"Da wurde ganzen Generationen die Hose heruntergerissen"

Von nachrichten.at/apa   02.Dezember 2017

In einem Interview mit dem Standard (Samstag-Ausgabe) erhob ein namentlich nicht genannter Ex-ÖSV-Aktiver schwere Vorwürfe gegen die Eliteschule des heimischen Skisports, deren Absolventen bisher mehr als 300 Olympia- und WM-Medaillen sammelten.

Der ehemalige Athlet, der "in den 80ern und 90ern in Stams zur Schule ging und im Spitzensport reüssierte", sprach über das "Pastern" im Ski-Internat, Sex als Druckmittel und zerstörte Existenzen. "Das Pastern war und ist ein zutiefst sexuelles Machtspiel, das weit über Initiationsriten hinausgeht. Für mich ist es eine Frechheit, wenn der jetzige Stamser Direktor Arno Staudacher das herunterspielt und davon spricht, dass da ein bissl Schuhpasta auf die Hinterbacken geschmiert wird."

Außerdem berichtete der Ex-Athlet: "Das ist kein netter Initiationsritus, sondern da wurde ganzen Generationen mit Gewalt von mehreren meist älteren und stärkeren Sportlern die Hose heruntergerissen. Und je nachdem, wie aufmüpfig einer vorher war, bekam er Zahnpasta oder einen mehr oder weniger klebrigen Klister anal verabreicht. Das heißt, da wurde eine Tube eingeführt. Das Ärgste, was man erwischen konnte, war ein Nassschnee-Klister, ein Steigwachs für Langlaufski."

Die Übergriffe seien "selten im Geheimen passiert" und "harte Gewalt" gewesen. "Die Gepasterten sind manchmal drei Stunden in der Dusche gestanden, nicht nur um sich zu säubern. Die haben vor Scham, Verzweiflung und Wut geheult."

Er selbst sei zwar weder Opfer noch Täter gewesen, habe aber dennoch die Vorgänge mitbekommen, bei denen es "um Macht und Hierarchie" gegangen sei. "Viele Opfer sind zu Tätern geworden. Pastern war in einer perfiden Art etwas Normales, Alltägliches. Lehrer oder Erzieher waren beim Pastern nicht dabei, sie wissen aber oft, was läuft, weil sie selbst in Stams im Internat gewesen sind."

Zahlreiche Opfer seien traumatisiert worden. "Dieses System hat viele junge Menschen gebrochen und in Identitätskrisen gestürzt - eine große Masse, über die nicht gesprochen wird. Die Aussage 'Wer bei uns in Stams abschließt, steht besonders stabil und erfolgreich im Leben' finde ich zum Kotzen. Viele müssen die erlebten Härten ein Leben lang aufarbeiten, Hilfe kriegen die wenigsten. Das erklärt die hohe Drogenquote bei Abbrechern", wurde der Wintersportler zitiert.

Für Nicola Werdenigg, die das Thema Missbrauch aufs Tapet gebracht hatte, war er voll des Lobes. "Ihren Schritt an die Öffentlichkeit finde ich toll, er zeugt von großer Stärke. Endlich wird an diesen über Jahrzehnte ausgebildeten Strukturen ernsthaft gerüttelt - erst jetzt, obwohl Generationen davon etwas mitgekriegt haben. Werdenigg hilft vielen Betroffenen und trägt dazu bei, künftige Gewalttaten zu verhindern."

 

Werdenigg: "Macht betroffen"

"Es macht sehr betroffen", sagte Nikola Werdenigg zu den Aussagen des ehemaligen ÖSV-Aktiven. "Diese Machtübergriffe, die durchaus auch sexualisierte Gewalt sind, sind so typisch für dieses System", sagte Werdenigg zur APA. Ohne diese Übergriffe, mit denen Neulinge, junge Leute, in das System eingeführt werden, würde das Ganze vielleicht nicht so funktionieren.

"Da werden Tabus gebrochen: Bei uns ist das so, dann gehört man dazu und schaut zu und macht möglicherweise sogar selbst mit." Festgehalten wollte sie aber wissen, dass ihr "die Zeit in Stams nach wie vor heilig und wichtig" sei. "In meiner Zeit in Stams wäre so etwas unter den Frauen, unter den Mädchen undenkbar gewesen. Wir haben in der Zeit in den frühen Siebzigerjahren stark feministische Diskussionen geführt." Werdenigg hatte vor knapp zwei Wochen von sexuellen Übergriffen zu ihrer aktiven Zeit berichtet, im Skigymnasium Stams habe sie aber nie etwas Verdächtiges erlebt.

"Was jetzt unabhängig von diesen groben Verletzungen betrachtet werden muss, ist dass diese Riten losgelöst vom Sportverband immer diese hierarchischen, autoritären Verhältnisse befeuern. Das gibt es seit Jahrhunderten wahrscheinlich schon, das ist in Burschenschaften gang und gäbe, das ist im Militär immer gang und gäbe gewesen. Das zeigt, wie solche Systeme Menschen brechen", sagte Werdenigg.

Junge Menschen, die aus anderen sozialen Umfeldern kommen und sensibel seien, würden gebrochen. "Und ab dem Moment, wo sie das über sich ergehen haben lassen müssen, wenn sie es aushalten, gehören sie dazu. Es gibt auch viele, die es nicht aushalten. Das ist dramatisch."

ÖSV: "Große Betroffenheit"

Der Österreichische Skiverband (ÖSV) meldete sich am Samstagabend in einer Aussendung zu Wort und sprach von "großer Betroffenheit", mit der man die Berichterstattung "von nicht vertretbaren Vorfällen oder Übergriffen in Schulen mit sportlichen Schwerpunkten" zur Kenntnis genommen habe. Gleichzeitig wurde aber festgehalten, dass der ÖSV keinerlei Verantwortung für diese Vergehen trage.

"Wir legen großen Wert auf die Feststellung, dass der Österreichische Skiverband weder Träger von Schulen oder Internaten ist, noch Einfluss auf die Auswahl von Lehrern oder Erziehern hat", hieß es in der Mitteilung. "Selbstverständlich kooperiert der Österreichische Skiverband mit diesen Einrichtungen. Ausdrücklich wollen wir uns aber dagegen verwehren, dass der Österreichische Skiverband im Zusammenhang mit solchen Vorfällen als mitverantwortliche Institution genannt wird."

Dass es auch im Österreichischen Skiverband zu Missbrauchsfällen gekommen sein könnte, wurde aber auch thematisiert: "Im Hinblick auf die Größe des ÖSV und die Vielzahl der Aktiven und Betreuer können auch wir nicht Vorfälle in unserem Bereich von vornherein ausschließen. Aus diesem Grunde wurde von uns eine Anlaufstelle für allfällig Betroffene eingerichtet." Damit wurde vom ÖSV erneut auf die ehemalige Landeshauptfrau der Steiermark, Waltraud Klasnic, als vertrauliche Ansprechperson verwiesen.

Ministerium: Schriftliche Weisung

Auch das Bildungsministerium hat sich nach den jüngsten Berichten über Übergriffe im Skigymnasium Stams und in der NMS Neustift (früher Skihauptschule Neustift) erschüttert gezeigt. Am Samstag sei eine schriftliche Weisung an die Tiroler Landesrätin Beate Palfrader (ÖVP), an den Landesschulratsdirektor von Tirol und an den zuständigen Landesschulinspektor ergangen.

In dem Schreiben wurde die Übermittlung einer Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft angewiesen, erklärte eine Sprecherin von Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ). "Die begonnenen Erhebungen durch die Schulaufsicht und Juristen des Landesschulrats sind fortzusetzen", hieß es. Dazu forderte das Ministerium dazu auf, mit den zuständigen Behörden - nämlich Polizei und Staatsanwaltschaft - zu kooperieren.