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Die Olympiasiegerin, die seit fünf Jahren in Linz lebt

Von Reinhold Pühringer   18.November 2021

Meine Hand zittert leicht. Über Kimme und Korn versuche ich, das schwarze Innere der zehn Meter entfernten Zielscheibe anzuvisieren. Ein schwieriges Unterfangen, speziell im einhändigen Stehendanschlag. Ich erinnere mich gerade noch an die Quintessenz aus gefühlten tausend Biathlon-Übertragungen: Erst beim Ausatmen abdrücken, höre ich Christoph Sumann vor meinem geistigen Ohr. Schuss.

Das Schwarze habe ich verschont, ein Vier-Punkte-Ringerl ist es geworden. Ob das gut war? Eher nicht, darauf deutet zumindest das höfliche Lächeln der neben mir stehenden Olena Kostewytsch hin.

Der Landeshauptschießstand Auerhahn im Süden von Linz, in dem wir uns befinden, ist das Revier der Ukrainerin, die mit der Luftpistole zu den Besten der Welt zählt. Mit zwei Weltmeistertiteln, Olympiagold 2004 sowie vier weiteren Olympia-Medaillen zählt die 36-Jährige zu den höchstdekorierten Athleten ihrer Heimat. Dementsprechend durfte sie bei der Eröffnung der Sommerspiele in Tokio gemeinsam mit Fechter Bogdan Nikischyn die ukrainische Fahne tragen. Aus Japan brachte sie ein "Andenken" in Bronze mit nach Hause.

Die Olympiasiegerin, die seit fünf Jahren in Linz lebt
Sportlich hat Kostewytsch ein neues Zuhause im Landeshauptschießstand Auerhahn im Süden von Linz gefunden. Ihr nächstes Ziel ist Paris 2024.

Der Liebe wegen

Während Kostewytsch in ihrer Heimat ein gefragter Sportstar ist, der unter anderem in Werbespots zu sehen ist, führt sie in Linz ein beschauliches, fast unbemerktes Leben. "Seit fünf Jahren lebe und trainiere ich hier", sagt sie. Hergeführt hat sie die Liebe, verheiratet ist sie mit einem Softwareentwickler. Die gemeinsame Tochter wird heute vier Jahre alt.

Die Rolle der Mutter mit jener der Profi-Sportlerin zu vereinen, sei nicht immer einfach, sagt Kostewytsch. Ohne Verwandte in Österreich ist ihnen meist nichts anderes übrig geblieben, als zu dritt zu den Bewerben zu reisen. Das sei mühsam, habe aber sogar Vorteile. "Ein Kind hilft dir, deine Gedanken weg vom Wettkampf zu bringen, es entspannt dich. Physisch ist es als Mutter schwieriger, mental aber leichter", sagt die ausgebildete Ökonomin.

Jüngster Beweis: Erst vergangene Woche gewann sie das Weltcupfinale in Breslau (Pol). Gab es früher noch Kristallkugeln dafür – ganz nach dem Vorbild der Skifahrer –, geht der Schießsport mittlerweile eigene Wege und vergibt deshalb eine Goldene Zielscheibe.

Die Olympiasiegerin, die seit fünf Jahren in Linz lebt
In Tokio durfte sie gemeinsam mit Nikischyn die Fahne der Ukraine tragen.

Vom anderen Ende der Welt

Geboren wurde Kostewytsch im fernen Osten der damaligen Sowjetunion, in der Stadt Chabarowsk, deren Längengrad auch durch Japan geht. Übersiedelt in die heutige Ukraine wurde, als ihr Großvater am Ende seines Militärdienstes in Tschernikow eine Wohnung bekam. "Als ich elf Jahre alt war, hat mich meine Mutter zum dortigen Schützenverein gebracht, damit ich es aus Spaß einmal ausprobiere", spricht Kostewytsch, die zuvor schon Tennis und Gymnastik gemacht hatte, von einem Glücksfall. Den Trainern sei das Talent der kleinen Olena sofort ins Auge gestochen. Der Rest ist Sportgeschichte.

Der oberösterreichischen Schützenfamilie ist freilich nicht entgangen, welches Juwel da seit einigen Jahren mit ihnen am Schießstand steht. "Wir sind sehr stolz, dass sie hier bei uns trainiert, und versuchen sie auch im Rahmen unserer Möglichkeiten zu unterstützen", sagt Alois Litschmann vom oberösterreichischen Schützenverband. Das fängt etwa mit Heizkörpern am Schießstand an. Was trivial klingt, macht in einer Sportart, in der es um Ruhe geht, viel aus, wie Kostewytsch bestätigt: "Hier in Linz ist es deutlich besser, weil in Tschernikow hatte es am Schießstand im Winter oft nur um die zehn Grad."

Für das körperliche Training darf sie mittlerweile das Olympiazentrum auf der Gugl nutzen. Dieses sei besser für sie geeignet als Fitnessstudios, weil dort, wo Spitzensportler zusammenkommen, eine ganz eigene Stimmung und Dynamik herrsche, von der auch sie profitiere.

Wie sehr sich das Training auszahlt, demonstrierte sie unter anderem, als sie für den deutschen Klub HSG München bei 40 Schüssen nicht nur alle ins Schwarze traf, sondern davon 39 Mal in das gerade einmal elf Millimeter große Zehn-Punkte-Zentrum. Nur ein Versuch "rutschte" ins Neuner-Ringerl – ihre 399 Punkte bedeuten nach wie vor Rekord in der deutschen Bundesliga. "So eine Leistung werde ich nie wieder schaffen", sagt sie.

Paris 2024 sei ihr nächstes großes Ziel, auch dort unter ukrainischer Flagge. "Bei einem Nationenwechsel würde mich das Reglement für mindestens zwei Jahre von allen internationalen Events ausschließen", erklärt Kostewytsch. Zumal sie in der Ukraine ihren großen Namen aufgeben und in Österreich mit dann Ende 30 bei null beginnen würde. "Aber vielleicht kann ich mich ja irgendwann als Trainerin hier einbringen."

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Kostewytsch holte Olympiagold und Weltmeistertitel mit Steyr-Pistolen.

„Der Ferrari unter den Sportpistolen“

Sie ist das Heiligtum von Olympiasiegerin Olena Kostewytsch: ihre Steyr-Sport-Luftpistole. Die aus Oberösterreich stammende Traditionsmarke ist unter den Schützen hoch angesehen. „Das ist der Ferrari unter den Sportpistolen“, sagt Kostewytsch, die damit international schon alles abräumte. Schon bei ihrem ersten von bisher zwei Weltmeistertiteln, als sie als Juniorin 2002 in Lahti (Fin) die routiniertere Konkurrenz überraschte, vertraute sie auf ein Steyr-Sport-Exemplar.
1,2 Kilogramm schwer ist die Luftdruckpistole des Modells Steyr evo 10E. Rund 1200 Euro kostet das Stück, erklärt Kostewytsch. In Steyr blickt man im Waffenbau auf die lange Geschichte rund um Pionier Josef Werndl zurück. Bis zum Jahr 2001 war die Sportwaffenfertigung eine Abteilung von Steyr Mannlicher. Im Zuge einer Umstrukturierung und Privatisierung wurde die eigene Steyr Sport GmbH gegründet, die in Ernsthofen ihren Sitz hat. Die Adresse, Olympiastraße 1, trifft ins Schwarze.

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29. März 2024