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"Der erste große Titel hat offenbar so sein müssen"

Von Alexander Zambarloukos   14.September 2020

Als Dominic Thiem 2018 im US-Open-Viertelfinale Rafael Nadal im Tiebreak des fünften Satzes unterlegen war, haben Reporter von einem "epischen Match" berichtet. Es gibt aber noch eine Steigerung. Dann nämlich, wenn zwei Jahre später Vergleichbares passiert. Aber in einem Endspiel, noch dazu mit dem besseren Ausgang für Österreichs Tennis-Star.

Thiem darf sich (endlich) Grand-Slam-Champion nennen. Im vierten Finalanlauf hat es für den 27-jährigen Lichtenwörther geklappt, nachdem zuvor zwei Giganten zu unüberwindbaren Hürden geworden waren. Nadal schlug Thiem zweimal im French-Open-Endspiel (2018, 2019), Novak Djokovic hatte heuer bei den Australian Open das bessere Ende für sich.

"Ich bin sprachlos"

Doch das Glück ist ein Vogerl, das irgendwann einmal dem „Dominator“ zufliegen musste. In New York schlug ihm die große Stunde, Thiem krönte eine sensationelle Aufholjagd gegen Alexander Zverev mit einem 2:6, 4:6, 6:4, 6:3 und 7:6 (6)-Sieg, der nach 4:05 Stunden in trockenen Tüchern war. „Ich bin sprachlos“, sagte Thiem nach seinem Husarenstück. 

„Sascha hätte es genauso verdient gehabt“

Für den Weltranglistendritten war es ein Match, in dem er wie eine Katze gefühlt sieben Tennisleben hatte. Zverev stand mehrmals vor seinem ersten Grand-Slam-Titel. Es hätte schnell gehen können, der 23-jährige Hamburger lag im dritten Satz mit Break 2:1 voran. Doch sein Gegner schlug postwendend zurück und war spätestens da endgültig in der Partie angekommen. 

„Ich bin herzensfroh, dass es geklappt hat. Tennis ist schon ein unglaublich brutaler Sport. Eigentlich hätte es keinen Verlierer geben dürfen. Sascha hätte es genauso verdient gehabt, aber auch er wird noch zumindest einen Grand-Slam-Titel gewinnen“, zeigte sich Thiem als großer Sportsmann.

Zverev vergoss bittere Tränen der Enttäuschung. Auch im alles entscheidenden fünften Satz schien er alle Trümpfe in der Hand zu haben, als er ein Break zum 5:3 schaffte. Doch der Deutsche zeigte Nerven, beim Stand von 5:4 und 30/15 trennten ihn nur noch zwei Punkte vom Sieg. Thiem hatte auf alles eine Antwort. Im Finish schwanden die Kräfte.

Thiem ließ nach einem weiteren Break zum 6:5 den Turnier-Physio kommen und sich im Adduktorenbereich behandeln. Zverev schaffte das Rebreak zum 6:6 und führte im Tiebreak 2/0. Dann schlug das Pendel zugunsten des zwischenzeitlich humpelnden Thiem aus, der seinen dritten Matchball nutzte und erleichtert zu Boden sank.

„Ab dem Viertelfinale war ich richtig angespannt“

Eine Riesenlast ist von seinen Schultern gefallen, das gab Thiem unumwunden zu. „Ich war auch am Anfang der Partie topfit, es war nur mental. Ich habe mich in den ersten beiden Sätzen bleiern gefühlt. Die ganze Situation war im Hintergrund. Ab dem Zeitpunkt, als Djokovic draußen war, hat sich die Chance erhöht. Ab dem Viertelfinale war ich richtig angespannt“, sagte Thiem.

In den Matches gegen Alex de Minaur (Aus) und Medwedew hat er seine Nervosität aber gut kaschieren können. Das waren tadellose Leistungen ohne Satzverlust.

Der Showdown gegen Zverev ist schwer in Worte zu fassen. „Ich kann nicht wirklich glauben, was da abgelaufen ist. Es war ein völlig verrücktes Match, in dem ich abnormal nervös war. Am Ende war es nur noch Drama, im Tiebreak sind wir beide nur herumgewankt. Der erste große Titel hat offenbar so sein müssen.Das ist unrealisierbar für mich“, betonte Thiem.

"Es ist alles durch die Gegend geflogen"

ServusTV hat die Übertragung übrigens richtig gut aufgezogen. Alexander Antonitsch und Christopher Kas glänzten als Experten, die auch ihre Emotionen zur Schau trugen. Das muss so sein.

Außerdem hat der Red-Bull-Sender eine Liveschaltung ins mächtige Arthur Ashe Stadium in New York ermöglicht. Dominic Thiem konnte von dort aus Minuten nach der Siegerehrung mit seinem glücklichen Bruder Moritz (“Unglaublich! Es ist alles durch die Gegend geflogen“) Kontakt aufnehmen.

„Heute habe ich etwas zurückgeben können“

Auch die Leitung ins Elternhaus klappte vorzüglich. Mama Karin Thiem kündigte an, dass sie zur nächtlichen Stunde noch ein Fläschchen aufmachen werden. Wenn nicht jetzt, wann dann? „Das Match war ein Horror. Bis zum dritten Satz hab ich mir gedacht - na bumm, das geht jetzt schnell. Aber der Domi ist ein Kämpfer bis zum Schluss. Das war Wahnsinn. Es ist schön, wenn du dir einen Traum im Leben erfüllst.“ 

Auch Papa Wolfgang Thiem war erleichtert, so ruhig wie gewohnt war er aber nicht. Wen wundert‘s? „Ich bin ein paar Mal aufgestanden und herumgegangen. Da ist halt ein Lebenstraum für Dominic wahr geworden. Grand-Slam-Sieger - das ist das Größte, was man in diesem Sport schaffen kann. Megageil.“ Seinem Sohn richtete Wolfgang Thiem aus: „Ich bin richtig stolz auf dich.“

Dominic lächelte zurück und sagte: „ich bin unglaublich stolz auf die ganze Familie, weil sie mir so viel gegeben hat. Die hunderttausenden Kilometer, die sie mit mir gefahren sind. Heute habe ich etwas zurückgeben können.“

„Alle haben sich supersicher in dieser Bubble gefühlt“

Auch auf dem Centre Court des Arthur Ashe Stadium hatte Thiem die richtigen Worte gefunden. Worte eines wahren Champions: „Sascha, wir kennen uns seit 2014. Trotz großer Rivalität herrscht eine große Freundschaft. Uns ist schon so viel Großes gelungen, das ist erstaunlich. Es hätte heute zwei Sieger geben sollen. Du bist großartig, dein Team ist es auch.“

Thiem rollte auch seiner Crew um Coach Nicolas Massu, der dem „Dominator“ während der Partie stets Mut zusprach, verbal den roten Teppich aus: „Ein großes Danke an euch. Ich kann euch nicht genug danken.“

Auch die US-Open-Organisatoren bekamen ein großes Lob: „Ihr habt einen phantastischen Job gemacht. Alle haben sich supersicher in dieser Bubble gefühlt. Es sind schwierige Zeiten, ich hoffe, dass wir nächstes Jahr wieder US Open mit Publikum haben werden.“

Nicht nur wegen der Corona-Pandemie war das New Yorker Event 2020 speziell. Thiem ist der erste Spieler in der Profi-Ära seit 1968, der ein US-Open-Endspiel nach 0:2-Satzrückstand gewonnen hat. Ehre, wem Ehre gebührt.

Der Niederösterreicher schraubte sein Karriere-Preisgeld auf 26,9 Millionen Dollar, im ATP-Ranking bleibt er vorerst weiter Dritter.

Am Dienstag wird Thiem, der seine Teilnahme am dieswöchigen Event in Rom abgesagt hat, in der Heimat zurückerwartet und dann eine wohlverdiente Pause bekommen.

Immerhin will er bereit sein für sein Lieblingsturnier, die am 27. September beginnenden French Open in Paris. Ein fitter Thiem mit breiter Brust kann auch in Roland Garros Großes leisten. Da komme,wer wolle - sogar der grandiose Sandplatz-König Nadal.

„Ich nenne ihn den Houdini des Tennis-Sports“

Zverev wird in Paris versuchen, Versäumtes nachzuholen. Er muss aber erst diese bittere Niederlage verdauen. „Ich möchte Dominic Thiem gratulieren zu seinem ersten Grand-Slam-Titel, denen er sicherlich noch viele weitere folgen lassen wird. Dominic hätte ein paar mehr Fehler machen müssen, vielleicht hätte ich dann dieses Match gewonnen. Ich möchte meinen Eltern danken. Ich habe euch sehr vermisst", sagte Zverev. Als er diese Worte sprach, brach er in Tränen aus.

Boris Becker ist übrigens der bis dato letzte deutsche Grand-Slam-Champion - 1996 bei den Australian Open. Lang, lang ist‘s her. Für beide Finalisten hatte der Eurosport-Experte nur lobende Worte parat: "Dominic hat sich aus einer scheinbar unmöglichen Situation wieder befreit. Ich nenne ihn den Houdini des Tennis-Sports. Diese Niederlage tut weh. Es ist vielleicht die schmerzhafteste Niederlage in der Karriere von Sascha Zverev. Ich habe mit Sascha eine Träne verdrückt und habe auch an ihn und seine Eltern gedacht. Das ist die Höchststrafe, das Finale auf diese Art und Weise zu verlieren und seine Liebsten nicht um sich haben zu können. Aber Deutschland ist stolz auf dich." Und Österreich auf Dominic Thiem.

Herzlichen Glückwunsch!

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28. März 2024