Die Mauer des Schweigens bekommt tiefe Risse

Von Reinhold Pühringer   16.März 2019

Die Mauer des Schweigens bröckelt und bekommt Risse. Die Recherchen der OÖNachrichten über sexuellen Missbrauch rund um einen oberösterreichischen Langlauftrainer (es gilt die Unschuldsvermutung) machten in den vergangenen Tagen weiteren Betroffenen Mut, ihr langes Schweigen zu brechen. "Von fünf weiß ich momentan", erklärt die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg, die mit ihrer Initiative (www.wetogether.eu) Anlaufstelle ist. Deren Berichte lassen auf weitere schließen. Dennoch bewegen Betroffene im Gespräch mit den OÖN immer wieder die gleichen Fragen, die es erschweren, sich zu äußern.

 

?Wohin kann ich mich wirklich vertrauensvoll wenden?

Die auf Missbrauch im Sport spezialisierte Plattform "We together" ist auf jeden Fall eine sehr vertrauenswürdige Anlaufstelle. "Meine Kernaufgabe ist, Betroffene zu beraten", sagt Werdenigg, die nach ihrem Outing vor zwei Jahren aus eigener Erfahrung weiß, was Missbrauchs-Opfer durchmachen. Ihre Beratung läuft in Zusammenarbeit mit dem Gewaltschutzzentrum Oberösterreich ab. Dieses bietet Betroffenen eine Palette an unterstützenden Maßnahmen an. Vom bloßen Zuhören, über ein therapeutisches Angebot bis hin zu einem kostenlosen juristischen Beistand von Beginn weg. "Auch stellen wir eine Begleitperson zur Verfügung, welche Betroffene bei der Anzeige und einem möglichen Prozess begleitet", erklärt Eva Schuh, Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums.

?Wie sieht es mit der Hotline des Landes Oberösterreich aus?

Sportlandesrat Markus Achleitner war der Erste, der von sich aus den Fall an die Polizei weitergeleitet hat. "Wir agieren völlig autonom, müssen niemandem Bericht erstatten", betonte die dortige Ansprechperson Valerie Teufl. Das fehlende Vertrauen einer Frau, die sich bei den OÖNachrichten meldete, betrifft nicht die beiden aktuell tätigen Hotline-Betreuer. Die Angelegenheit ist einfach zu heikel, weshalb Unsicherheiten keinen Platz haben.

?Wenn ich mich entscheide, zur Polizei zu gehen: Mit wem bekomme ich es dort zu tun?

Die Ermittlungen in der Causa leitet Chefinspektor Wolfgang Dirisamer. Der 55-Jährige und sein Team sind anerkannt und auf Sexualstraftaten spezialisiert – unter anderem war er mit dem Missbrauchsskandal im Benediktinerstift Kremsmünster betraut. Er weiß um die hohe Sensibilität der Thematik. Seiner Erfahrung nach kann eine behördliche Aussage Betroffenen sogar helfen, um mit dem Erlebten richtig abzuschließen. "Viele haben das Bedürfnis, es schwarz auf weiß zu sehen, dass sie Recht bekommen. Da geht es gar nicht so sehr um das Strafmaß", sagt Dirisamer, der von einer hohen Hemmschwelle bei den Betroffenen berichtet. "Oft melden sich Betroffene nur, weil sie das schlechte Gewissen plagt, mit dem Unterlassen einer Anzeige weitere Opfer zu ermöglichen."

?Wie läuft die Einvernahme ab?

Die Aufnahme und Protokollierung der Aussagen übernimmt in diesem Fall mit Dirisamers Stellvertreterin Anette Ofner eine Frau. Davor werden Betroffene, die eine Vertrauensperson mitnehmen dürfen, über ihre Rechte aufgeklärt. Die Aussage muss zwar auf einem Polizeiposten gemacht werden. Der Ort ist jedoch frei wählbar. "Damit man nicht dort zur Polizei muss, wo einen jeder kennt", sagt Dirisamer. Mache ich eine Aussage, habe ich entweder den Status eines Zeugen oder eines Opfers. Letztere genießen mehr Rechte.

?Wie sehr muss ich bei meiner Aussage ins Detail gehen?

Dirisamer: "Das obliegt jedem selbst, wir machen keinen Druck." Generell gelte: Je genauer die Angaben sind, desto glaubhafter sind sie. Im Falle eines Prozesses können Details den Richter zu Erschwerungsgründen führen.

?Begegnen einander Opfer und Täter?

Nein. Kommt es zu einem Prozess, werden Betroffene aus einem separaten Raum per Video zugeschaltet und machen ihre Aussage. Auch hierfür kann eine Vertrauensperson hinzugezogen werden. Die Öffentlichkeit wird ausgeschlossen. Ebenso wird man im Falle eines Prozesses generell nicht an die Öffentlichkeit gezerrt.

?Wie verhält es sich mit Verjährungsfristen?

"Das ist sehr komplex", sagt Schuh. Einerseits hängt es von der Schwere der Tat ab, andererseits können qualvolle Folgen, benötigte Therapien oder weitere strafbare Handlungen die Frist verlängern.

?Wenn ich mich an die OÖN wende, steht mein Fall dann morgen in der Zeitung?

Nein. Die ausgerollten Fälle von Ulrike S. und Melanie D. (Namen von der Redaktion geändert) wurden nur in Absprache mit den beiden Frauen veröffentlicht. Sie waren entscheidend, um den Fall ins Rollen zu bringen und eine Einzelfalltheorie ad absurdum zu führen. Wir stehen in Kontakt zu weiteren Frauen. Auch für uns gilt seit dem Recherchebeginn Anfang Februar: Opferschutz hat oberste Priorität.