Das Box-Märchen im Land von Tausendundeiner Nacht
DIRIJA. "Kampf auf den Dünen": Joshua will morgen in Saudi-Arabien seine WM-Titel von Überraschungsmann Ruiz zurück.
Es war die größte Überraschung der jüngeren Box-Geschichte, als der untersetzte Andy Ruiz Junior am 1. Juni in New York Weltmeister Anthony Joshua verhaute. Der Ersatzgegner, der nur wegen eines Dopingvergehens von Jarrell Miller eingesprungen war, bezwang den ungeschlagenen Adonis aus Großbritannien. Manche sprachen vom "mexikanischen Rocky", andere gar von einem Märchen.
Ein Märchen, das morgen in Saudi-Arabien eine Fortsetzung findet. In Dirija, jenem Vorort der Hauptstadt Riad, in dem einst der erste Palast der Königsfamilie Al-Saud stand, steigt um 21.30 Uhr (live auf DAZN) unserer Zeit der Rückkampf um die WM-Titel nach IBF-, WBA-, WBO- und IBO-Version. Als "historisch" und "größtes Sportereignis" des Landes pries mit Prinz Khalid bin Abd al-Aziz der Organisationschef den ersten WM-Kampf auf saudischem Boden. Das Königreich hat sich das Spektakel einiges kosten lassen. Mehr als 90 Millionen Euro sind es laut Veranstalter. In Dirija wurde eigens eine 15.000-Zuschauer-Arena aus dem Boden gestampft.
Die "Vision 2030"
Der "Kampf auf den Dünen", wie das Duell in Anlehnung an "Rumble in the Jungle" 1974 zwischen George Foreman und Muhammad Ali in Kinshasa genannt wurde, ist nicht das einzige Sporthighlight, das jüngst nach Saudi-Arabien geholt wurde. Auch die Formel E, der italienische Fußball-Supercup oder der Tennis-Zirkus machten hier bereits Station.
Die Veranstaltungen sind Teil eines Programms, das Kronprinz Mohammed bin Salman "Vision 2030" nennt. Damit will der Thronfolger, der eigentliche Herrscher des Königreichs, das Land unabhängiger vom Öl machen. Sogar die Ausrichtung Olympischer Spiele sei denkbar, wie Prinz Khalid zu verstehen gibt.
Eine Strategie, die an Katar erinnert. Auch auf dieser Ebene will Riad dem Rivalen am Persischen Golf den Rang ablaufen. Um nicht viel stehen die beiden Monarchien einander nach, wenn es um Menschenrechte geht. Vor allem der brutale Mord am regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi rückte die prekäre Lage in Saudi-Arabien zuletzt in den internationalen Fokus.
Die saudischen Öl-Millionen vermögen das nicht gänzlich zu kaschieren. So verzichtet etwa Golf-Star Tiger Woods trotz 2,7 Millionen Euro Startgeld 2020 neuerlich auf ein Antreten in Saudi-Arabien.
Nicht so lange dürften sich die Promoter des Kampfes Ruiz gegen Joshua mit menschenrechtlichen Bedenken aufgehalten haben. Obwohl nun Champion, steigt Ruiz einmal mehr als Außenseiter in den Ring. Eine Rolle, die er bereits sein ganzes Leben lang innehat. Schon als Kind war er wegen seines Gewichts gehänselt worden. "Das ist für all die Kinder da draußen, die gemobbt werden", hatte Ruiz-Trainer Manny Robles damals in New York gesagt. "Es ist für all die Menschen, die daran glauben, dass alles im Leben möglich ist." So auch morgen im "Kampf auf den Dünen".