "Das Wirtschaftswunder ist losgegangen. Den Menschen ging es besser. Die sozialen Gegensätze mäßigten sich."
Heute sind die Belegschaftsvertreter mit ganz anderen Themen konfrontiert: So ist bei den Betriebsräten betriebswirtschaftliches Wissen gefragt. "Wir müssen global denken. Es geht um Produktionskonzentrationen und Verlagerungen", sagt Erich Schwarz, Betriebsratsvorsitzender von MAN in Steyr. Schwarz ist seit 1990 Betriebsrat. Er hat die Veränderung von einem teilverstaatlichten Unternehmen zur Tochter eines Konzerns – konkret Volkswagen – mitgemacht. Nicht immer erhalte man für seine Arbeit als Betriebsrat Lob von der eigenen Mannschaft: Für eine flexible Arbeitszeitvereinbarung wurde der gelernte Karosseriespengler gescholten. "Heute passt es für die Kollegen."
Ein Dauerbrenner in der täglichen Arbeit sei die richtige Einstufung in die Lohngruppen, berichtet Karl Kapplmüller, Zentralbetriebsrat beim Maschinenbauer Engel. Zu den Verbesserungen der jüngeren Vergangenheit zählt er die vielen Maßnahmen, um die Arbeit körperlich leichter zu machen. "Es war nicht alles selbstverständlich: zum Beispiel, dass es Hebevorrichtungen für Werkzeuge und Anlagen gibt." Der Schwertberger sieht nach wie vor viel Arbeit für die Betriebsräte: Ein schwerwiegender Eingriff sei die Kürzung der Altersteilzeit von vier auf zwei Jahre gewesen. "Da kamen die, die am meisten belastet sind, sprich die Hackler, zum Handkuss." Wobei die Großbetriebe weniger das Problem sind: "Aber was ist in den vielen Kleinbetrieben, wo es keinen Betriebsrat gibt?"
Ähnlich argumentiert die Braunauerin Sabine Eiblmaier, Zentralbetriebsrätin von Interspar. In Betrieben mit Betriebsrat werde viel Negatives im Keim erstickt. Gerade der Handel ist dabei herausfordernd: In vielen Filialen gebe es keine Betriebsräte vor Ort. Ihr Engagement habe bald nach ihrem Einstieg in den Handel vor 20 Jahren begonnen: Anfangs wollte die 47-Jährige "für alle Bäume ausreißen". Inzwischen wisse sie, wie man zu guten Kompromissen komme.
Auch wenn heute vieles anderes sei als früher – eines ist laut Andreas Stangl, Chef der Gewerkschaft GPA, gleich: "Die Tätigkeit ist gleich schön geblieben, weil man für andere etwas tun kann."
Zur Arbeit der Betriebsräte
„Betriebsräte können für ihre Kollegen viel erreichen und verhindern. Es zahlen die drauf , die in Betrieben ohne Betriebsrat sind. Dort wird einfach angeordnet.“
K. Kapplmüller, Engel
„Als nicht freigestellter Betriebsrat ist die Herausforderung, sich die Zeit für die Betreuung der Kollegen nehmen zu können. Ich wollte anfangs Bäume ausreißen.“
S. Eiblmaier, Interspar
„In einem Konzern ist die Arbeit für den Zentralbetriebsrat nur zu einem Teil am Standort. Man muss sich mit vielem beschäftigen, um auf Augenhöhe mitreden zu können.“
Erich Schwarz, MAN
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Die Betriebsräte, -- ein unerwünschter Stachel im Fleisch der Wirtschaftstreibenden.
Nicht nur im Fleisch der Wirtschaftstreibenden - mittlerweile auch bei einem Großteil der Arbeitenden.